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Mit Volldampf in die Klimaneutralität
Für einen schnellen Rückgang der Treibhausgasemissionen sind CO 2 -Bepreisung und neue Technologien wichtig, reichen jedoch nicht aus
Mit der Verschärfung ihrer Klimaziele haben europäische und deutsche Politiker*innen die Weichen gestellt für eine schnellere Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Mitte Mai im Bundeskabinett verabschiedeter Gesetzentwurf sieht vor, deutsche Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent und bis 2045 auf Netto Null zu senken - fünf Jahre eher als bisher geplant. Die EU will ihren Klimagasausstoß bis 2030 um 55 Prozent reduzieren und 2050 CO2-neutral sein.
Jessica Strefler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) bezeichnete diese Ziele Anfang dieser Woche auf einer Veranstaltung des Deutschen Klima Konsortiums (DKK) als »sehr ambitioniert« und passend zum 1,5-Grad-Ziel. Um dieses einzuhalten, müssten die globalen CO2-Emissionen im nächsten Jahrzehnt gegenüber 2010 um 40 bis 60 Prozent sinken und 2050 Netto Null erreichen. Indem Deutschland und die EU bis Mitte des Jahrhunderts eine Treibhausgasneutralität anstrebten, die auch andere kurzlebigere Klimagase wie Methan oder Lachgas einbeziehe, gingen sie noch darüber hinaus.
Der Gesetzesentwurf vom 11. Mai konkretisiert, wie das Ziel in Deutschland erreicht werden soll: »97 Prozent (der Emissionen) sollen vermieden, die restlichen drei Prozent durch CO2-Entnahme ausgeglichen werden«, erklärt Strefler. Damit blieben Deutschland allerdings ab 2045 jährlich nur noch 40 Millionen Tonnen Restemissionen - recht knapp, wenn man bedenkt, dass allein die Landwirtschaft heute deutlich mehr ausstößt.
Die größten Emissionsrückgänge soll laut Gernot Klepper vom Institut für Weltwirtschaft Kiel der Energiesektor mit einem Minus von 77 Prozent erbringen. Der Weltklimarat (IPCC) fordert in seinem 1,5-Grad-Bericht, global bis spätestens 2040 aus der Kohle auszusteigen, Öl- und Gasverbrauch sollten deutlich sinken. Selbst die Internationale Energieagentur (IEA) propagiert inzwischen, keine neuen Öl- und Gasfelder sowie Kohleminen mehr zu erschließen und stattdessen alternative Energien zügig auszubauen.
Robert Pietzcker und Kollegen vom PIK betonen in ihrer aktuellen Studie (DOI: 10.1016/j.apenergy.2021.116914) die zentrale Rolle des Emissionsrechtehandels (EU-ETS): Über die Hälfte der von der EU bis 2030 vorgesehenen Treibhausgasreduktionen sollen demnach von den Anlagen kommen, die diesem unterliegen. Dafür müssten die Regeln des EU-ETS verschärft und die Zahl der versteigerten Zertifikate verringert werden.
Bei einem Preis von 129 Euro pro Tonne im Jahre 2030 würde Kohle als Energieträger so unrentabel, dass sie bereits dann aus dem Strommix der EU ausscheiden werde. Dagegen werde der Anteil der Erneuerbaren Energien darin in den nächsten neun Jahren auf 74 Prozent steigen. Dafür müssten EU-weit jährlich etwa 50 Gigawatt neue Photovoltaik- und 30 GW neue Windkraftanlagen entstehen. Für Deutschland empfehlen die Wissenschaftler, die jährlichen Ausschreibungsmengen auf etwa 12 GW aus Photovoltaik und sechs GW aus Windkraft zu erhöhen. Ausschreibungen machten die Finanzierung günstiger und förderten den Umbau. 2040 sollen die Emissionen der Stromerzeugung bereits bei null liegen. »Für den Stromsektor ist der Dekarbonisierungspfad relativ klar, es gibt viele kostengünstige Alternativen. Die Größe der Herausforderung dort ist mittlerweile vergleichsweise gering«, erklärt Pietzcker.
Da auch Verkehr, Gebäude und Industrie zunehmend auf Elektrizität angewiesen sind, sei das ein doppelter Gewinn, meint Patrick Graicher, Direktor von Agora Energiewende. Die geplante Elektrifizierung müsse mit Ökostrom erfolgen, sonst würden Emissionen nur verlagert. »Aber vor allem im Wärmesektor müssen wir mittels Energieeffizienz den Bedarf herunterkriegen, denn trotz Zubau der Erneuerbaren ist der Energieerzeugungsmarkt begrenzt«, warnt er.
Erste Erfolge sieht Klepper in der Industrie: In den energieintensiven Sparten sei einiges in Bewegung geraten, so bei der Entwicklung CO2-freier Zement- oder Stahlherstellung. Großes Kopfzerbrechen bereiten Politik und Wissenschaft dagegen noch die Bereiche Landwirtschaft und Verkehr. »Ab 2030 treten wir in eine neue Phase, da werden ein bisschen Anpassung und eine höhere Energieeffizienz nicht mehr reichen«, sagt Klepper. Es brauche grundsätzliche Änderungen, auch bei den Bürger*innen. »Damit geht es ans Eingemachte«. Skeptisch ist der Ökonom schon beim Klimabeitrag des Gebäudesektors bis 2030: »Da muss eine Regierung sehr innovativ sein, um die richtigen Anreize zu setzen«, sagt er.
Ein just erschienener Bericht des European Academies Advisory Councils (EASAC) plädiert für Sanierung statt Neubau: »Die Politiker haben sich lange darauf fokussiert, energieeffiziente Gebäude zu fördern. Doch die genutzte Energie ist nur ein Teil der Geschichte«, sagt EASAC-Energieexperte William Gillett. Es müsse der ganze Lebenszyklus der Gebäude betrachtet werden: die Baumaterialien, ihr Transport und der Bau selbst. Dasselbe gelte auch für die Sanierung. Die Autor*innen befürworten eine deutlich höhere Recyclingquote der Baustoffe, die Entwicklung klimafreundlicher Baumaterialien.
Tatsächlich bleibt für die erste Etappe bis 2030 nicht viel Zeit. Welche und wie große Schritte wir aber nun in welchem Tempo tun, wird für die Zukunft entscheidend sein.
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