Radikal bodenständig

Janine Wissler steht für die Verbindung der Linken zu Gewerkschaften und Zivilgesellschaft wie auch für Oppositionsarbeit im Parlament

Man könnte sagen, dass Janine Wissler seit vielen Jahren in ihrer täglichen Praxis genau das umsetzt, was Sahra Wagenknecht fordert: Sie ist immer wieder direkt vor Ort, wenn Beschäftigte und Gewerkschafter um soziale Rechte kämpfen, gegen Stellenabbau, für höhere Löhne. Sie spricht eine klare, überhaupt nicht akademisch-abgehobene Sprache, kommt auch mit Menschen ins Gespräch, die der Linken wahrscheinlich skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.

Wissler geht für bezahlbare Mieten auf die Straße, ihre Fraktion hielt Sitzungen im Dannenröder Forst ab, um den Protest junger Klimaaktivisten gegen dessen Rodung für den Autobahnausbau zu unterstützen. Und sie kämpft seit langem auch dafür, dass ein Studium auch für Kinder ärmerer Eltern keine Hürde ist. Wisslers Anteil daran, dass die Linke im ländlich und konservativ geprägten Hessen seit 13 Jahren durchgehend im Landtag vertreten ist, dürfte kein geringer sein. Denn seit zwölf Jahren ist sie Vorsitzende der hessischen Linksfraktion, die im Wiesbadener Parlament engagierte Oppositions- und Aufklärungsarbeit leistet, letztere insbesondere mit Blick auf rechte Umtriebe in Polizei und Verfassungsschutz. Damit hat sich die 39-Jährige genau dort Feinde gemacht, denn irgendwer muss dem erwerbslosen Berliner, der vergangene Woche als mutmaßlicher Verfasser der mit dem Kürzel »NSU 2.0« versehenen Drohbriefe verhaftet wurde, die persönlichen Kontaktdaten von Wissler und anderen Engagierten durchgegeben haben.

Die Politikerin beeindruckt durch freundlich-diplomatische Sachlichkeit einerseits und Entschiedenheit in Grundsatzfragen andererseits - gepaart mit Schlagfertigkeit und erstaunlicher Faktenkenntnis auf vielen Gebieten. Das ließ sich in den letzten Wochen in zahlreichen Fernseh- und Rundfunkinterviews beobachten, zuletzt am Sonntagabend im ZDF. Zur Forderung von Grünen-Chef Robert Habeck, die Linke müsse ihre Regierungsfähigkeit auch durch ein »Bekenntnis zur Nato« beweisen, sagte sie zunächst, ganz Diplomatin: »Ich habe mich erstmal sehr gefreut, dass sich Robert Habeck ein Bündnis mit der Linken grundsätzlich vorstellen kann.« Aber: Angesichts der drängenden Probleme im Lande, für die man gemeinsam ernsthaft um Lösungen ringen müsse, bringe es nichts, »jetzt gegenseitig voneinander Bekenntnisse zu verlangen«.

Zuvor hatte sie bereits klargestellt, ein solches Bekenntnis zum »Kriegsbündnis« werde es nicht geben. Denn das würde bedeuten, so die Linke-Vorsitzende, dass die Partei dafür eintreten müsse, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär auszugeben. Das würde eine weitere Steigerung des Verteidigungshaushalts um 15 Milliarden Euro bedeuten, »die besser für soziale Gerechtigkeit, Bildung und Klimaschutz ausgegeben werden sollten als für Panzer und Bomben«. Dass die Bundesrepublik selbst im Pandemiejahr 2020 ihre Rüstungsausgaben noch einmal um 8,4 Prozent erhöht habe, sei ein Skandal, sagte Wissler dem »nd«. Eine Forderung wie die Habecks widerspreche Partei- und Wahlprogramm der Linken. Das sei fast so, als solle sich die Partei »zum Kapitalismus bekennen«.

Über sich selbst spricht die Politikerin, die 2004 als Studentin die Linke-Vorläuferorganisation Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit in Hessen mit gründete, wenig. Für Homestorys der Medien steht sie nicht zur Verfügung. Obwohl sie hochprofessionell agiert, wirkt sie doch nahbar. In Hessen ist sie geboren und aufgewachsen, mithin dürfte der Umzug nach Berlin schon eine Umstellung für sie sein. Die Voraussetzungen, ein links denkender und handelnder Mensch zu werden, waren für Janine Wissler nahezu optimal. Gespräche über Politik am Küchentisch habe es in ihrem Elternhaus immer gegeben, erzählt sie. Der Vater war Verkaufsleiter bei einer Baumarktkette und Gewerkschafter, die Mutter Versicherungsangestellte. Sie habe sich in den 1970er Jahren in der DKP engagiert und sei heute wieder auf kommunaler Ebene aktiv. Um sich das Studium der Politikwissenschaften in Frankfurt am Main zu finanzieren, jobbte Wissler als Verkäuferin.

Ansonsten ist bekannt, dass Wissler Fan des Fußballklubs Eintracht Frankfurt ist. Auf ihrem Facebook-Profilbild ist sie kletternd auf steilem Hochgebirgspfad zu sehen - es könnte symbolisch für das stehen, was der Bundestagswahlkampf ihr abverlangen wird. Anfeindungen gibt es nicht nur vom politischen Gegner, sondern durchaus auch von Genossinnen und Genossen, die sie wegen ihrer früheren Aktivität in der als »trotzkistisch« und »sektiererisch« gebrandmarkten und vom Verfassungsschutz als »extremistisch« eingeordneten Gruppierung »Marx 21« für zu radikal und nicht für solide halten.

Fragen nach dieser politischen Herkunft weicht sie übrigens nicht aus, sondern kontert sie geschickt. So sagte sie dem Deutschlandfunk, die Einordnung der linken Gruppierung durch den Inlandsgeheimdienst könne sie »nicht ernst nehmen«. Das komme von einer Behörde, die im Kampf gegen rechts ein »Totalausfall« sei und die noch bis vor Kurzem von dem »rechten Verschwörungsideologen Hans-Georg Maaßen« geleitet worden sei. Auch ihr Eintreten für das, was bei »Marx 21« Rätedemokratie heißt, verteidigt Wissler. Die parlamentarische Demokratie habe erhebliche Leerstellen, sagt sie. Sie müsse dringend durch basisdemokratische Elemente ergänzt werden, gerade im Bereich der Wirtschaft. Denn über viele Fragen, »die unser aller Leben betreffen«, werde nicht in demokratischen Parlamenten entschieden, »sondern in Konzernzentralen«.

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