- Politik
- Nahostkonflikt
»Frieden ist unsere einzige Option«
Seit einer guten Woche ruhen im Nahen Osten die Waffen. Aber wie schafft man echten Frieden?
Am vergangenen Freitagnachmittag beteten die Palästinenser wieder unter klarem Himmel, bei Sonnenuntergang fiel die Schabbatruhe über israelische Städte – und keine Raketen mehr. Doch nach zwölf Kriegstagen und 260 Toten klaffen die Wunden zwischen Jordan und Mittelmeer – und der Schmerz strahlt bis in die Diaspora. Sechs Menschen aus Deutschland erzählen, an welchen Frieden sie jetzt noch glauben können.
»Wir brauchen keine weitere Grenze«
Nach seinem Militärdienst hat Tomer sich entschieden, Israel zu verlassen. Heute übersetzt er in Berlin deutsche Prosa und Theorie ins Hebräische
Für Frieden im Nahen Osten brauchen wir Gleichberechtigung zwischen Juden und Palästinensern. Im ganzen Land. Ich glaube nicht an die Zweistaatenlösung, aus zwei Gründen: Erstens gibt es viele Juden in Palästina und viele Palästinenser in Israel. Die Migration von Millionen von Menschen von einer Seite zur anderen ist einfach unpraktisch und unmoralisch. Zweitens: Das letzte, was dieses Gebiet braucht, ist noch eine Grenze. Sowohl in Israel als auch in Palästina ist man in der europäischen Konzeption des Nationalstaats gefangen. Diese Idee ist dieser Region und der politischen Lage fremd. Der Gedanke, dass ein Volk ohne das eigene, unteilbare Land, wo dieses Volk die absolute Macht hat, nicht vollständig ist, oder seine Selbstbestimmung ohne dies verliert, ist veraltet und schädigend. Selbst in Europa ist diese Vorstellung immer wieder gescheitert, nicht zuletzt in den ehemaligen Kolonien. Man muss verstehen, dass es in diesem Konflikt nicht um Religion geht, und auch nicht um Geografie. Außer einigen kindischen Ideologen wissen doch alle, dass weder die Juden noch die Palästinenser dieses Land verlassen werden. Dieser Konflikt geht nur um eines: gleiche Rechte – im tieferen Sinne. Das Recht, von den Sicherheitsbehörden geschützt zu werden, das Recht, die gleiche Baugenehmigungen zu bekommen, das Recht, nicht diskriminiert zu werken, kurz gesagt: das Recht, Teil dieses Staates zu sein.
Und wenn jemand denkt, dass es das Ende des Judentums sein wird, wenn wir das Land mit einer anderen Nation teilen, sollte der die Geschichte meines Volkes besser lernen. Das Judentum existierte längst vor dem Staat Israel, es lebt in der Literatur, Kunst, Religion, Philosophie. Wir müssen damit aufhören, den Nationalstaat als den wesentlichsten Teil unserer Identität zu betrachten. Wir werden auch in einem binationalen Staat sicher sein – wahrscheinlich sicherer als jetzt.
»So ein Frieden ist eine Riesenarbeit«
Amirs palästinensischer Vater lernte beim Studium in Rumänien seine Frau kennen und zog mit ihr nach Deutschland. Dort kam Amir 1987 zur Welt
Frieden ist ein Zustand, in dem man frei und frei von Gewalt leben kann. In dem man sich respektiert und auf Augenhöhe begegnet. Das ist noch möglich, aber kompliziert. Ich glaube nicht an die Zweistaatenlösung. Ich glaube an einen Staat, in dem alle Menschen gleichberechtigt leben können. So, wie Israel im Moment existiert, so wie es rechtlich funktioniert, kann es folglich keinen Frieden geben.
Wie ich zu dieser Auffassung komme? Als ich mit meiner Kamera in den Flüchtlingslagern der Westbank oder in Gaza unterwegs war, habe ich die Leute gefragt: Kann es Frieden geben? Fast alle sagten Nein. Aber als ich sie dann fragte, wie sie es fänden, die gleichen Rechte wie die Israelis zu haben, den gleichen Pass, wenn sie das gleiche Geld verdienen könnten, und sich frei bewegen dürften, auch die Dörfer besuchen, wo ihre Familien herkommen – da lenkten sie plötzlich ein und sagten: »Ja, wenn das so wäre, dann könnten wir uns einen Frieden vorstellen.«
So ein Frieden ist natürlich eine Riesenarbeit. Wir bräuchten wesentlich liberalere Regierungen: Die streng nationalistische Netanjahu-Regierung unterwandert systematisch jede da gewesene Chance auf Frieden. Bei den Palästinensern jemand Stärkeren als den Abbas, der meiner Meinung nach eher eine Marionette als ein guter Politiker ist. Trotzdem bin ich optimistisch. Mein Wunsch ist, dass wir die Apartheid auflösen und irgendwie zusammenfinden.
»Wir sollten direkt miteinander sprechen«
Rinas Familie zog von Russland nach Israel, als sie ein Kind war. Nach 25 Jahren verließ sie das Land, um in Berlin Kunst zu machen und zu lehren
Frieden wäre, wenn ich mich darauf verlassen könnte, dass meiner Familie keine Gewalt mehr angetan würde – dass diese Ängste auf beiden Seiten verschwinden. Ich glaube an den Frieden. Die Bedingung dafür wäre allerdings, die Führer beider Seiten komplett auszutauschen. Israelis und Palästinenser sollten anfangen, direkt miteinander zu sprechen, ohne den Umweg über die Politiker oder irgendwelche Medien zu nehmen. In meinen Workshops habe ich Araber und Muslime getroffen, mit denen ich heute eng befreundet bin. Wir sind also mehr als befähigt, miteinander zu sprechen und uns zu verstehen. Wie man den Extremisten auf beiden Seiten die Macht nimmt, weiß ich auch nicht. Aber das wäre der erste Schritt zur Veränderung.
In meinen rosigsten Träumen stelle ich mir vor, dass wir ökonomisch kooperieren – Geschäfte, die von Israelis und Palästinensern gemeinsam betrieben werden, Tourismus zwischen beiden Ländern. Ich möchte sehen, wie den arabischen Bürgern und den Palästinensern mit Respekt begegnet wird, und ich will ein Ende des Terrors gegen die israelische Bevölkerung. Umso mehr Terror geschieht, umso weniger werden sie die andere Seite verstehen.
»Nur eine Zweistaatenlösung ist realistisch«
Lobnas Großeltern wurden 1948 aus Lod und Jaffa vertrieben und verewigen seitdem ihre Heimat in Bildern. Zwischen dieser Kunst wächst Lobna in Deutschland auf. Heute engagiert sie sich in palästinensischen Projekten
Ganz generell bedeutet Frieden für mich nicht nur kein Krieg, sondern auch Zufriedenheit, Sicherheit und ein Stück weit auch glücklich zu sein. Je länger es im Nahen Osten dauert, überhaupt eine Lösung zu finden, desto schwieriger wird es mit diesem Frieden. Beide Seiten sind verhärtet und kaum zu Verhandlungen bereit. Im Idealfall gäbe es einen gemeinsamen Staat mit einer Regierung, gebildet aus Vertretern beider Nationen. Dazu müssten unter anderem auf politischer Ebene die rechten und radikalen Parteien an Macht verlieren und die Palästinenser aus der Westbank und Gaza ebenbürtig wie israelische Bürger behandelt werden. Gleichzeitig müssten die Gesetze so verändert werden, dass Palästinenser gleich und nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.
Ich glaube, dass nur eine Zweistaatenlösung realistisch ist. Zwei einzelne Staaten, mit eigenen Regierungen – der Palästinensische Staat uneingeschränkt innerhalb der Grenze von 1967. Hier wäre vor allem wichtig, dass der Siedlungsbau gestoppt würde, alle Siedler auf israelische Seite umziehen, der Mauerbau auf palästinensischem Gebiet beendet würde und vor allem die Mauer dort zurück gebaut wird, wo Ressourcen nun auf israelischer statt palästinensischer Seite liegen. Es müsste eine ordentlich gewählte, international anerkannte Regierung geben, die die Interessen des palästinensischen Volkes vertritt. Die radikalen Parteien müssten dazu entmachtet werden. Den Palästinensern, die in Flüchtlingslagern und der Diaspora leben, sollte ein Leben innerhalb Palästinas wieder ermöglicht werden.
Dazu ist es im Vorfeld wichtig, dass Palästina eigene internationale Handelsbeziehungen aufbauen kann und eine eigene Infrastruktur – inklusive Gesundheitssystem –, eine eigenständige Wirtschaft und eine funktionierende Sicherheitsbehörde aufbaut. Ich denke, ohne diesen Vorlauf zur Bildung eines selbstständigen Staates könnte ein Staat Palästina nicht bestehen. Für diese Schritte würde das neue Palästina erst mal etwas internationale Hilfe und Unterstützung benötigen, um dann als stabiler Staat seinen Bewohnern eine solide Heimat bieten zu können.
»Wir müssen uns zuerst gegenseitig anerkennen«
Nach seinem deutschen Abitur reiste Asaf nach Israel. Dort hat er sich zuerst in das Land und dann in seine Frau verliebt. Coronabedingt sind die beiden in Frankfurt gestrandet, hoffen aber bald nach Israel zurückzukehren
Natürlich könnte man den jetzigen Waffenstillstand auch als eine Art Frieden bezeichnen. Aber echter Frieden ist für mich erst da, wenn sich die Individuen gegenseitig mit Respekt voreinander begegnen.
Ob Frieden noch möglich wird, kommt darauf an, wer überhaupt mit wem Frieden schließen kann. Es gibt viele Gruppen: Allein unter den arabischen Israelis gibt es zum Beispiel Muslime, Christen, Drusen und Beduinen, die untereinander sehr unterschiedliche Einstellungen zum Staat Israel haben.
Momentan sticht vor allem die Hamas als ein Akteur der Palästinenser hervor. Aber Israel wird keinen Frieden mit einer Terrororganisation schließen. Solange Israels Bürger, sowohl die jüdischen als auch die arabischen, durch Raketen der Hamas in Lebensgefahr sind, und die Hamas ihre politische Ausrichtung nicht ändert, wird es keinen Frieden, sondern immer nur diese Waffenstillstände für vier oder fünf Jahre geben, bis es wieder eskaliert.
Langfristig können wir natürlich über die Einstaatenlösung oder Zweistaatenlösung sprechen, aber das sind sehr theoretische Begriffe – und schwer in der Praxis umzusetzen. Die Einstaatenlösung wird nicht passieren, weil die jüdische Bevölkerung nicht bereit ist, ihre Mehrheitsstellung im Land aufzugeben. Aber auch die Palästinenser wollen wahrscheinlich gar nicht in Israel eingebürgert werden. Die Zweitstaatenlösung ist auch kompliziert, allein schon geografisch, aber auch, weil einige Palästinenser das ganze Land für sich beanspruchen. Hierin liegt für mich die Wurzel des Konflikts. Solange sich die Palästinenser nicht darin einig werden, dass es einen jüdischen Staat gibt, und dieser auch nirgendwo anders entstehen wird, gibt es keine Verhandlungsbasis für einen Frieden.
Für die Palästinenser wünsche ich mir bessere Lebensumstände, finanzielle Unterstützung, gute Bildung. Sie sollten so akzeptiert werden, wie sie sind. Das gilt aber für beide Seiten: Uns gegenseitig anzuerkennen, ohne uns mit Stereotypen zu begegnen, das wäre ein erster Schritt, bis zu dem es noch lange dauern wird. Aber erst danach können wir über echten Frieden sprechen.
»Es fängt an mit denen, die an der Macht sind«
Theodor ist zum Studium nach Deutschland gekommen. Seine christlich-palästinensische Familie besucht er trotzdem jedes Jahr
Frieden ist immer möglich. Frieden ist die einzige Option, die wir haben. Frieden fängt an mit denen, die gerade an der Macht sind, also mit Israel. Eine andere Möglichkeit, das hat die Erfahrung mit der Apartheid in Südafrika gezeigt, wäre der Druck von außen. Aber man kann sich nicht Frieden im Nahen Osten wünschen und gleichzeitig die Region oder Israel weiter bewaffnen, Israels Siedlungspolitik kritisieren, aber trotzdem keine Konsequenzen zeigen. Frieden kommt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Israels illegale Siedlungspolitik muss als erstes gestoppt werden. Zweitens dürfen die palästinensischen Bürger Israels nicht als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Alle Palästinenser verdienen Anerkennung – ob im Westjordanland, in Gaza, in Jerusalem, in den Flüchtlingslagern, im Exil, oder innerhalb Israels. Sie sollten als ein Volk betrachtet werden, das mit der Gründung Israels seine Heimat verloren hat und dessen Leid kompensiert werden möchte.
Frieden bedeutet, dass ich als Palästinenser, der aus Jerusalem vertrieben wurde, auch das Recht zurückerlange, in dieser Stadt zu leben oder sie schlicht zu besuchen, was mir bis heute nicht erlaubt ist. Ich wünsche mir Gleichberechtigung. Wie die in Zukunft genau aussehen soll, ist unklar, aber die Schritte, die ich beschrieben habe, um Frieden und Gerechtigkeit zu erreichen, sind doch klar und machbar.
Um alle Befragten zu schützen, nennen wir nur ihre Vornamen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.