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Abschied vom Bond-Girl

In Actionfilmen sind selten Frauen die Heldinnen. Deshalb dreht das Berliner Filmkollektiv Generation Tochter jetzt selber einen

  • Sabina Zollner
  • Lesedauer: 7 Min.

Denkt man an Actionfilme, dann kommen einem Männer in den Sinn, die sich gegenseitig bei Verfolgungsjagden abknallen. Oder schnelle Autos, die auf offener Straße explodieren. Eher selten denkt man dabei an Frauen. Meist spielen sie eine Nebenrolle, vom Stereotyp des Bond-Girls hat sich das Genre noch nicht ganz befreit. Das Berliner Filmkollektiv Generation Tochter will das ändern. Das Kollektiv gründete sich vor zwei Jahren, mittlerweile hat es 80 Mitglieder, die meisten von ihnen sind junge Filmemacher*innen oder Filmstudierende. Ihr Ziel: sie wollen auf die strukturelle Unterrepräsentation von Frauen in der Filmbranche aufmerksam machen und weibliche Perspektiven auf die Leinwand bringen. Das »Tochter« in Generation Tochter steht dabei für weibliche Emanzipation. Derzeit arbeitet das Kollektiv an seinem ersten Coming-of-Age-Action-Thriller.

»Ein Freund von mir hatte die Idee, einen Actionfilm mit Frauen in den Hauptrollen in Neukölln zu drehen«, erzählt Mey Woelke bei einem Skype-Gespräch. Die 25-Jährige hat das Drehbuch zu dem Actionthriller geschrieben. Woelke studiert Filmwissenschaften und Sozial- und Kulturanthropologie in Berlin und war schon immer filmbegeistert. So drehte sie schon als Kind ihre eigenen Videos und ist seit ihrem Studium immer mal wieder in Filmprojekten in Berlin involviert. Für den Actionthriller schloss sich Woelke im gesamten ersten Lockdown in ihrem Zimmer ein und arbeitete an der Geschichte. Innerhalb von drei Monaten entstand das Drehbuch. In dem Film geht es um eine ehemalige RAF-Terroristin namens Dagmar, die mit ihrer 17-Jährigen Tochter Clara im Berliner Untergrund lebt. Sie hält ihre Tochter durch Überfälle über Wasser. Als einer der Überfälle missglückt, müssen die beiden fliehen. Doch Dagmar wird erpresst, und zieht ihre Tochter mehr und mehr in ihre kriminellen Machenschaften hinein.

»Am Anfang hatten wir die Filmidee und dann gründete sich das Kollektiv«, erzählt Woelke. So waren es zu Beginn nur sieben Freunde und Bekannte, die sich zusammenschlossen, doch innerhalb von einem Jahr kamen immer mehr Mitglieder hinzu. Von dem großen Interesse war das Team selbst überrascht. »Ich habe das Gefühl, dass viele junge Menschen sich einen Wandel in der Filmbranche wünschen«, sagt Marielle Sjømo Samstad, die auch an dem Skype Gespräch teilnimmt. Die 29-Jährige studierte Regie in den USA und ist bei Generation Tochter Teil des Regieteams. Auf ein Projekt wie dieses hat sie schon länger gewartet, erzählt sie. Bisher hat sie vor allem in Kurzfilmen Regie geführt, der Actionthriller ist ihr erster Spielfilm.

Neben den klassischen Actionelementen will der Film eine weibliche Perspektive auf Kriminalität und Gewalt zeigen. So beschäftigte sich Woelke beim Schreiben viel mit der Frage, aus welcher Perspektive Actionfilme erzählt werden. »Auch ich bin von einem sehr männlichen Blick auf das Genre geprägt«, sagt sie. So werden Frauen meist sehr plakativ und sexualisiert dargestellt, oder sie sind Opfer von Gewalt. Beim Schreiben versuchte Woelke, sich gedanklich von diesen Stereotypen zu befreien, von den Figuren aus zu denken und diese komplexer darzustellen. Dabei trieb sie immer wieder die Frage nach der Bedeutung an: Was macht das mit einem Teenager, in einem solchen Umfeld aufzuwachsen? Wie sehr ist die 17-Jährige von der Beziehung zu ihrer Mutter beeinflusst?

Auf der Website von Generation Tochter bekommt man Einblick in die bisherigen Dreharbeiten des Teams: In einer spärlich eingerichteten Küche sitzt die ehemalige RAF-Terroristin Dagmar an einem Tisch, auf dem ein Stadtplan ausgebreitet ist. Neben ihr sitzt ihre Tochter Clara. »Das heißt, wir fangen mit dem Gemüseladen an«, sagt Clara. »Das scheint mir am Sinnvollsten zu sein«, antwortet die Mutter. »Vor allem können wir dann hier das Auto abstellen und dann direkt losfahren, dann sind wir in ein paar Minuten aus der Straße raus«, antwortet Clara. Eine Frau betritt den Raum. Es ist eine Freundin Dagmars, die den beiden ein Versteckt bietet. Sie schaut Mutter und Tochter fassungslos an und fragt: »Was ist hier los?« »Wir müssen noch mal einen Überfall machen«, sagt Clara. »Bitte was?«, entgegnet die Freundin schockiert. Die Szene ist Teil einer Art Trailer, der als Aufruf für eine Crowdfunding-Kampagne dient. Denn das Kollektiv finanziert den gesamten Film über Crowdfunding. Die Bilder wirken professionell, die Schauspielerinnen authentisch, man hat nicht den Eindruck als sei dies ein Projekt von Student*innen.

Die ersten beiden Drehs in Berlin und Brandenburg hat das Team schon geschafft. Unternehmen aus der Branche kamen den jungen Filmemacher*innen bei den Kosten für das Catering und die technische Ausstattung entgegen. »Es war echt toll, wie viel Unterstützung wir bekommen haben«, sagt Naomi Rösick, das dritte Kollektivmitglied bei dem Skype-Gespräch. Die 23-Jährige studiert Sozial- und Kulturanthropologie sowie Filmwissenschaften an der Freien Universität in Berlin und ist bei dem Kollektiv für die Produktion zuständig.

Das Kollektiv möchte mit ihrem Projekt auch einen Wandel hinter der Kamera. So sind alle Schlüsselpositionen mit Frauen besetzt. Damit will Generation Tochter ein Zeichen setzen gegen eine sehr männlich geprägte Filmbranche, die noch immer existiert. So werden nur etwa 22 Prozent (Quelle: Fünfter Regie-Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie e.V. für das Jahr 2017), der deutschen Kinospielfilme von Frauen in der Regie geführt, und die meisten Fördergelder landen noch immer bei männlichen Regisseuren. »Es studieren zwar mittlerweile sehr viel mehr Frauen an den Filmhochschulen, doch es sind noch immer die Männer, die Erfolg haben«, sagt Rösick. So möchte das Kollektiv auch jungen Filmemacher*innen den Einstieg in die Filmbranche erleichtern und ihnen die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren.

Rösick hat während der Planung der Produktion gemerkt, wie männerdominant die Branche ist. Als das Team sich auf die Suche nach einer Kamerafrau machte, erhielten sie erst einmal acht Bewerbungen von Männern und nur zwei von Frauen. »Es war gar nicht so einfach, diese Strukturen zu durchbrechen«, sagt sie.

Die Strukturen zu verändern, das versucht das junge Team auch am Set. So gibt es nicht nur eine Regisseurin, die am Set alle rumkommandiert, sondern ästhetische und organisatorische Entscheidungen werden so weit wie möglich gemeinsam getroffen. Das ist zeitlich nicht immer möglich, aber die Absicht besteht. So gibt es für alle Bereiche (Produktion, Regie, Drehbuch, Casting, Aufnahmeleitung) ein Team. »Dadurch, dass alle mit beteiligt sind, ist jeder auch mit sehr viel mehr Leidenschaft dabei«, sagt Woelke. Es ist ein alternativer Ansatz des Filmemachens: Weg von dem einen kreativen Genie, hin zu einer gemeinschaftlichen Kreativität. So ist für Rösick ein guter Film auch immer Ergebnis eines langen Aushandlungsprozesses, mit viel Reflexion und Diskussion. So lassen sich auch stereotype Darstellungen vermeiden, meint Rösick. Die Regie arbeitet dabei auch eng mit den Schauspielerinnen zusammen, gibt ihnen die Möglichkeit, sich in den Figuren frei zu entfalten. »Alle haben so viel mitgebracht und das macht den Film sehr besonders«, sagt Regisseurin Sjømo Samstad.

Bei dem Gespräch mit den drei Frauen fällt auf, wie sehr ihnen dieses Projekt am Herzen liegt. Man hört sie mit viel Begeisterung sprechen und immer wieder betonen, dass dies alles nur durch das Team möglich gemacht wurde. Und das, obwohl keiner der Mitglieder damit Geld verdient. Das hat auch mit den Werten des Kollektivs, sich für ein diskriminierungsfreies Kino einzusetzen, zu tun.

Der letzte Dreh soll Ende Juni beginnen, auch diesen versucht das Kollektiv über eine Crowdfunding-Kampagne zu finanzieren. Neben dem Filmprojekt organisiert Generation Tochter immer mal wieder kleinere Kurz- und Dokumentarfilmfestivals. Und auch nach dem Actionthriller will das Kollektiv weiter zusammenarbeiten. Doch jetzt muss das Team sich erst mal auf den Spielfilm konzentrieren. Nach dem Dreh soll es in die Postproduktion gehen. Ende des Jahres wollen sie den Actionthriller bei verschiedenen Festivals einreichen. Das Geld für den letzten Drehblock ist noch nicht zusammen. Doch Regisseurin Sjømo Samstad ist optimistisch. »Wir haben bisher immer einen Weg gefunden zu drehen.«

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