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What the fuck, faselt Herr Maaßen?
JEJA NERVT: Der einstige oberste »Schlapphut« Deutschlands, Hans-Georg Maaßen, hat sich mal wieder mit verschwörungstheoretischen Äußerungen selbst übertroffen.
In dieser Woche war es erst gut gelaufen für Hans-Georg Maaßen. Weil in der »Werteunion« ein noch weiter rechts stehender Typ zum Chef gewählt worden ist, konnte sich der Thüringer Bundestagskandidat und ehemalige Chef des Verfassungsschutzes öffentlichkeitswirksam nach rechts abgrenzen. Doch bald darauf wurde die verschwörungsempfindsame Spürnase von der Debatte um antisemitische Äußerungen wieder eingeholt. Die in der Öffentlichkeit neu bekannt gewordenen Worte Maaßens sind noch krasser als seine vorherigen. Wer dem Verfassungsschutz in der Vergangenheit politische Spielchen mit unterstützten Rechtsterrorist*innen vorgeworfen hatte, muss sich bestätigt fühlen.
Ein Beispiel: In einem Essay unter dem Titel »Aufstieg und Fall des Post-Nationalismus« spricht Maaßen etwa von einer »neuen politischen Ideologie«. Diese würde Tendenzen »orchestrieren«, die mit der Endphase des Römischen Reiches zu vergleichen seien. Die Ideologie werde finanziell »von interessierter« Seite gefördert, es gehe um eine breite Palette von Identitätspolitik, Sprachsäuberung und Klima bis hin zur Migration. Dahinter stehe eine Verschmelzung von »vormals sozialistischen Linken« und »Wirtschaftsglobalisten«, die damit Profite »auf einige tausend Familien zu konzentrieren« suchten. Gewarnt wird vor »undemokratischen, totalitären und supranationalen Systemen«. Anderswo spricht Maaßen von »neuer Weltordnung«. Gegenübergestellt wird die den »normalen«, landgebundenen, verachteten Menschen. What the fuck?
Natürlich hat Maaßen jeden Antisemitismusvorwurf empört zurückgewiesen. Als Bernd Höcke jedoch dasselbe gesagt hat, wurde das - nicht zu Unrecht - mit Hitler-Zitaten verglichen. Denn schon damals galten Jüd*innen als verantwortlich für Kommunismus wie Kapitalismus, alles bloß, um die »armen Deutschen« und andere »freie Völker« zu entwurzeln, zu manipulieren und zu versklaven und sich die Profite global in die Taschen zu stecken. Aus diesem herbeihalluzinierten Angriff eines Weltjudentums konnten sich die Nationalsozialist*innen in den 30er Jahren erst radikalpazifistisch geben, um kurz darauf die halbe Welt militärisch zu überfallen.
Der paranoide Abwehrkampf gegen imaginierte Bedroher, denen man selber unbewusst ans Leder will, ist jedoch kein Spezifikum des Nationalsozialismus. Ähnliche Dynamiken politischer Psychologie lassen sich vielerorts beobachten; und auch die Linke ist überhaupt nicht davor gefeit, Gesellschaftsanalyse durch Verschwörungstheorie zu ersetzen. Wichtig ist, dass das im Verschwörungsdenken unterstellte, intrigante Zusammengehen der Feinde mit der projizierten Bereitschaft korrespondiert, sich selber zu verschwören.
Kein Wunder also, dass Maaßen lange einem Laden vorstand, dem Kritiker*innen immer und immer wieder vorgeworfen haben, sich Neonazis und Rechtsterrorist*innen politisch zu bedienen. Die über die Jahrzehnte angefallenen Ungereimtheiten im Umgang des Verfassungsschutzes mit der Neonazi-Szene, die finanziellen Zuwendungen an diese, nicht weitergegebene Hinweise, unterdrückte, verschlossene oder geschredderte Informationen beziehungsweise gar die Verstrickung in den Mord an Halit Yozgat - all das sollte nicht als Zufall gewertet werden. Etwas einfacher strukturierte Aluhüte haben in der Vergangenheit einfach gleich eine Synagoge überfallen.
Natürlich werden verschwörungsempfindsame Charaktere von der aufregenden Welt der Geheimdienste angezogen wie Fliegen vom Scheißhaus. Subjektiv befinden sie sich ihr Leben lang in Notwehr, und die gehört systematisch organisiert. Wo es um den Kampf um die eigene Existenz geht, ist das Verhältnis zwischen Zweck und Mitteln prinzipiell dehnbar. Ganz unabhängig von Hans-Georg Maaßen braucht es darum einen bestimmten Blick auf Institutionen wie den Verfassungsschutz. Denn sie sind durchsetzt von Leuten, insbesondere Männern, die ihr gesundes Volksempfinden mit der Lebensphilosophie eines James Bond durchsetzen möchten.
Die Linke muss darum immer wieder Einspruch gegen die staatlich finanzierte Existenz solcher Truppen erheben.
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