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Der bezaubernde Diebstahl
Spaß und Verantwortung
Neulich wurde mir auf besonders charmante Art mein Handy geklaut. Ich war gerade auf dem Weg zur U-Bahn und hörte eine Mozart- arie: »L’ho perduta ... me meschina« - was übersetzt heißt »Ich habe sie verloren ... du kleiner Schuft!«.
Es ist die Arie einer Figur aus der »Hochzeit des Figaro«: Die Kammerdienerin Barbarina sucht eine Nadel, die ein bedeutungsvolles Zeichen der Zuneigung zwischen ihrem Vorgesetzten und ihrer Cousine Susanna ist. Barbarina hat die Nadel verloren und kann damit ihren Auftrag nicht erfüllen, was sie mit Sorge davor erfüllt, von ihrem Herren bestraft zu werden. »Non la trovo ... E il padron cosa dirà?« geht die leidvolle Arie weiter: »Ich kann sie nicht finden. Was wird mein Herr sagen?«.
Auch ich selbst finde es schon immer besonders schmerzhaft und beunruhigend, Dinge zu verlieren - weniger aus Angst vor Strafe, sondern weil es meine seelische Balance aus dem Gleichgewicht bringt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass mir bis vor Kurzem noch nie etwas gestohlen wurde. Trotz meiner üblichen Vorsichtsmaßnahmen passierte es aber neulich, in der Mitte der Arie über die verlorene Nadel: Ich war gerade bei »me meschina« (was man nicht nur als Schimpfwort, sondern auch als »Ich Unglückselige« übersetzen kann) - da hörte die Musik auf.
Ich war irritiert über die plötzliche Stille - so versunken war ich in den tragischen Gesang gewesen. Ich schaute in meine Manteltasche, dann auf den Boden - nichts. Von meinen Ohren baumelten lose die Kopfhörer, die ins Leere führten. In die Stille der Überraschung mischte sich langsam der Straßenlärm. Plötzlich nahm ich Rufe wahr, die an mich gerichtet zu sein schienen. Ich schaute mich um und sah in das Gesicht eines Mopses. Der Mops schaute aus dem Fenster eines kleinen Transporters, der neben mir an der roten Ampel stand. Hinter dem Mops erschien das Gesicht einer Frau. Die Frau rief mir immer wieder zu: »Der Mann mit der gelben Mütze!«
Ich drehte mich in die andere Richtung und sah einen Mann mit einer knallgelben Pudelmütze langsam davonschlurfen. Andere Menschen hatten die Szene wahrgenommen und schauten mir bei meiner Reaktion zu. Obwohl mir niemand zur Hilfe eilte, spürte ich die träge Unterstützung der Umstehenden. Aufgrund meiner unpraktischen Plateauschuhe konnte ich dem »Mann mit der gelben Mütze« nur langsam hinterhereilen, trotzdem hatte ich ihn schnell eingeholt: Er war derartig gelassen den Bürgersteig entlang getigert, dass ich ihn auch in Zeitlupe eingeholt hätte.
»Ich Unglückselige« tippte also dem »Schuft« mit der leuchtenden Pudelmütze von hinten auf die Schulter und sagte: »Kann ich mein Handy wiederhaben?«. Der »Schuft« schaute mich mit glasigen Augen an, überlegte eine Sekunde, griff dann in seine Tasche und händigte mir mein iPhone aus. Ich bedankte mich, stöpselte die Kopfhörer wieder ein und widmete mich erneut dem tragischen Gesang Barbarinas. Dann spazierte ich in Richtung der Frau hinter dem Mopsgesicht und nahm einen Kopfhörer aus dem Ohr, um mich bei ihr zu bedanken. Sie machte mir ein Kompliment für meinen Mantel.
Seit diesem bezaubernden Diebstahl fühle ich mich neu mit meiner Nachbarschaft verbunden. Dass ein eigentlich krimineller Akt sich auf eine so harmonische Art lösen ließ, ganz ohne Zurschaustellen des Dramas (oder der damit einhergehenden Moralvorstellungen), begeisterte mich. Ohne Groll hatte ich mein Eigentum zurückverlangt, ohne Groll war es mir ausgehändigt worden.
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Ähnlich erging es mir, als ich neulich in meinem Lieblingsbus beim Schwarzfahren erwischt wurde, ich war gerade erst eingestiegen. Der Kontrolleur erklärte mir ganz sachlich, dass ich nun (leider) Strafe zahlen müsse - und ich akzeptierte das, ebenfalls freundlich. Der Dieb und ich - wir beide waren großzügige Verlierer*innen in einem fair gespielten Spiel. »Nach dem Spiel ist vor dem Spiel« dachte ich mir also - und fuhr auf der Rückfahrt gleich wieder schwarz. Wie wahrscheinlich ist es schon, dass man zweimal am Tag erwischt wird!
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