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Klatsche für Chiles Rechte
Mehrheit für Soziale Bewegungen und Linke macht im Verfassungskonvent den Weg für ein neues Modell frei
Das Ergebnis dieser Wahlen zeigt den radikalen politischen Wandel, in dem wir uns befinden, und in dem der Feminismus eine beispiellose historische Kraft darstellt«, sagt Alondra Carrillo, die zu einem der 155 Mitglieder des Verfassungskonvent gewählt wurde. Sie trat als Kandidatin der Feministischen Koordination 8M an und gehört zu den fünf Aktivistinnen der Plurinationalen Feministischen Verfassungsplattform, die in den Verfassungskonvent gewählt wurden.
Am späten Sonntagabend stand es fest: Linke und Parteiunabhängige werden die Mehrheit im Verfassungskonvent bilden. Die traditionellen Parteien, insbesondere die rechte Regierungskoalition, schnitten besonders schlecht bei der Wahl ab.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Carrillo ist eine von 48 Parteiunabhängigen, die außerhalb der Pakte der politischen Parteien einen Wahlsieg verzeichnen konnten. Hinzu kommen 40 Parteiunabhängige, die auf den Wahllisten der Parteien antraten. Nur 50 der 155 Mitglieder des Verfassungskonvents sind Parteimitglieder. Nur 25 Sitze erhielt die »Lista del Apruebo«, zu der Parteien der ehemaligen »Concertación« gehören, also der Mitte-links-Koalition, die Chile nach der Pinochet-Diktatur (1973-90) von 1990 bis 2010 ununterbrochen regiert hatte.
28 Sitze erhielt »Apruebo Dignidad«, der Wahlpakt aus Kommunistischer Partei und Frente Amplio, einer Koalition, die aus der Student*innenbewegung 2011 entstanden ist. Die medial bekannten Anwälte Daniel Stingo, Fernando Atria und Jaime Bassa, die auf der Liste »Apruebo Dignidad« antraten, gehören zu den fünf Kandidat*innen, die landesweit die meisten Stimmen erhielten.
Für Überraschung sorgte der Erfolg der parteiunabhängigen »Lista del Pueblo« (»Liste des Volks«), die 27 der 155 Sitze erhielt. »Dabei handelt es sich nicht um irgendwelche Parteiunabhängige«, sagt Octavio Avendaño, Politikwissenschaftler an der Universidad de Chile. »Die meisten repräsentieren soziale Organisationen und Bewegungen in verschiedenen Teilen des Landes.« Der Erfolg der Unabhängigen sei einerseits auf das große Misstrauen gegenüber der politischen Parteien zurückzuführen. Andererseits sei er nur möglich gewesen, weil die Parteiunabhängigen anders als bei Parlamentswahlen eigene Listen aufstellen durften.
Das D’Hondt-Verfahren, mit dem die Sitze des Parlaments und auch die des Verfassungskonvents verteilt wurden, bevorzugt große Koalitionen, weil der Wahlerfolg einzelner Kandidat*innen von der Anzahl der Stimmen des jeweiligen Wahlpakts insgesamt abhängt. Rechte Parteien und ihnen nahestehende unabhängige Kandidat*innen hatten sich deshalb zu einem einzigen Pakt (»Vamos por Chile«) zusammengeschlossen. Parteiunabhängige aus dem linken Spektrum und Repräsentant*innen sozialer Bewegungen waren hingegen auf über 70 verschiedenen Listen angetreten.
Die unabhängigen Kandidat*innen hatten außerdem nur eine Sekunde in der offiziellen Fernsehwahlwerbung zugeschrieben bekommen und umgerechnet etwa 450 Euro staatlichen Zuschuss pro Kandidat*in für ihre Wahlkampagnen erhalten. Der rechtskonservative Wahlpakt »Vamos por Chile« hatte hingegen in milliardenschwere Kampagnen investiert, die durch staatliche Parteienfinanzierung und Spenden aus dem Privatsektor gestützt wurden.
Trotzdem und entgegen allen Prognosen erhielten die Rechten aber nur 37 Sitze im Konvent und damit nicht das erwartete Drittel, mit dem sie tief greifende Veränderungen hätten blockieren können. Denn alle Aspekte der neuen Verfassung müssen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit befürwortet werden. »Die Arbeiter*innenklasse in all ihrer Diversität hat denjenigen Sektoren einen Schlag versetzt, die in den vergangenen Jahrzehnten den Neoliberalismus verwaltet haben und so den Weg geöffnet, um mit ihren eigenen Kräften radikale Veränderungen umzusetzen«, sagt Alondra Carrillo.
Während in den Tagen nach der Wahl ein großer Teil der Bevölkerung das Ergebnis als einen Sieg der Demokratie feierte, warnten Investmentbanker und Vertreter von Kreditinstituten in der Tageszeitung »La Tercera«, das Wahlergebnis sei »eine schlechte Nachricht für den Markt«.
Politikwissenschaftler Avendaño bewertet das Ergebnis so: »Es bestehen die Voraussetzungen, um tief greifende Veränderungen umzusetzen, wie zum Beispiel, die Rolle des Staates und des Privateigentums dem Gemeinwohl unterzuordnen oder natürliche Ressourcen und das Wasser zu entprivatisieren. Es ist wahrscheinlich, dass der Neoliberalismus, so wie wir ihn in Chile seit 45 Jahren kennen, überwunden wird.«
Die Privatisierung des Wassers und der natürlichen Ressourcen, die durch die Verfassung aus der Pinochet-Diktatur ermöglicht wurde, ebnete den Weg dafür, das nationale und transnationale Unternehmen sich am Export von Rohstoffen bereichern, während lokale Gemeinden und indigene Völker unter Wassermangel und Umweltverschmutzung leiden. Unter den Mitgliedern des Verfassungskonvents befinden sich mindestens 20 Umweltaktivist*innen aus verschiedenen Regionen Chiles.
Eine von ihnen ist Constanza San Juan aus dem Huasco-Tal in der Atacama-Region. »Die aktuelle Verfassung verankert das neoliberale und extraktivistische Modell, das für die soziale, ökologische und politische Krise verantwortlich ist«, sagt sie. Die 35-Jährige ist Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung Atacama und der Versammlung für das Wasser Huasco Alto, die jahrelang gegen das Bergbauprojekt Pascua-Lama der kanadischen Firma Barrick Gold kämpfte.
Das Projekt hatte bereits in der Erschließungsphase mehrere Gletscher zerstört, die die umliegenden Gemeinden und Ökosysteme mit Wasser versorgen. 2020 lehnte ein Gericht die Genehmigung des Projekts ab und verhängte eine Strafe von 7,6 Millionen Euro gegen das Unternehmen.
»Die sozialen Bewegungen spielen eine fundamentale Rolle im verfassunggebenden Prozess, der am 18. Oktober 2019 begonnen hat«, sagt San Juan. »Diese Bewegungen entwickeln schon seit Jahren ihre Kämpfe und Lösungsvorschläge, und das haben die Wähler*innen anerkannt.« Die Zusammensetzung des Verfassungskonvents sei ein historisches Ereignis für die ganze Welt. »Wir haben die Möglichkeit, eine Verfassung zu schreiben, die eine Antwort gibt auf den Neoliberalismus und auf die ökologische und klimatische Krise, die das Leben auf der gesamten Erde bedroht«, sagt sie.
Der Verfassungskonvent hat außerdem 17 Sitze für die indigenen Völker reserviert, deren Rechte in der aktuellen Verfassung nicht anerkannt werden. Zwar lag die Wahlbeteiligung der indigenen Bevölkerung nur bei knapp 23 Prozent. Aber mehrere bekannte Aktivist*innen gewannen die Wahl. Die meisten Stimmen der Mapuche erhielten Francisca Linconao und Natividad Llanquileo, die sich beide seit Jahren für die Landrechte der Mapuche einsetzen. Sowohl unter den indigenen Völkern als auch bei den generellen Wahlen erhielten weibliche Kandidatinnen mehr Stimmen als die männlichen, was dazu führte, dass der Mechanismus für Geschlechterparität mehr Männern als Frauen zur Wahl in den Konvent verhalf.
»Die Konvention bricht mit allen bisherigen Schemata der Repräsentation. Viele verschiedene Sektoren der Gesellschaft sind in ihr vertreten«, sagt Octavio Avendaño. »Wir sind daran gewöhnt, dass Juristen die Verfassungstexte schreiben, aber das wird nicht der Fall sein.« Etwas weniger als die Hälfte der Mitglieder des Konvents haben zwar Rechtswissenschaften studiert, aber hinzu kommen unter anderem Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen, Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen.
Die sozialen Bewegungen waren nicht nur erfolgreich bei den Wahlen zum Verfassungskonvent. Am selben Wochenende wurden auch Bürgermeister*innen, Stadträte und zum ersten Mal die Regionalregierungen gewählt, die vorher vom Präsidenten delegiert wurden. Bei den Regionalwahlen von Valparaíso siegte Rodrigo Mundaca, Mitglied der Bewegung für das Wasser, die Territorien und die Umwelt Modatima. Sie kämpft seit Jahren gegen die Wasserprivatisierung und gegen den massiven, auf Export ausgerichteten Avocado-Anbau in der unter Dürre leidenden Provinz Petorca.
Im Zentrum Santiagos, wo traditionell rechtskonservativ gewählt wird, gewann zum ersten Mal in der Geschichte eine Kandidatin der Kommunistischen Partei die Bürgermeisterwahl: Irací Hassler. Mit ihrem Projekt »Alcaldía Constituyente« will sie den verfassunggebenden Prozess auf kommunaler Ebene unterstützen. Die linke Koalition Frente Amplio, die aus der Student*innenbewegung 2011 entstand, gewann die Bürgermeister*innenwahlen in elf Kommunen.
Der politische Richtungswechsel, den die Revolte 2019 eingeleitet hat, ist durch die Wahlen jetzt auch auf die politischen Institutionen übergeschwappt und hat die Möglichkeit eröffnet, dass die neue Verfassung das neoliberale Modell überwindet. Trotzdem gibt es noch Hürden: So sind zum Beispiel keine Mechanismen der direkten demokratischen Beteiligung während des Prozesses garantiert. Aber das könnte sich noch ändern. Denn die erste Aufgabe des Konvents ist es, sein eigenes Regelwerk festzulegen.
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»Ich hoffe, dass dieser Sieg des Volks und die Niederlage der kriminellen Rechten, die dem Volk den Krieg erklärt hat, diesen Prozess transformiert und ermöglicht, dass die Bürgerbeteiligung garantiert wird, die politischen Gefangenen der Revolte befreit und die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden«, sagt Carrillo. »Das sollten die Koordinaten für diesen neuen politischen Moment sein.«
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