Eine Welt mit einer unbekannten Physik

Simon Stalenhag entwickelt in »Things from the Flood« seine knappen Bildromane weiter

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Der schwedische Künstler Simon Stalenhag hat mit seinen »illustrierten Romanen« eine ganz eigene Art des Erzählens erfunden. Der 1984 in der Nähe von Stockholm geborene Stalenhag produziert auf digitale Weise naive Pop-Art Bilder im Stil von Ölgemälden, kombiniert sie mit literarischen Miniaturen und inszeniert so eine fantastische Welt in einem ländlichen Schweden der 1980er und 1990er Jahre.

Im vergangenen Jahr erschien auf Deutsch »Tales from the Loop«, das sogar von Amazon als anspruchsvolle, eher leise Science-Fiction-Serie im Arthouse-Stil verfilmt wurde. In dieser kleinstädtischen, mitunter fast dörflichen Parallelwelt, die mal mit roten Holzhäusern im Schnee und dann wieder mit Einkaufszentren und neonbeleuchteten Parkplätzen aufwartet, fliegen gigantische Luftschiffe mithilfe einer fiktiven »Magnetrin«-Technologie durch den Himmel und Roboter laufen durch den Wald. Der »Loop« aus dem Buchtitel ist ein unterirdischer Teilchenbeschleuniger, der wie eine Tür in eine andere Welt und eine unbekannte Physik ist. Mit »Things from the Flood« ist nun eine Fortsetzung dieses »illustrierten Romans« erschienen.

Im Gegensatz zum ersten Teil, der unter dem Titel »Tales from the Loop« als Kleinstadt-Anthologie gefasst war, in der Stalenhag unterschiedliche Geschichten entwarf und ein Panorama der Bewohner dieser eigenwilligen Welt auffächerte, bietet die Fortsetzung eine etwas konsistentere Handlung, in deren Zentrum ein jugendlicher Ich-Erzähler steht. Mit der titelgebenden Flut setzt die Erzählung Mitte der 1990er Jahre ein und berichtet von der Überschwemmung der Kleinstadt, in deren Untergrund sich der Loop befindet. Ließ sich »Tales from the Loop« auch als ebenso wehmütig-sentimentaler wie kritischer Abgesang auf den schwedischen Wohlfahrtsstaat der 1970er Jahre lesen, so erzählt »Things from the Flood« vom digitalen und ökonomischen Umbau ab den 1990er Jahren. Neben der geheimnisvollen Flut, die aus dem unterirdischen Loop zu kommen scheint und die ganze Gegend absaufen lässt, kommt es auch zu einem »Polsprung«, der die »Magnetrin«-Technologie für Teile der nördlichen Hemisphäre unbrauchbar macht.

Der Loop wird also verlassen, stattdessen übernimmt ein neuer Konzern die Digitalisierung der Gegend. Teile der alten Industrieanlagen werden modernisiert, doch das meiste verkommt. So sind Maschinenteile über Wald und Wiesen des ländlichen Schwedens verteilt, das in den Bildern in tiefem Schnee versinkt. Da gibt es riesige metallene Kugeln, durch die man wie durch Portale zu Orten in der Nähe schlüpfen kann: Geflohene Roboter, die wie Hippies aussehen, bevölkern diese Winterlandschaften. Riesige Bauwerke, Kühltürme und gigantische Wohnblocks sind am Horizont zu sehen und nach wie vor gibt es Eingänge zum geheimnisvollen Loop, der angeblich mit einer Flüssigkeit aus einem anderen Planetensystem überschwemmt wurde. Außerdem wachsen den herumliegenden fantastischen Maschinen plötzlich Geschwüre.

Natur und Technologie verschmelzen hier auf bizarre Weise miteinander, ganz ähnlich wie das auch in den Science-Fiction-Romanen von Jeff Vandermeer passiert. Beachtlich ist das »World-Building« von Stalenhags illustrieren Romanen. In der Science-Fiction-Literatur müssen fantastische Welten oft ausführlich beschrieben werden. Stalenhags Bilder entwerfen zusammen mit den knappen Textminiaturen auf verblüffende Weise ganze Welten und Geschichten. Abenteuer, die der Jugendliche in der Schule oder beim Spielen auf der Wiese oder im Wald erlebt, werden oft nur angerissen, und es bleibt der Fantasie des Lesers und Betrachters überlassen, mehr daraus zu machen.

Diese Mischung aus Coming of Age-Geschichten, Vintage-Bildern vergangener Jahrzehnte, Science-Fiction und ein wenig Horror hat auch im Serienformat, etwa bei »Stranger Things«, derzeit Hochkonjunktur. Das mag auch ein Grund für den Erfolg von Stalenhag sein, dessen dritter Bildroman »Electric State« übrigens schon 2019 auf Deutsch erschienen ist. Die Filmrechte dafür sind auch schon verkauft. Man darf gespannt sein.

Simon Stalenhag: »Things from the Flood«. (Das Loop-Universum, Band 2). A. d. Schwed. v. Stefan Pluschkat, Fischer, 132 S., geb., 34 €

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.