Der gespaltene Mensch
»Der absolute Tanz«: Eine Berliner Ausstellung erinnert an Bewegungskünstlerinnen der Weimarer Republik
Auch das generische Femininum »Tänzerinnen« ist kein generisches Neutrum, denn in dieser Ausstellung im Berliner Georg Kolbe Museum sind ausschließlich Tänzerinnen zu sehen. Im Blickfeld stehen insgesamt elf Berliner Bewegungskünstlerinnen, deren »absolute Leidenschaft« in den 1920er Jahren die Suche nach der »Absolutheit im körperlichen Ausdruck« gewesen ist und deren Arbeiten auch eine »Absolutheit in der Auffassung zu Grunde« lag. In der internationalen Tanzstadt Berlin, so die Kuratorinnen Brygida Ochaim und Julia Wallner, hätten sie mit ihrem bahnbrechenden Wirken und ihrem selbstbestimmten Auftreten Geschichte geschrieben.
Die Auswahl der Tänzerinnen begründe sich, so die Ausstellungsgestalterinnen, außerdem darin, dass es bei ihnen Bezüge zwischen Tanz und Bildender Kunst gab. Und dass es eben einmal nicht die allseits bekannten der vorangegangenen Generation von Tänzerinnen sein sollten. Die Verbindungen zum Hausherren Georg Kolbe, der parallel zum Begriff des Ausdruckstanzes den Begriff der Ausdrucksplastik fand, sind ebenso vielfältig.
Die titelgebende Bezeichnung »Der absolute Tanz« wird Mary Wigman zugeschrieben, könnte durchaus aber auch - wie so häufig bei solch eingängigen Begriffen - von Rudolf von Delius stammen, der Wigmans Arbeit 1914 mit dieser Bezeichnung zu erfassen suchte. Oder vom Dadaisten Hugo Ball, von dem 1917 Gedanken zum Thema »Absoluter Tanz, absolute Poesie, absolute Kunst« überliefert sind. Vielleicht ist der Urheber auch Artur Michel gewesen, der 1924 sein Manifest »Der absolute Tanz« veröffentlichte.
Zu sehen sind in den zwei Räumen des modernen Museumsanbaus Skulpturen und Zeichnungen, Fotografien und Filme - ausschließlich Originale. Wo es möglich war, werden die Frauen in filmischen oder fotografischen Bildern in ihrem Ausdruck gezeigt, erläutern die Kuratorinnen.
Die Schaffensverläufe und Lebensläufe der hier porträtierten und präsentierten Tänzerinnen könnten unterschiedlicher nicht sein. Auf kompakten Texten werden die Biografien der Künstlerinnen vorgestellt. Hier ein Schnelldurchlauf, um neugierig zu machen: Die wohl bekannteste ist Anita Berber (1899 - 1929), die »Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase« expressiv zur Aufführung brachte. Sie starb sehr jung aufgrund ihres exzessiven Lebens. Ebenso Vera Skoronel (1906 - 1932), die sich vor allem mit dem »abstrakten Tanz« auseinandersetzte und ebenso jung einer Krankheit erlag.
Tatjana Barbakoff (1899 - 1944), bekannt durch Tänze wie »Am Pranger«, »Chinesischer Tanz« oder »Mongolischer Fahnentanz«, wurde in Auschwitz ermordet, und Oda Schottmüller (1905 - 1943), aktives Mitglied des Widerstandskreises »Roten Kapelle«, die gern mit ausdrucksstarken Masken aus Holz auftrat und Tänze wie »Seltsame Stunde«, »Der Gehenkte«, »Verhängnis« oder »Nachtstück« gestaltete, in der Haftanstalt Berlin-Plötzensee hingerichtet. Berthe Trümpy (1895 -1983), die zusammen mit der großen Gret Palucca auftrat und mit Vera Skoronel eine Tanzgruppe gegründet hatte, studierte unter anderem mit Arbeiterchören politische Stücke wie »Der gespaltene Mensch«, »Tönende Kugel« und das Antikriegsstück »Kreuzzug der Maschine« ein. Celly de Rheidt (1889 - 1969) dagegen galt als Pionierin des Nackttanzes, was nicht weniger politisch war. Sie soll anfangs »Schönheitstänze« in Privatwohnungen aufgeführt und später Themen wie »Der Vampir«, »Salome«, »Opium-Vergiftung«, oder »Die Nonne« gestaltet haben. Auch Claire Bauroff (1895 - 1984) erwarb sich einen Ruf als Nackttänzerin, tanzte aber ebenso »Hermes« und den »Speertanz«. Hertha Feist (1896 - 1990) wiederum hatte eine eigene Schule in Berlin-Halensee aufgebaut, in der sie nach der Bewegungs- und Raumlehre Rudolf von Labans unterrichtete, der den Tanz als Ausdruck seelischen Erlebens sah. Sie selbst trat nie nackt auf, dafür jedoch ihre Tänzerinnen im Sinne der Lebensreformbewegungen, die für die freie Entfaltung von Körper und Geist stand. Charlotte Bara (1901 - 1986) debütierte mit einem »Tanz der Mumie«. Über sie schrieb der Maler Heinrich Vogeler, dass sie in ihren Tänzen Trauer, Zusammenbruch und Tod grandios dargestellt habe. Der Bildhauer Kolbe, Namensgeber des Berliner Museums, hat ihre Art zu tanzen in aquarellierten Federzeichnungen beeindruckend überliefert. Und schließlich Jo Mihaly (1902 - 1989), deren Tanz »Der Arbeiter« wohl am bekanntesten ist. Auch sie engagierte sich mit ihrer Kunst zeitlebens politisch. Mihalys Stärke sei es gewesen, so die Kuratorinnen, dass sie es »auf künstlerische Weise schaffte, den Ausdruckstanz ins Erzählerische, Pantomimische zu erweitern«.
Der größte Ausstellungsraum, das Atelier Kolbes, zeigt eine »textile Installation« von Ulla von Brandenburg, geboren 1974. Zu sehen sind neben Gegenständen ihrer (auch im Internet zu erlebenden) Performances, ausgehangene Ballon- und Segelstoffe, aber auch Kostüme der Künstlerin. Sie verantwortet auch die gediegene farbliche Gestaltung der Ausstellung, die das »Museum in den schönsten Farben leuchten lässt«, wie die Kuratorinnen zu Recht schwärmen.
Ein 222 Seiten starkes, an Abbildungen reiches Begleitbuch mit Beiträgen, die auch über den thematischen Rahmen der Ausstellung hinaus das Wechselspiel von Tanz, Fotografie, Bildender Kunst und Ausbildung in Weimarer Zeit thematisieren, verfasst von Gabriele Brandstetter, Yvonne Hardt, Wolfgang Müller, Elke Tesch, Ulrike Traub und vielen anderen, soll alsbald erhältlich sein.
»Der absolute Tanz. Tänzerinnen der Weimarer Republik«, Georg Kolbe Museum Berlin, bis 29. August, täglich 10 bis 18 Uhr, Eintritt 7 €, ermäßigt 5 €; www.georg-kolbe-museum.de
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