Secondhand-Schriftstellerin

Belarussin Swetlana Alexijewitsch erhält das Bundesverdienstkreuz

Swetlana Alexijewitsch ist eine Chronistin, letztlich eine Secondhand-Schriftstellerin. Das ist keineswegs despektierlich gemeint. Kongenial bannt sie die Biografien der Menschen, denen sie begegnet, aufs Papier und arbeitet große gesellschaftliche Themen des 20. und 21. Jahrhunderts literarisch ab, indem sie vielzählige in Interviews gesammelte Eindrücke montiert und so ein Panorama historischer Ereignisse in individuellen Stimmen erschafft.

So hat sie die Rolle sowjetischer Frauen im Zweiten Weltkrieg in den Diskurs eingebracht (»Der Krieg hat kein weibliches Gesicht«), die unzureichend aufgearbeitete Geschichte der sowjetischen Intervention in Afghanistan abgehandelt (»Zinkjungen«), die ukrainische Reaktorkatastrophe 1986 schmerzlich wieder ins Bewusstsein gerufen (»Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft«) und das Leben im postkommunistischen Russland in seiner Ambivalenz verständlich gemacht (»Secondhand-Zeit«).

Die 1948 geborene belarussische Schriftstellerin gilt als wichtige Stimme in ihrem Land – und wurde 2015 mit dem Literaturnobelpreis geehrt. Am Dienstag gesellte sich zu der Auszeichnung das Bundesverdienstkreuz, das ihr von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier überreicht wurde. Das Bundesverdienstkreuz ist kein Literaturpreis, es ist ein politisches Zeichen. Ein bisschen Symbolpolitik in Richtung Osten.

Im Zuge der Proteste in Belarus 2020 wurde Alexijewitsch, durch und durch eine Liberale, Mitglied des Koordinierungsrats und ist eine der lautesten Stimmen gegen den autokratischen Präsidenten Lukaschenka. Wofür die feinfühlige Autorin aber politisch genau steht, ist nicht ganz klar. Von einem Großteil der Oppositionellen in Belarus wird sie nicht geliebt, etwa wegen ihres Festhaltens an der russischen Sprache. Dennoch ist man sich dort durchaus ihrer Rolle bewusst – als Aushänge- und als Schutzschild.

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