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Kinder- statt Klassenkampf
Wer die Pflege bezahlt, sollte sich nicht am Kind, sondern am Geldbeutel entscheiden.
Der deutsche Familismus hat mal wieder zugeschlagen: Ab 2022 sollen sogenannte Kinderlose 0,1 Prozent mehr in die gesetzliche Pflegeversicherung einzahlen als Kinderreiche (um das Spiel mit den Suffixen einmal konsequent zu Ende zu führen). 400 Millionen Euro sollen sie dem Staat damit zusätzlich einbringen. Bezahlt werden soll davon unter anderem, dass Pfleger*innen ab Herbst nächsten Jahres höhere Löhne nach Tarif erhalten. Ein löbliches Ziel. Die Mittel sind es weniger.
Denn im Klartext bedeutet das auch, dass künftig eine unverheiratete Pflegerin ohne Kinder prozentual mehr in die gesetzliche Pflegeversicherung einbezahlt, als, sagen wir, ein verheirateter Investmentbanker mit zwei Kindern. Im Zweifel zahlt der dort übrigens überhaupt nichts ein, weil er, wie so viele gut verdienende Menschen, darunter Politiker*innen, Ärzt*innen und Beamte, privat versichert ist. Und wenn doch, wird ihn die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze vor einem allzu hohen Beitrag bewahren. Obendrauf kommt dann noch das Ehegattensplitting – bei dem der hypothetische Banker nach jetzigem Stand umso mehr Steuern spart, je weniger die hypothetische Ehepartnerin »zusätzlich« verdient.
Doch statt sich auf das Offensichtliche zu stürzen, nahm in den sozialen Medien zunächst das, höchstwahrscheinlich kalkulierte, »Teile und Herrsche« seinen Gang. Ein selbsterklärter Bitcoin-Millionär schrieb, ihm – Zitat – platze die Eichel, wenn er das Jammern von »euch Kinderlosen« höre. »Was tut ihr denn für den Generationsvertrag? Für den Fortbestand? Für die Gesellschaft? Ihr seid Egoisten!!!« Andere kamen mit weniger Ausrufezeichen aus, betonten aber ebenfalls die »Gerechtigkeit« dieser ungleichen Besteuerung. Seien Kinder doch mitunter teure Beiträge zum Gemeinwohl, die eine Entlastung rechtfertigen.
Auf der anderen Seite nahm man den Aspekt des Gemeinwohls gerne auf und wollte dann auch gleich weniger Steuern zahlen, für all jene staatlichen Einrichtungen, die die eigenen – nicht vorhandenen – Kinder gar nicht nutzen. Stichwort: Kindergärten, Schulen oder glitzernde Discokugeln an der Decke eines Jugendclubs. Andere gingen noch einen Schritt weiter und forderten zum Ausgleich gar einen Klimabonus für Kinderlose, sozusagen als kleine Belohnung für den leuchtenden ökologischen Fußabdruck der nicht existenten Nachkommen.
Eine weitere Diskussion entspann sich an der Freiwilligkeit der Kinderlosigkeit. Ist es nun gerechtfertigter, eine Person steuerlich höher zu belasten, wenn sie sich freiwillig dazu entschieden hat, keine Kinder zu bekommen (ergo: egoistisch ist), als wenn sie aus sozialen oder gesundheitlichen Gründen keine Kinder bekommen kann oder will (ergo: arm dran ist)? Die Twitternutzerin MumOfTwo (dt. Zweifache Mutter) schrieb dazu: »Spielen wir jetzt Eltern gegen Kinderlose aus? Wir haben 136 Milliardäre in Deutschland. It’s that easy.«
So leicht ist es dann aber doch nicht. Denn wer will schon geldreiche Menschen zur Kasse bitten, um Pflegekräften bessere Löhne zu bezahlen, zumal in einer globalen Gesundheitskrise. Richtig. Keine Regierungspartei im Wahlkampfmodus.
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Es ist perfide, wenn kinderlosen Menschen nun nachgesagt wird, sie stellten sich gegen eine bessere Bezahlung der Pfleger*innen, wenn sie diese Reform kritisieren. In der Coronapandemie hat sich deutlich gezeigt, dass ein profitorientiertes Gesundheitssystem keine gute Idee ist und dass Pflegekräfte besser bezahlt werden müssen. Doch sind Kinderlose weder automatisch »geldreich«, noch Kinderreiche automatisch »geldlos«. Um zum richtigen Ergebnis zu kommen, sollte man daher die Kinder einfach aus der Rechnung herauslassen, denn mit ihnen werden glücklicherweise keine Löhne bezahlt. Noch besser wäre es, die Zwei-Klassen-Versicherung gleich aufzulösen. Ups, darf man das überhaupt sagen, oder ist das verfassungswidrig?
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