Fluchtursachen anders denken

Eine neue Initiative kämpft für »Das Recht, nicht gehen zu müssen«

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Warum fliehen Menschen aus ihrer Heimat? Wer trägt dafür die Verantwortung? Die neu gegründete Initiative »Das Recht, nicht gehen zu müssen« kritisiert, dass die Gründe in der öffentlichen Debatte meist nur in den Herkunftsländern gesucht werden. »Die Fluchtursachen liegen jedoch tiefer: in einem ungerechten globalen System, das Armut, Hunger, Klimaerhitzung und Kriege erzeugt«, erklärt der Wissenschaftler Lukas Oberndorfer, der der Initiative angehört. Dementsprechend verkürzt sei auch die Erzählung über die Bekämpfung von Fluchtursachen. »Anstatt lediglich ›Hilfe vor Ort‹ zu leisten, was gerne als einfache Lösung ohne konkrete Taten ausgesprochen wird, wäre es an der Zeit, unsere Produktions- und Lebensweise zu hinterfragen, die an anderen Orten der Welt dazu führt, dass Menschen ihr Zuhause verlassen müssen«, so Oberndorfer.

Um die Debatte anzustoßen, haben die Arbeiterkammer Österreich, die deutsche Nothilfeorganisation medico international, die Initiative Weltumspannend arbeiten, Pro Asyl sowie mehrere österreichische Gewerkschaften das Projekt »Das Recht, nicht gehen zu müssen - Europäische Politik und Fluchtursachen« ins Leben gerufen. Von Montag bis Freitag finden verschiedene Veranstaltungen statt, die sich mit den entsprechenden Themen beschäftigen. Diskutiert werden etwa Ansätze für eine global gerechte Produktion von Nahrung, Konzepte von Bildungsarbeit und Öffentlichkeitsarbeit, die Rolle der EU-Flüchtlingspolitik, ein möglicher europäischer »Grüner Deal« sowie die Situation von Frauen auf der Flucht und in der Diaspora.

Im Rahmen der Initiative wurde auch eine gleichnamige Studie der Politik- und Rechtswissenschaftlerinnen Judith Kopp und Sonja Buckel veröffentlicht. Auf 136 Seiten untersuchen die Forscherinnen, wie eine nachhaltige und auf Menschenrechte gestützte Migrationspolitik aussehen müsste, die Fluchtursachen bekämpft. »Fluchtursachen werden einseitig in den Herkunftsländern von Geflüchteten verortet und auf dort bestehende Korruption, diktatorische Regime und grassierende Armut zurückgeführt«, erläutern auch Kopp und Buckel in ihrer Studie. Solch eine Perspektive führe jedoch zu einer ganz bestimmten Zielsetzung: »Verhinderung von Migration um jeden Preis, nicht globale Gerechtigkeit, rückt in den Vordergrund, und es kommt zu einer Ausblendung struktureller globaler Ungleichheitsverhältnisse.« Aus Sicht der Forscherinnen muss dieser Ansatz heute als gescheitert angesehen werden. »Weder werden tatsächlich Bleibeperspektiven vor Ort geschaffen, noch lassen sich Migrationsbewegungen verhindern.«

An den Beispielen der Klimakrise und ungerechter Handelspolitik zeigen Kopp und Buckel die Verantwortung der EU für Fluchtbewegungen auf. So sind die Länder des globalen Nordens für den Großteil der CO²-Emissionen verantwortlich, die Leidtragenden finden sich jedoch eher im globalen Süden. Zwischen 2008 und 2017 wurden dort rund 246 Millionen Menschen von Naturkatastrophen - meist innerhalb ihrer Länder - vertrieben. Freihandelsabkommen zwischen Europa und afrikanischen Staaten würden wiederum »bestehende Ungleichheiten verschärfen«, zu einer »Deindustrialisierung« sowie zu »Verdrängungsprozessen aufgrund der hoch subventionierten und agroindustriell intensivierten EU-Landwirtschaft« führen. In Ghana habe beispielsweise billiges europäisches Geflügel dazu geführt, dass der Marktanteil der 400 000 einheimischen Bauern von 1992 bis 2001 von 95 Prozent auf elf Prozent fiel. Die Folge sei Perspektivlosigkeit bei den lokalen Produzenten.

Die Studie sieht vor allem Gewerkschaften in der Rolle, sich für eine sozial-ökologische Transformation sowie für »Das Recht, nicht gehen zu müssen« einzusetzen. Dies könne über transnationale Organisierung entlang der Wertschöpfungsketten sowie über politische Initiativen erreicht werden. Notwendig wären dazu etwa ein EU-Waffenexportverbot und der rasche Beschluss eines Lieferkettengesetzes.

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