- Politik
- Nahostkonflikt
EU will im Nahost-Poker mitmischen
Auf einer Sondersitzung beraten die Außenminister über die Eskalation in Israel und Gaza
Ostbalkan, die Türkei, das Verhältnis zu Russland und nun wieder einmal der Dauerbrenner in Nahost: Gleich an mehreren Fronten ist die internationale Lage angespannt, besonders die Regionen in unmittelbarer Nachbarschaft zur Europäischen Union sind betroffen. Die Außenminister ihrer Mitgliedsstaaten tagen mittlerweile in einem engen Takt.
Am Dienstag trafen die Minister per Videokonferenz zusammen, um über den neuen bewaffneten Konflikt zwischen Israel und militanten Organisationen der Palästinenser zu beraten. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wollte dabei ausloten, »wie die EU am besten zu einem Ende der derzeitigen Gewalt beitragen kann«.
Die Kampfhandlungen der vergangenen Tage im asymmetrischen Konflikt zwischen der radikalislamischen Hamas und Israels Streitkräften haben auf beiden Seiten zivile Opfer zur Folge. Mehr als 230 Menschenleben sind zu beklagen, Tausende wurden verletzt, die meisten in Gaza. Bei israelischen Luftangriffen auf das palästinensische Gebiet wurde zivile Infrastruktur mit weggebombt.
Die Auseinandersetzungen haben auch auf das Westjordanland übergegriffen, wo die israelische Armee in den vergangenen Tagen 20 Menschen tötete. Die dort den Ton angebende und mit der Hamas um Einfluss konkurrierende gemäßigte Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte für Dienstag zu einem »Tag des Zorns« und zu einem Generalstreik aufgerufen. Auf israelischer Seite wollen rechtsradikale Hardliner aus dem Blutvergießen innenpolitisch Profit schlagen. Die Regierung des politisch in Bedrängnis befindlichen und mit den Radikalen verbündeten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vom rechten Likud ließ die Situation außer Kontrolle geraten, die sich im Streit um Enteignungen von Palästinensern in Ost-Jerusalem zum Ende des Ramadans hochgeschaukelte hatte.
Entsprechend steht die EU vor keiner leichten Aufgabe. Und sie ist nur eine Stimme im Konzert der Mächte, die auf Krieg und Frieden in der Region Einfluss zu nehmen versuchen. Mit der Sondersitzung der EU-Außenminister reagiert ihr Außenbeauftragter ohne echte Handlungsvollmacht Borrell auch auf Kritik, nachdem er die Eskalation in Nahost zunächst zwei Tage beschwiegen und dann auch nur ein eher blasses Statement abgegeben hatte. Darin verurteilte der Hohe Repräsentant den »wahllosen Abschuss von Raketen durch die Hamas und andere Gruppen auf zivile Ziele in Israel«. Die Regierung Netanjahu forderte er auf, bei der Reaktion auf diese Angriffe die Verhältnismäßigkeit zu wahren und zivile Opfer zu vermeiden. Die Ursachen des Konflikts müssten angegangen, politische Lösungen gefunden, die »ständigen Zyklen der Gewalt durchbrochen« werden. An zweiter Stelle benannte Borrell auch Israels Provokationen und bekräftige die kritische EU-Position gegenüber dem Siedlungsbau in den besetzten Gebieten, den Abrissen und Vertreibungen. Ausdrücklich nannte er hier auch Ost-Jerusalem.
Borrells Zögerlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit ist möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass die EU noch abwartet, wohin in der Nahoststrategie der Administration von US-Präsident Joe Bide der Hase laufen wird. Doch Bidens Administration sortiert sich auf diesem Feld erst noch. Die USA sind der traditionell engste Verbündete Israels. Von Bidens Vorgänger Donald Trump hatte Israel noch Carte blanche erhalten. Die EU hatte Trump dabei links liegen lassen.
Nun könnte sich die Union in die Rolle eines Maklers bringen, mit Beziehungen zu beiden Seiten. Immerhin hängt die palästinensische Autonomiebehörde am Tropf der EU-Hilfsgelder. Auch von Deutschland fordert der Linken-Außenpolitiker Gregor Gysi eine Vermittlerrolle im Konflikt. Er bekräftigte die Forderung, auch an Israel nicht länger deutsche Waffen zu verkaufen.
Die Attacken der Hamas aus dem Gazastreifen mit ungelenkten Raketen auf Ziele in Israel und die massive Vergeltung der Militärmacht haben das Palästina-Problem auf der Agenda der Weltpolitik wieder weit nach oben geschoben – zu einem sehr hohen Preis. Appelle an die Konfliktparteien verhallen, darunter auch Bidens ohne viel Nachdruck vorgetragene nach Waffenruhe. Israel will die Angriffe mit Artillerie und Luftwaffe – bisher gab es mehr als 650 – auf den dichtbesiedelten Küstenstreifen Gaza weiter fortsetzen. Die von Netanjahu angekündigten neuen »Schläge gegen Terrorziele« werden wieder vor allem die palästinensische Zivilbevölkerung treffen.
Lesen Sie auch: Für den Frieden im Nahen Osten. Christian Klemm hält nichts von Solidarität mit den Kriegsparteien.
Vor dem Meeting mit seinen EU-Amtskollegen betonte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), dass die EU zur Beruhigung des Konflikts beitragen müsse – »politisch und humanitär«. Geschehen soll das im Format des Nahost-Quartetts aus den USA, Russland, der EU und den Vereinten Nationen. Eine Feuerpause nannte Maas »erste Priorität«.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!