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Spuren suchen
Zwischen Moskau und Hamburg: Zum Leben der kommunistischen Widerstandskämpferin Martha Naujoks
Martha Naujoks trat mit 17 Jahren in die KPD ein, nahm an zwei bewaffneten Aufständen teil, bevor sie 20 Jahre alt wurde, war langjährige Parteifunktionärin und leistete Widerstand gegen die Nazis an der Macht. Sie ging mit gefälschtem Pass ins Exil, verbrachte zwei Jahre - aus der Partei ausgeschlossen - inmitten des stalinistischen Terrors in Moskau und war nach 1945 über 40 Jahre lang in Hamburg politisch aktiv.
Und doch weiß die Öffentlichkeit heute kaum etwas über ihr Leben. Dabei ist der Name Naujoks tatsächlich gar nicht so unbekannt - aber eben nicht als der von Martha. Interessierte Kreise kennen ihn, weil sie von Harry Naujoks wissen, Kommunist und Chronist des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Sein Bericht über das Lager in den Jahren 1936 bis 1942, an dessen Entstehung und Veröffentlichung auch Martha beteiligt war, erschien in den 1980er Jahren in DDR und BRD und erhielt zu Recht viel Aufmerksamkeit und Lob. Martha Naujoks hingegen schrieb nie einen Lebensbericht, und das ist weder ihre Schuld noch die von Harry, mit dem sie seit 1926 verheiratet war. Aber es ist auch kein Zufall, sondern im Gegenteil das übliche, traurige Bild der je nach Geschlecht unterschiedlichen Spuren, die Kommunistinnen und Kommunisten ihrer Generation hinterlassen haben. Hier kommen die patriarchale Struktur der Arbeiter*innenbewegung und die erlernte Selbstzurückhaltung der Genossinnen zusammen mit einer linken Erinnerungspolitik, die lange Jahrzehnte kaum nach Frauenbiografien fragte. Und in diesem Fall liegt darin versteckt noch die Erfahrung des lebensgefährlichen Exils der Kommunistin im Sozialismus. Sie muss sich tief eingegraben haben, war aber nicht erzählbar. Zum 1. Mai 2021 soll nun hier zumindest in Ansätzen von ihrem Leben berichtet werden.
Organisierung, Inhaftierung, Emigration
Martha Naujoks wird am 2. Dezember 1903 in Krefeld als Martha Pleul geboren. Ihre Mutter ist Schneiderin, der Vater ist Sattler und arbeitet später als Maschinist in den Leunawerken. Beide sind vor 1914 Mitglieder der SPD und entscheiden sich nach 1918 für die KPD. Die Familie zieht nach Halle um, wo Marthas politisches Leben beginnt, geprägt von den Eltern und der Freien Sozialistischen Jugend. Sie liest Alexandra Kollontai, erlebt Max Hölz als Agitator und nimmt im März 1921 mit 17 Jahren am bewaffneten »Mitteldeutschen Aufstand« der KPD teil. Um sich der folgenden Strafverfolgung zu entziehen, geht sie nach Hannover, 1922 weiter nach Hamburg. Dort arbeitet sie als Stenotypistin und lernt Harry Naujoks kennen, der wie sie Mitglied des Kommunistischen Jugendverbands Deutschland (KJVD) ist. Kaum ist sie in der Stadt, findet im Oktober 1923 der spektakulär scheiternde »Hamburger Aufstand« der KPD statt; Martha beteiligt sich aktiv und wird für etwa drei Monate inhaftiert. In den 1920er Jahren wirkt sie in Hamburg in Bezirksfunktionen der Partei, macht Jugendarbeit und leitet Funktionärsschulungen. (Kurz zuvor hatte sie sich als Zeichen der politischen und persönlichen Emanzipation die langen Haare zu einem »Bubikopf« frisieren lassen. »Der kleine Aufstand, den wir damit auslösten, bleibt mir unvergessen«, erinnert sie sich später.)
Bereits im Juli 1933 als aktive Kommunistin verhaftet, wird sie im Oktober des Jahres aus dem Gefängnis entlassen und arbeitet bis zum Herbst 1935 illegal im Widerstand gegen die Nazis: Sie sorgt für den Bestand der illegalen KPD in ihrem Bezirk, organisiert die Materialerstellung und -verteilung, die Unterbringung von Verfolgten. Nach zahlreichen Verhaftungen im Umfeld der Hamburger KPD geht sie im Oktober 1935 unter falschem Namen zunächst nach Prag, im Februar 1936 dann auf Parteibeschluss in die Sowjetunion. Im Juni 1936 trifft sie dort ein, hält sich zunächst aufgrund ihrer bereits im Widerstand angegriffenen Gesundheit in einem Sanatorium auf. Im Anschluss geht sie, die unter dem Parteinamen Inge Karst nun russisch lernt, nach Moskau und arbeitet als Sekretärin für die Komintern, als Korrektorin für den Verlag für fremdsprachige Literatur. Sie lebt Tür an Tür mit der kommunistischen Emigration, zunächst im Hotel »Sojusnaja«, dann im Hotel »Lux«.
Der NKWD klopft nicht
Im Juni 1937 - Sinowjew war bereits erschossen, Radek verurteilt - wird Martha Naujoks aus der Partei ausgeschlossen. Im Zuge der stalinistischen Säuberungen wird ihr vorgeworfen, mit ihrem Mann in den 1920er Jahren der ›rechten‹ Partei-Gruppe der »Versöhnler« nahegestanden und die Mitgliedschaft ihrer Eltern im an Trotzki orientierten Leninbund verschwiegen zu haben. Dazu kommt der katastrophale Zug der stalinistischen Parteien, sich Misserfolge fast ausschließlich durch subjektive Fehler und Verrat erklären zu können: Martha Naujoks wird unterstellt, als Gestapo-Agentin für die Verhaftungen des Widerstands in Hamburg verantwortlich gewesen zu sein. Fast zwei Jahre - während der Prozess gegen Bucharin und andere läuft, während die Urteile gefällt und die Erschießungen durchgeführt werden, während um sie herum Genoss*innen und Freund*innen verhaftet werden und verschwinden - kämpft sie als Inge Karst um die Wiederaufnahme in die Partei und, so muss man annehmen, um ihr Leben. Schreibt Eingaben an die Komintern, bittet um Überprüfung, hofft auf die Partei.
Der NKWD klopft nicht: Im April 1939, wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, wird sie wieder aufgenommen. Sie gewinnt ihren Kampf innerhalb der exilierten KPD und gegen die Aktennotizen der Kaderabteilungen; ab September 1941, die Offensive der Wehrmacht auf ihre Exilheimat Moskau steht bevor, besucht sie für 10 Monate die Komintern-Parteischule in Kuschnarenkowo bei Ufa, circa 1000 Kilometer östlich von der sowjetischen Hauptstadt. Anders als viele der in den Sozialismus geflüchteten deutschen Kommunist*innen überlebt Martha Naujoks den Großen Terror also - und das als voll rehabilitierte Parteiarbeiterin.
Im Juni 1945 kehrt sie nach neun Jahren aus Moskau zurück und lebt zunächst in Berlin. Hier erfährt sie, dass ihr Ehepartner Harry Naujoks nicht im Konzentrationslager ermordet wurde, wie sie seit einer Pressemeldung einige Jahre zuvor hatte glauben müssen: Er hatte Sachsenhausen überlebt und auch Flossenbürg. Aus Moskau und aus den KZ kehren beide nach Hamburg zurück, arbeiten dort weiter für die KPD, Martha unter anderem für die Theoriezeitung »Weg und Ziel«. Der Stalinismus aber, dessen Repression und offene Gewalt Martha schon in Moskau erlebt hatte, trifft Harry in bürokratischer Gestalt auch in Hamburg: Im Rahmen einer Parteisäuberung der KPD wird Harry Naujoks 1950 aus dem Hamburger Landesvorstand entfernt. Zur selben Zeit erlauben es chronische Gesundheitsbeschwerden Martha Naujoks nicht mehr, ihre aktive Parteiarbeit weiterzuführen. Sie bleibt in den folgenden Jahren Mitglied der KPD, später der DKP, und unterstützt Harry bei seiner jahrelangen Arbeit am Bericht über das KZ Sachsenhausen.
Martha Naujoks selbst schrieb, wie eingangs gesagt, nichts nieder, bewahrte wenig auf. Das Verbot der KPD 1956 bringt sie dazu, einige persönliche Dokumente zu vernichten - aus Erfahrung des Vergangenen und aus Vorsicht vor dem Kommenden. Die Disziplin der Illegalität und der Partei verwischen so den einen Teil der Spuren: »Da gibt es noch Sachen, aber die kann man gar nicht erzählen«, sagte sie noch 1987. Die Überzeugung, dass das eigene Leben nicht wichtig genug sei, der Nachwelt zu berichten, verwischt einen anderen Teil. Auch dieser Text kann zunächst nur den politischen Weg nachzeichnen und nicht ihre Person, ihre Persönlichkeit. Und über allem liegt, so scheint es zumindest im Nachhinein, die schwere Decke der Erfahrung des Stalinismus als Repression, über die nicht sprechen konnte, wer nach 1945 in der Partei bleiben wollte - und wer sich entschied, dem politischen Gegner in der antikommunistischen BRD keine Munition liefern zu wollen.
Aktives Erinnern einer Kommunistin
Doch es ist nicht alles verwischt: Ein Dokumentarfilm von 1971 hat sie kurz im Bild, die Hamburger Genossen veröffentlichen in den 1980er Jahren einen langen Geburtstagsgruß, und die Dokumentarfilmerin Loretta Walz nimmt 1987 ein Interview auf. Die Familie hat noch einen Ordner, und die Moskauer Archive haben Akten.
Martha Naujoks starb 1998 in Hamburg. Sie erlebte fast das ganze 20. Jahrhundert und war ihr gesamtes Leben als Kommunistin aktiv. Brechts vielzitiertes Wort vom Kommunismus als »dem Einfachen, das schwer zu machen ist«, trifft auch auf die Erinnerung an ihr Leben und Wirken zu. (Wenn diese Übertragung erlaubt ist.) Und zwar in dem Sinne, dass das Erinnern, das so einfach scheint, unter schwierigen Bedingungen erst gemacht und dann am Leben erhalten werden muss. Dazu müssen die Schichten der männlichen Dominanz, die die historische Arbeiter*innenbewegung prägte, Martha Naujoks’ Spuren verblassen ließ und die in der heutigen Sicht auf die Vergangenheit immer noch präsent ist, durchbrochen werden. Und dieses Erinnern kann nicht vermeiden, auch den furchterregenden Stationen der linken Geschichte des 20. Jahrhunderts ins Auge zu sehen und dem Blick standzuhalten.
Nicht zuletzt: Es braucht Menschen, die zuhören, sich angesprochen fühlen und Erinnertes weitertragen. Die nicht nur die geglätteten Heldenleben, die zu »Mutfiguren« Aufgestellten bewundern, wie Christian Geissler wusste, sondern die Kommunist*innen in ihrer historischen Kleidung betrachten, mit all ihren Falten. Eine Aufgabe, die gerade nach dem Ende der kommunistischen Welt von Menschen wie Martha Naujoks nichts an Aktualität verloren hat.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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