Italiens »Monster« kommt vorzeitig frei

Die Entlassung des Cosa-Nostra-Bosses Giovanni Brusca rückt das Thema Mafia wieder in den Blick

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.

Er selbst hat sich als »Monster« bezeichnet und seine anderen »Spitznamen« sind »Schwein« und »Christen-Abstecher«. Die Rede ist von Giovanni Brusca, dem wohl blutrünstigsten Boss, den die sizilianische Mafia je hervorgebracht hat. Nachdem er eine 25-jährige Haftstrafe verbüßt hat, ist der 64-jährige Sizilianer jetzt wieder auf freiem Fuß. In den kommenden vier Jahren wird er unter permanenter Aufsicht stehen und auch Personenschutz haben, da anzunehmen ist, dass ihm viele seiner ehemaligen Kumpane nach dem Leben trachten.

»Ich habe Giovanni Falcone getötet. Ich habe über 150 Morde verübt oder persönlich angeordnet. An die Namen aller kann ich mich nicht mehr erinnern. Es waren aber sicher einige mehr als 100 und weniger als 200.« Das erklärte der Mafia-Boss Giovanni Brusca nach seiner Verhaftung im Mai 1996. Unter seinen Opfern ist außer dem Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone, dessen Frau und den fünf Männern seiner Eskorte, die er mit einer Autobombe in die Luft sprengte, auch Giuseppe Di Matteo, Sohn eines »Verräters«, den das Monster Brusca entführen ließ, als der Junge zwölf war, den er dann gefangen hielt und drei Jahre später eigenhändig erwürgte und seine Leiche schließlich in ein Säurefass warf.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Er wurde zu »nur« 25 Jahren Haft verurteilt, weil er mit der Justiz zusammenarbeitete, viele Verbrechen der Mafia aufzuklären half und vor allem die Strukturen der Verbrecherorganisation offenlegte, wodurch die Bekämpfung von Cosa Nostra dann beachtliche Erfolge erzielen konnte. Das Gesetz, das den »Abtrünnigen« eine Hafterleichterung verspricht, hatte unter anderen gerade Giovanni Falcone, der Mafia-Jäger, ausgearbeitet, weil ihm klar war, dass die Mitarbeit der Bosse nur möglich sein würde, wenn man ihnen irgendeine Perspektive dafür lieferte.

Die Freilassung von Brusca hat in Italien die Emotionen überkochen lassen. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, was sich dieser Mann, der sich jetzt wieder mehr oder weniger frei bewegen kann, alles hat zu Schulden kommen lassen. Die Schwester von Giovanni Falcone, Maria, die sich in den letzten Jahrzehnten immer gegen die Mafia eingesetzt hat, hat es verstanden, den Widerspruch zwischen den eigenen Gefühlen und dem Recht auszudrücken: »Persönlich bin ich wegen der Freilassung todtraurig. Aber so will es das Gesetz und das Gesetz ist gut.«

Vielleicht hat die Haftentlassung des »Christen-Abstechers« aber auch eine gute Seite. Es könnte sein, dass jetzt das Thema »Mafia« wieder in der öffentlichen Agenda Platz findet. Das ist nämlich in den letzten Jahren fast völlig in Vergessenheit geraten. Erst die vielen Regierungskrisen, die politischen Umwälzungen und zuletzt die Pandemie mit all ihren sozialen Problemen scheinen alles andere - und sei es noch so wichtig - überrollt zu haben. Selbst der »neue« Ministerpräsident Mario Draghi hat bisher das Wort »Organisierte Kriminalität« kaum in den Mund genommen.

Die Bekämpfung der Mafia - oder besser gesagt der vier großen Organisationen, die inzwischen in ganz Europa das öffentliche Leben mitbestimmen -, die über Jahrzehnte zumindest verbal einer der wichtigsten Programmpunkte aller Regierungen war, kommt kaum noch vor. Im Gegenteil: Gerade jetzt fordern Politiker - auch innerhalb der Regierung -, dass man die stringente Anti-Mafia-Gesetzgebung aufweichen sollte, um den Wirtschaftsaufschwung zu begünstigen. Viele wollen zum Beispiel weniger Kontrollen bei der Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen, durch die sich die Mafia seit eh und je mitfinanziert.

Sicherlich stimmt es, dass die Mafia, zumindest die sizilianische Cosa Nostra, in den vergangenen Jahren keine aufsehenerregenden Attentate oder Morde mehr verübt hat. Das heißt aber noch lange nicht, dass es sie nicht mehr gibt. Die Mafia mordet ja nicht »aus Spaß«, sondern nur dann, wenn sie meint, dass es für das Erlangen ihrer Ziele unabdingbar ist. Und ihre Ziele sind immer die gleichen: mehr Einfluss, mehr Macht und mehr Geld. Man könnte sogar sagen, dass es der Mafia immer dann besonders gut geht, wenn sie meint, nicht morden zu müssen.

Auch interessant: Erst der Tourismus, jetzt das Abendgeschäft. In Italien nutzen Kriminelle und Neonazis den Zorn über die Coronamaßnahmen

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.