Im Bällebad der Klischees

Die Serienfortsetzung des Kinofilms »Blindspotting« schafft es, emanzipiert zu unterhalten

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn Spielfilme von Künstlern stammen, die ursprünglich Videoclips gedreht haben, heißt es oft, man sehe, höre, spüre darin den musikalischen Pulsschlag von früher. Spike Lee zum Beispiel oder David Fincher arbeiten schließlich auch nach ihrer Kurzfilmkarriere so rhythmisch, als seien ihre langen Werke beim Tanz entstanden. Kein Wunder, dass Seith Mann beide als Inspirationsquellen feiert. Denn nach allerlei Episoden von »The Wire« über »Homeland« bis hin zu »Walking Dead«, hat der routinierte Serienregisseur einen Achtteiler gemacht, der gefährlich dicht ans Musical grenzt und dennoch souveräne Distanz zum Singspiel wahrt.

Es geht um das Sequel der Tragikomödie »Blindspotting«, in der Seith Manns Kollege Carlos López Estrada vor drei Jahren die Geschichte einer amerikanischen Stadt im Sog rassistischer Staatsmacht erzählt. Nach eigenem Drehbuch werden der Schwarze Daveed Diggs und der Weiße Rafael Casal darin als nette Kleinganoven Collin und Miles Zeugen tödlicher Polizeigewalt, die sie so in Schwierigkeiten bringt, dass Ersterer am Ende des Films im Knast landet und Letzterer nun zu Beginn der gleichnamigen Serienfortsetzung.

Klingt dramatisch. Ist dramatisch. Allerdings mit einer tiefgründigen Heiterkeit versehen, von der sich selbst Manns legendäre Vorbilder Lee und Fincher noch etwas abschneiden könnten. Während Miles nämlich ausgerechnet an Silvester wegen Drogenhandels festgenommen wird, steht seine Langzeitfreundin Ash (Jasmine Cephas Jones) nicht nur alleine mit zwei Flaschen Schampus vor verschlossener Haustür; mangels Ernährer zieht sie mit dem sechsjährigen Sean (Atticus Woodward) zu Miles’ Mutter Rainey (Helen Hunt) und seiner gefallsüchtigen Halbschwester Trisha (Jaylen Barron), die nur wenig für ihre neuen Mitbewohner übrighat.

Knapp 30 Minuten pro Folge schildert das - auch privat dick befreundete - Duo Diggs und Casal mit viel Humor, wie sich das schwarz-weiße Prekariat im gentrifizierten Oakland so durchschlägt. Ashs Nachbar Earl (Benjamin Turner) etwa trägt amtlich verordnete Fußfesseln, die ihm den Kauf seiner geliebten Tacos vom Foodtruck ums Eck verkomplizieren. Trisha dreht zu Hause obszöne Influencer-Videos, die Seans Adoleszenz beeinträchtigen. Rainey ist ein kettenrauchender Ex-Hippie von aggressiver Toleranz. Gemeinsam holen sie somit quasi die Brüche einer Gesellschaft im Zeichen von Black Lives Matter bis MeToo von der Straße ins Private - weil Miles hinter Gittern sitzt, nun mit Ashley in tragender Rolle.

Wegen der Komik am Rande des Klamauks, erscheint »Blindspotting« als Serie demnach soziokulturell beliebiger zu sein als die Kinoversion - was noch dadurch verstärkt wird, dass die Protagonisten beim Reden ständig in einen Hip-Hop-Stil verfallen, dabei gern in die Kamera sprechen und sich schon mal zum Formationstanz auf dem Asphalt treffen. Videoclipästhetik eben, wie erwähnt.

Dank der hingebungsvollen Darsteller gelingt Starzplay Außergewöhnliches: Während politisch korrekte Zuschauer vor lauter »Bitch« und »Nigga«, Bling-Bling und Arschgewackel schon mal Fluchtimpulse hegen, wirkt gerade dieses kunterbunte Bällebad Schwarzer Stereotypen seltsam emanzipatorisch.

»People of Colour« also dürfen nämlich alles - sogar die falschen, meist weißen Vorurteile über sich selber bestätigen.

Verdichtet auf runde vier Stunden grandios beschwingter Social-Clash-Groteske, personalisieren die Protagonisten folglich gerne ihr eigenes Klischee. Zum Glück aber stärken Buch und Regie das dünne Eis durch bittersüße Pointen aus bitterbösem Realismus - etwa, wenn Rainey im Buchladen ein Comic zur kindgerechten Erklärung väterlicher Haft kaufen will, aber nur Geschichten mit Schwarzen Vätern in Haft findet.

Spätestens hier kriegt die Comedy das, was der unablässige Hip-Hop darunter ursprünglich mal sein wollte: das CNN der Schwarzen im Ghetto weißer Bevormundung.

»Blindspotting« auf Starzplay

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