Aufarbeitungsprojekt in Gefahr
In der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung des Bundesnachrichtendienstes herrscht Streit
Nazis an den Schaltstellen der jungen Bundesrepublik? Ach geh’ mir weg! Das ist lange her, irgendwann muss mal Schluss sein mit den alten Geschichten. Das meinen nicht wenige Nachgeborene. Andere wollten wissen, wie braun die Adenauer-Republik wirklich war und wie weit die Schatten der Vergangenheit ins Heute reichen. Vor gut zehn Jahren beriefen Ministerien und andere staatliche Stellen mehr oder weniger unabhängige Historikerteams, um die sogenannte Aufarbeitung der eigenen Geschichte voranzubringen. Die ließ und lässt gerade im Sicherheitsbereich und in der Justiz mannigfache personelle und politische Kontinuitäten zum sogenannten Dritten Reich erkennen. Gerade der Bundesnachrichtendienst (BND) steht im Interesse der Öffentlichkeit. Wohl nicht zufällig sträubten sich der Dienst und das vorgesetzte Kanzleramt lange. Doch der parlamentarische Druck, den vor allem Linke und Grüne erzeugten, wurde zu groß. Man berief schließlich doch eine Unabhängige Historikerkommission (UHK) und sicherte weitgehende Transparenz zu.
Das war im Februar 2011. Die Professoren Jost Dülffer (Universität zu Köln), Klaus-Dietmar Henke (Technische Universität Dresden), Wolfgang Krieger (Universität Marburg) und Rolf-Dieter Müller (Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam/Humboldt-Universität zu Berlin) sollten mit ihren Forscherteams die Herkunft des BND sowie die seiner Vorläuferorganisation Gehlen untersuchen und die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorstellen. Der Zeitrahmen von 1945 bis 1968 war bewusst gesetzt, auch um die aktuelle Arbeit des deutschen Auslandsgeheimdienstes nicht zu publik zu machen.
Trotz zahlreicher Schwierigkeiten lief die Arbeit so geräuschlos wie effektiv. Mochte man meinen. Nun ist jedoch von einem »Zerwürfnis innerhalb und drohendem Auseinanderbrechen« der UHK die Rede. Sogar eine parlamentarische Anfrage gibt es dazu, denn: Die Arbeit der Historiker ist nicht nur wissenschaftlich interessant und für die politische Hygiene der bundesdeutschen Gesellschaft wichtig, sie wird auch mit rund 2,4 Millionen Euro aus den Haushaltsmitteln des BND, also Steuergeldern, gefördert.
Ursache für Besorgnis ist der 12. Band, den Wolfgang Krieger zu verantworten hat. Es geht, so der Titel, um »Die Beziehungen des BND zu den westlichen Geheimdiensten«. Gerade dieser Band war mit Spannung erwartet worden, auch weil es von Anfang an nicht leicht schien, manche Partner zur Kooperation zu bewegen. Doch das Problem, so zeigte sich, ist ein anderes.
Drei der vier Kommissionsmitglieder und Herausgeber der UHK-Buchreihe können sich »mit diesem Band nicht voll identifizieren«. Offenbar bemühten sich die drei mehrfach, ihrem Kollegen Krieger zu erklären, warum sie derart Kritik an seinem Werk üben. Doch Krieger deutete das öffentlich als »ideologische Differenzen«, was die Kritiker ihrerseits als »ehrenrührige Anschuldigungen« zurückwiesen.
Da der Band 12 inzwischen auch ohne den »Segen« der UHK im Chr. Links Verlag erschienen ist, macht es womöglich Sinn, das interne Gutachten, das die drei Historiker angefertigt haben, zu betrachten. Es behandelt Kriegers Kapitel über die wahrlich nicht ganz unwichtigen Beziehungen zwischen dem BND und der CIA. Zwar sei Kriegers Studie in professioneller Sprache verfasst, doch das könne die schweren Mängel ihrer Struktur, der Analyse und der Quellenauswertung nicht überdecken.
Krieger habe sich über die in den Wissenschaften unabdingbare kritische Meinungsbildung hinweggesetzt und beschädige damit das Gesamtprojekt unmittelbar. Es folgen Wertungen wie »nicht einmal in die Oberfläche eingedrungen«, man verweist auf »markante Versäumnisse«. Über den »wichtigen Aspekt der Kooperation beim Nachrichtentausch« erfahre man »so gut wie nichts«. Es fallen Formulierungen wie »klar falsch«, »nur Bekanntes, das anderswo mehrfach nachzulesen« sei. Sogar von »altem Schnee« ist die Rede. In einem Fall beschreibe der Autor ein hochrangiges Treffen, das - nachgewiesen in einem bereits erschienenen UHK-Band - nie stattgefunden hat. An anderer Stelle wird ein vermeintlicher KGB-Agent mit falschem Namen vorgestellt.
Die Liste der Anmerkungen ist lang. Ihr Fazit: »Die vorgelegte Studie erfüllt nicht die Forderungen, die an eine wissenschaftliche Untersuchung der UHK zu stellen sind.« Regelrecht skandalös sei die Behandlung der mittlerweile in elf Bänden präsentierten eigenen Projektforschung, die kaum verarbeitet und in den meisten Fällen nicht einmal zitiert ist. »Der Beitrag kann daher das uneingeschränkte Imprimatur der UHK nicht erhalten.«
Wie immer man den Band und die Kollegenkritik bewerten mag - dass hier ein wichtiges Aufarbeitungsprojekt in Gefahr geraten ist, dürfte unübersehbar sein. Was sagt die Bundesregierung dazu? Sie »bewertet weder die Forschung der Autoren noch sonstige Diskussionen innerhalb der UHK öffentlich«, teilt das Kanzleramt dem Erstem Parlamentarischen Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, mit.
Inzwischen liegt der 13. Band über die Geschichte des BND vor. Es geht um die Kernaufgabe des deutschen Geheimdienstes in der Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West. Titel: »Die Auslandsaufklärung des BND - Operationen, Analysen, Netzwerke«. Herausgeber: Professor Wolfgang Krieger.
Ursprünglich war für diesen Monat die Abschlusskonferenz der UHK geplant. Einen Termin dafür gibt es nicht. »Pandemiebedingt«, meint die Bundesregierung - und verkündet damit wohl nur einen Teil der Wahrheit.
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