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Das Theater als leere Hülle
»Tod auf Raten«: Görlitz fürchtet um die Eigenständigkeit seines Theaters
Kleine Semperoper - so wird das Theater in Görlitz wegen seiner prunkvollen Ausstattung genannt. Der 1851 eingeweihte Bau erinnert von außen an einen griechischen Tempel und innen, mit Stuck, goldenen Verzierungen und rotem Plüsch, durchaus an die »große« Semperoper in Sachsens Landeshauptstadt. Es sei »ein von den Bürgern erbautes Kleinod«, sagt Renate Winkler, die Vorsitzende des Theater- und Musikvereins in Görlitz - und könnte doch bald nur noch eine »leere Hülle« sein.
Anlass für Winklers Sorge ist ein Gutachten zur Theaterstruktur in den ostsächsischen Landkreisen Bautzen und Görlitz, das der dortige Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien in Auftrag gegeben hat und das, obwohl es offiziell als vertraulich eingestuft ist, hohe Wellen schlägt. Das von der Münchner Beratungsfirma Actori erstellte Papier entwirft vor allem für Görlitz ein düsteres Szenario. Dort ist bisher die Musiktheatersparte des Gerhart-Hauptmann-Theaters (GHT) ansässig, die aber praktisch abgewickelt werden soll. Das Haus würde damit zur reinen Gastspielbühne. Das wäre, warnt die Fraktion von Motor Görlitz und Grünen im Stadtrat, ein »Tod auf Raten«. Die Linke im Kreistag spricht von einem »Szenario des Grauens«.
Die Theaterleute in Zittau und Görlitz schauen dem »Tod auf Raten« seit Jahren ins Gesicht. Das 2010 durch Fusion entstandene GHT, dessen Gesellschafter der Landkreis und die Städte Görlitz und Zittau sind, ist seit Langem chronisch unterfinanziert. Immer wieder wurden Stellen gestrichen. Viele Jahre galt ein Haustarifvertrag mit drastischem Lohnverzicht.
Als 2018 dann über höhere Gehälter verhandelt wurde, drohte der Geschäftsführer mit Insolvenz. Rettung brachte erst ein vom Freistaat angebotener »Kulturpakt«, der fünf Theatern und vier Orchestern in der sächsischen Provinz sieben Millionen Euro pro Jahr zusicherte, um die Gehälter anheben zu können. Die Häuser »erhalten die kulturelle Vielfalt jenseits der Großstädte«, begründete das die damalige SPD-Kulturministerin Eva-Maria Stange.
Das Geld hatte auch in Ostsachsen eine segensreiche Wirkung. Allerdings ist der »Kulturpakt« auf vier Jahre befristet und läuft 2022 aus. Ob er im Jahr 2023 fortgesetzt wird, ist offen. Selbst wenn, rissen Tariferhöhungen von 1,6 Millionen Euro ein tiefes Finanzloch, sagt CDU-Landrat Bernd Lange. Er wolle »keinen Theater-Standort schließen« und »die Vielfalt erhalten«. Das Gutachten spricht dem Vernehmen nach indes eine andere Sprache. Es schlägt altbekannte Rezepte vor: Abwicklung von Sparten, Fusion von Ensembles. Die Neue Lausitzer Philharmonie Görlitz soll mit dem Orchester des Sorbischen Nationalensembles Bautzen zusammengelegt werden, ebenso die Schauspielsparten in Zittau und Bautzen. Ballett und Musiktheater in Görlitz sollen komplett aufgelöst werden.
In der Bürgerschaft und bei Theaterleuten, bei Gewerkschaften und Kulturverbänden stoßen die Überlegungen auf Ablehnung. Mit dem Verzicht auf Orchester, Chor, Sänger und Tänzer in Görlitz drohe der »kulturelle Leuchtturm der Stadt« verloren zu gehen, sagte Theatervereinschefin Winkler. Der Bariton Hans-Peter Struppe glaubt, dass Nutzen und Schaden nicht abgewogen wurden. »Viele Menschen ziehen ja gerade nach Görlitz, auch weil es hier noch ein Theater gibt, das die Kultur der Stadt prägt«, sagte er der Lokalzeitung. Die Sächsische Orchestervereinigung kritisierte den Schritt und sprach von einer »Katastrophe«.
In der Kommunalpolitik gibt es ebenfalls Gegenwind. Der Linkspolitiker Mirko Schultze fragt, wie man den »ursprünglichen Auftrag des Kreistags, die Standorte und das Angebot zu sichern, so aus den Augen verlieren konnte«. Mike Altmann, Fraktionschef von Motor Görlitz und Bündnis 90/Die Grünen, hält das Papier für völlig überflüssig. Dem Theater Görlitz-Zittau werde attestiert, dass »keine weiteren Einsparungen möglich sind, da das Haus bereits zahlreiche Schlankheitskuren hinter sich hat«, sagt er. »Das war vorher bekannt«, so Altmann, und hätte keines bezahlten Gutachtens bedurft. Selbst in der CDU gibt es Unmut angesichts der Überlegungen des CDU-Landrats. Florian Oest, der bei der Bundestagswahl das 2017 an die AfD verlorene Direktmandat in der Region zurückgewinnen will, plädierte für den Erhalt des Theaters »mit seinen Standorten«. Die Linke hat derweil eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Ideen dazu entwickeln soll. Man wolle »nicht zusehen, wie unser Theater kaputtrationalisiert wird«.
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