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Klima-Hotspot Deutschland

Die Temperaturen steigen hierzulande stärker als im globalen Mittel

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer übers Klima schreibt, soll eigentlich nicht so viel übers Wetter reden. In dieser Woche verzeichnete Deutschland aber schon Tagestemperaturen von 37 Grad. Für Mitte Juni ist das schon extrem. Und doch wundert sich kaum noch jemand.

Tage mit Temperaturen von über 30 Grad habe es vor siebzig Jahren - also um 1950 - im Schnitt nur drei pro Jahr gegeben, heute seien es schon zehn, zitierte Umweltstaatssekretär Florian Pronold Anfang dieser Woche einschlägige Analysen. Das zeige jedem, dass sich etwas verändert. Anlass für Pronolds Wetter-Exkurs war die Vorstellung der diesjährigen Klimawirkungs- und Risikoanalyse (KWRA) für Deutschland.

Zeitlich zufällig, aber doch passend zum Wochenwetter macht die neue KWRA über 100 Wirkungen des Klimawandels in der Bundesrepublik aus - und stellt bei rund 30 davon einen »sehr dringenden Handlungsbedarf« fest. Dazu gehören tödliche Hitzebelastungen, besonders in Städten, Wassermangel im Boden und häufigere Niedrigwasser der Flüsse. Gewarnt wird aber auch vor Schäden an Bauwerken durch Starkregen, Sturzfluten und Hochwasser. Weniger geläufig dürfte den meisten sein, dass der Temperaturanstieg auch schon Artenverluste verursacht.

Die eigentliche News der Analyse war aber die Aussage von Tobias Fuchs, Klima-Vorstand beim Deutschen Wetterdienst (DWD), wonach die durchschnittliche Jahrestemperatur in Deutschland in den 140 Jahren seit Beginn der Industrialisierung bereits um 1,6 Grad gestiegen ist - »stärker als weltweit«.

Das überraschte schon. Schließlich kämpft auch Deutschland darum, das 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimaabkommens noch einzuhalten, wenn auch mit viel Ach und ordentlich Krach, wie sich derzeit im Wahlkampf zeigt. Haben die 1,5 Grad überhaupt Sinn, wenn wir in Deutschland schon drüber sind?

Zunächst gilt generell, dass sich die Landmassen der Erde, also auch die deutschen, im Mittel stärker erwärmen als der ganze Planet. Nach Angaben der Klimaabteilung des DWD stiegen die Temperaturen von 1881 bis 2019, nimmt man die Land- und Wassermassen der Erde zusammen, um etwas mehr als ein Grad an. Werden allerdings nur die Ozeane betrachtet, erwärmten sich diese in den 140 Jahren um »nur« 0,85 Grad.

Die schwächere Erwärmung der Ozeane hängt mit der hohen Wärmekapazität von Wasser zusammen. Dank der großen Masse des Wassers können die Ozeane riesige Mengen an Energie speichern - mehr als tausendmal so viel, wie die Atmosphäre bei einem äquivalenten Temperaturanstieg speichern würde, stellte das Deutsche Klima-Konsortium vor einigen Jahren fest. Fast der gesamte Wärmeüberschuss, der sich in der Atmosphäre ansammelt, geht in die Ozeane und wird dort gespeichert. Die absorbierten mehr als 93 Prozent der Wärme, die zwischen 1971 und 2010 durch die Klimaerwärmung zusätzlich anfiel.

Nur deswegen blieb die Erwärmung an Land global (und damit in Deutschland) bisher bei »nur« 1,6 Grad seit 1881. Einzig durch die Speicherleistung der Ozeane besteht überhaupt noch die Chance, die Erderwärmung durch Klimaschutzmaßnahmen bei 1,5 Grad oder leicht darüber zu stoppen.

Zugleich »vergessen« die Ozeane ihre Leistung aber so schnell auch nicht. Zwar würde sich, wenn es gelingt, den Treibhausgasausstoß zu beenden und die Konzentrationen auf heutigem Niveau zu halten, die Erwärmung der Erdoberfläche verlangsamen. Die Temperaturen in der Tiefsee werden aber auch dann noch über mehrere Jahrhunderte bis Jahrtausende weiter steigen. Eine Folge: Auch der Meeresspiegel steigt zunächst weiter an.

Besorgniserregend ist allerdings auch ein Trend, der sich in den letzten Jahren abzeichnet: dass sich nämlich Deutschland noch stärker erwärmt als die Landmassen im globalen Schnitt. Nach DWD-Angaben stiegen seit 1970 die Temperaturen hierzulande im Zehn-Jahres-Schnitt um 0,37 Grad - im globalen Schnitt aber »nur« um 0,29 Grad.

Über die Ursachen, warum sich hier ein Hotspot im wahrsten Sinne des Wortes entwickelt, gibt es offenbar noch keine Klarheit. Verwiesen wird zum Beispiel darauf, dass sich - wie an der bald eisfreien Arktis zu sehen ist - gerade die nördlichen Breiten mit am stärksten erwärmen.

Als eine Art Bindeglied zwischen den Klima-Langfristprognosen, die in der Regel einen Zeitraum von 30 Jahren umfassen, und den jährlichen Rekordwerten hat der Deutsche Wetterdienst kürzlich die sogenannte dekadische Klimavorhersage neu eingeführt.

Die Daten dieser Voraussage könnten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft helfen, Zukunftsentscheidungen jetzt schon an den Klimawandel anzupassen, meint DWD-Vorstand Tobias Fuchs. Von den dekadischen Vorhersagen profitierten zum Beispiel Wasserwerke, wenn es darum geht, die Trinkwasserversorgung in absehbar niederschlagsarmen Jahren zu sichern. Landwirtschaft und Forsten könnten sich bei der Auswahl des Saatguts oder dem Umgang mit Schädlingen frühzeitig auf trockenere oder warme Zeiten einstellen.

Laut der ersten Zehn-Jahres-Prognose kennen die Temperaturen bisher nur eine Richtung - die nach oben. In diesem Jahr könnte es dabei ein halbes bis ein Grad wärmer werden als im vieljährigen Mittel, schreibt der DWD. Ein solches Plus werde auch für den Zeitraum bis 2025 erwartet. Eingedenk der schon erreichten 1,6 Grad robbt sich die Bundesrepublik damit an die Zwei-Grad-Grenze heran.

Wie viele Tage es dann mit Temperaturen über 30 Grad geben wird und wann sie auftreten - das können die Modelle selbstverständlich nicht voraussagen. Sicher ist nur: Es werden noch mehr als heute sein.

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