Soziale Kälte und Treten nach unten

Von wegen Partei der einfachen Leute: Die Sozialpolitik der AfD ist von Ignoranz, Unternehmensinteressen und Nationalismus geprägt

  • Katja Kipping und Caren Lay
  • Lesedauer: 8 Min.

In dem 47 Seiten langen Sozialkonzept der AfD werden keinerlei Maßnahmen im Kampf gegen Kinderarmut wie die Kindergrundsicherung erwähnt. Selbst beim Thema Kindergeld, das nach AfD so erhalten bleiben soll, wie es ist, beschäftigten sie lediglich die »Missbrauchsmöglichkeiten«.

Dass Millionen Kinder hierzulande in Armut leben, scheint die AfD nicht umzutreiben, ganz im Gegensatz zu Abtreibungen, also das Recht von Frauen über den eigenen Körper, die sie möglichst unterbinden wollen. So leidenschaftslos die AfD bei Armutsquoten von Kindern ist, so pathetisch wird es beim Thema Geburtenrate. Diese zu steigern diene der »Bewahrung unserer Kultur und zum Fortbestand unseres Volkes«.

Kein Wort zu Bildungsungerechtigkeit, dafür gegen längeres gemeinsames Lernen

Der Armutsbericht der Regierung offenbart das Ausmaß der Bildungsungerechtigkeit in Deutschland: 79 Prozent der Jugendlichen aus reichen Haushalten gehen auf Gymnasien, aus den armen Haushalten hingegen nur 27 Prozent. Und je früher Kinder auf verschiedene Schularten aufgeteilt werden, umso mehr werden die sozialen Unterschiede aus den Elternhäusern verstärkt. Doch diese Ungerechtigkeit ficht die AfD nicht an.

Im Gegenteil, längeres gemeinsames Lernen diffamiert sie als »nicht bildungsgerechtes Bildungsexperiment«. Auch in ihrem Grundsatzprogramm wird die frühe Aufteilung in unterschiedliche Schularten begrüßt: »Schüler haben unterschiedliche Begabungen und Bedürfnisse. Deshalb lehnt die AfD alle Arten von Gesamt- oder Einheitsschulen ab.« Im Klartext: Frühe Aufteilung ist gewollt. Hier scheint der soziale Chauvinismus schon beim Reden über Kinder durch.

Die Frage, wie man Kindern, die von zu Hause aus nicht so viel Bildungskapital mit auf den Weg bekommen, besser unterstützen kann, ist der AfD noch nicht mal eine perspektivische Fußnote wert. Dafür steht für sie fest, dass »Projekte wie ›Schule mit Courage‹, ›Schule gegen Rassismus‹ oder ›Demokratie leben‹ sofort beendet werden«.

Kein Wort gegen prekäre Arbeit von Leiharbeitern

Wer unter unsicherer, prekärer Arbeit wie Leiharbeit oder sachgrundlosen Befristungen leidet, die die Erpressbarkeit von Beschäftigten und den Stress erhöhen, hat von der AfD nichts zu erwarten. In ihrem Grundsatzprogramm sowie in ihrem Sozialprogramm findet sich dazu nichts.

Auch zur notwendigen Erhöhung der Einkommen des Pflegepersonals oder des Mindestlohnes findet sich kein Wort. Bei der AfD hat man sich lediglich dazu durchgerungen, den Mindestlohn beizubehalten.

Mehr Sanktionen statt Überwindung von Hartz IV

Auch die Sorgen und Nöte von Menschen im Hartz-IV-System sind der AfD keine Zeile wert. Lediglich in einem Satz führt sie in ihrem Grundsatzprogramm aus, dass sie das Arbeitslosengeld II durch eine »Aktivierende Grundsicherung« ersetzen möchte. Dabei ist der AfD nur eins wichtig: Dass derjenige, der nicht arbeitet, weniger hat. Ganz im Sinne des Sozial-Chauvinismus: Es gibt für die Armen keinen Euro mehr, keine Linderung der Armut, aber es gibt den Hinweis auf Gruppen, gegen die man sich nach unten abgrenzen kann.

Ansonsten enthält das Sozialprogramm keine Ausführungen zum Charakter dieser aktivierenden Grundsicherung. Aussagen von AfD-Abgeordneten im Bundestag und im Ausschuss für Arbeit und Soziales vermitteln jedoch eine Ahnung, was die AfD mit aktivierend meint: mehr Sanktionen, mehr Schikane, weniger Geld für Hartz-IV-Betroffene. Hätte die AfD in der Sozialpolitik das Sagen, müssten sich die Betroffenen eher auf Hartz V oder Hartz VI einstellen, statt auf Verbesserungen hoffen zu können.

Wenn’s um Hartz IV geht, vergiss die Peitsche nicht, die Perspektive der AfD

Im November 2019 urteilte das Bundesverfassungsgericht über die Hartz-IV-Sanktionspraxis und erklärte sie zum Teil für nicht vereinbar mit dem Sozialstaatsgebot und der Menschenwürde. Kurz darauf wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales über die Konsequenzen dieses Urteils gesprochen. Während Linke und Grüne das Urteil als wichtigen sozialen Fortschritt begrüßten, sagte der AfD-Mann Schneider, dass Ärgerliche an dem Urteil sei, dass man so der Politik »die Peitsche genommen habe«. Und er legte noch nach: »Früher hieß es, haste Hartz IV gehört der Tag dir. Jetzt würde es heißen: Haste Hartz IV gehört der Monat dir.« Wenn es um das Stigmatisieren von Hartz-IV-Betroffenen geht, ziehen Rechtspopulisten und Neoliberale offensichtlich an einem Strang.

Gegen soziale Verbesserungen - das Agieren der AfD im Bundestag

Auch während der Coronakrise zeigte das Agieren der AfD im Bundestag immer wieder eins: Die sozialen Nöte der Arbeitslosen und Armen sind ihnen egal und werden von den AfD-Redner*innen diffamiert. Hier einige Beispiele aus der Rubrik »Nur falls noch irgendjemand glaubt, die AfD kümmere sich zumindest um die Sorgen der kleinen Leute.«

Am 12. Februar wird im Bundestag über den Gesetzentwurf der Regierung für einen einmaligen Pandemie-Zuschlag für die Ärmsten abgestimmt. Nun gab es an diesem Entwurf viel zu kritisieren. Beispielsweise kritisiert ein Bündnis von 41 Sozialverbänden und Gewerkschaften zusammen mit der Linken, dass es sich nur um einen einmaligen Zuschuss handelt, wo doch die durch die Coronakrise bedingten Mehrkosten monatlich anfallen. Doch der AfD ist selbst die einmalige Zahlung von 150 Euro an die Ärmsten zu viel, sie bezeichnet das als »sozialistisch« und offenbart somit ihre Unkenntnis - sowohl über die sozialen Nöte als auch über Sozialismus.

Am 11. Februar wird im Bundestag ein Antrag der Linksfraktion zur Einführung eines Mindestkurzarbeitergeldes von 1200 Euro im Monat behandelt. Eine Forderung, die auch von Gewerkschaften erhoben wird und von den vielen unterstützt wird, deren Kurzarbeitergeld so gering ausfällt, dass sie ihre laufenden Kosten nicht decken können - und das komplett unverschuldet. Auch diese soziale Verbesserung lehnt die AfD strikt ab. Dies sei »gegen die Marktwirtschaft.«

Als am 29. Januar der Antrag der Linksfraktion auf einen monatlichen Corona-Zuschlag für die Ärmsten, auch für Menschen mit Sozialrenten behandelt wird, gibt es Gegenwind von der Regierung, aber auch von der AfD. Deren Redner spricht von einer »Zumutung für den deutschen Steuerzahler«. Dass man solche Sozialleistungen auch finanzieren könnte, indem man Millionengewinne oder Millionenerbschaften stärker besteuert, kommt ihm gar nicht in den Sinn.

Das war nur eine kleine Sammlung von Beispielen dafür, dass die AfD nicht nur rassistische Vorurteile schürt und gegen Flüchtende in Not hetzt, sondern auch gegen arme Deutsche in Not hetzt. Im Klartext: Die AfD steht für soziale Kälte und Treten nach unten.

Wohnungspolitik für das Kapital, Verachtung für Mieter*innen

In jeder Debatte zur Wohnungsfrage, in jedem ihrer wenigen Anträge dazu stellt sich die AfD an die Seite des Kapitals, der Vermieter*innen und Konzerne - und nicht an die Seite von Mieter*innen. Gleichzeitig wird versucht, die Wohnungs- und Mietenkrise dem Zuzug von Migrant*innen in die Schuhe zu schieben - dabei sind die Probleme auf dem Wohnungsmarkt älter und durch eine falsche Politik hausgemacht. Staatliche Eingriffe in die Wohnungsmärkte werden verteufelt.

Mit der Deregulierung im Miet- und Baurecht will die AfD die Bau- und Immobilienwirtschaft von Sozialverpflichtungen befreien. Initiativen, die mehr Rechte für Mieter*innen fordern, werden abgelehnt. Kommunale Eingriffsrechte wie das Vorkaufsrecht möchte die AfD schleifen - statt auszubauen. Für Anhörung und Fachgespräche von Bundestagsausschüssen benennt die AfD Sachverständige aus Lobbyverbänden und Anwaltskanzleien der Immobilienwirtschaft. Diese eindeutige Parteinahme wird von Immobilienmillionären mit großzügigen Spenden goutiert. Anfang 2020 erhielt die Thüringer Höcke-AfD 100 000 Euro vom Berliner Baulöwen Christian Krawinkel. Parteichef Jörg Meuten und Fraktionschefin Alice Weidel stecken knietief im Sumpf illegaler Wahlkampfspenden vom Immobilienmilliardär Henning Conle, für die sie schon zu erheblichen Geldstrafen verurteilt wurden.

AfD stellt sich gegen die Regulierung von Mietpreisen

Die AfD macht sich weniger Sorgen um die Situation von Mieter*innen als um Eingriffe ins Privateigentum. Sie stellt sich gegen jede Regulierung von Mietpreisen. So fordert der Bauunternehmer und reichsbürgernahe wohnungspolitische Sprecher Udo Hemmelgarn bei jeder Gelegenheit die »komplette Aufhebung der irrsinnigen Mietpreisbremse« (z.B. am 18. Oktober 2019 im Bundestagsplenum). Auch Modernisierungskosten sollen weiter unbegrenzt umgelegt werden können. Gegen die immer höheren Wohnkostenbelastungen und die Verdrängung von Mieter*innen aus ihrem Lebensumfeld hat die AfD keinen einzigen Vorschlag gemacht. Im Gegenteil: Sie zeichnet das Zerrbild von »Mietnomaden«, bezeichnet Menschen mit Schwierigkeiten, ihre Miete zu zahlen, als »Schädlinge« (Jens Maier am 2. Juli 2020 im Bundestag) und kann sich minimale Verbesserungen beim Kündigungsschutz höchstens dann vorstellen, wenn gleichzeitig die Zwangsräumungen von Menschen aus ihren Wohnungen erleichtert werden (AfD-Gesetzentwurf).

Obwohl die Anzahl der Sozialwohnungen auf einem historischen Tiefstand ist, wollte die AfD gleich in ihren ersten Haushaltsberatungen die Gelder für den Sozialen Wohnungsbau kürzen. Sie war außerdem die einzige Partei im gesamten Bundestag, die gegen die dringend notwendige Verlängerung der Bundesförderung für den Bau von Sozialwohnungen gestimmt hat. Ob Menschen, die auf günstige Mieten angewiesen sind, bezahlbare Wohnungen finden, ist der AfD egal.

AfD will die Gesellschaft in der sozialen Frage spalten

Wie auch schon in den Bundesländern spielt die AfD-Fraktion Wohnungs- und Obdachlose gegeneinander aus und nutzt das Thema, um die Wohnungsfrage für ihr rassistisches und neoliberales Programm zu missbrauchen. Dabei spaltet sie die schwächsten Gruppen in der Gesellschaft. Sie will Wohnungslose nach Pässen sortieren und »deutsche« Wohnungslose als benachteiligt gegenüber Geflüchteten und »Armutseinwandern« aus Ost- und Südosteuropa darstellen (Antrag im Bundestag). Überhaupt seien am Wohnungsmangel - wie an jedem anderen Problem auch - »die Migranten« Schuld (Antrag im Bundestag).

Die Antwort der AfD auf Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot lautet letztlich Abschiebung, das machen AfD-Abgeordnete im Plenum wiederholt deutlich. Im durchsichtigen Versuch, Geflüchtete und Menschen nichtdeutscher Herkunft für die Wohnungskrise verantwortlich zu machen, scheitert die AfD allerdings an den Fakten. Denn zum einen hat die Wohnungskrise ihre Ursache in der Finanzkrise 2008/2009, in Immobilienspekulation, Bodenpreisexplosion und Fehlern der Politik, aber nicht im Sommer der Migration. Und zum anderen sind Geflüchtete und Menschen mit Migration selbst am stärksten von Wohnungsnot und Diskriminierung bei der Wohnungssuche betroffen.

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