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- Prognosen zur globalen Klimakrise
»Irreversible« Folgen bei Erderwärmung über 1,5 Grad
Eindringliche Warnung des Weltklimarats vor Zunahme von Hitzewellen, Hunger und Flucht
Paris. Ein Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens hat nach Einschätzung des Weltklimarates IPCC »irreversible Auswirkungen auf Menschen und ökologische Systeme«. Im Entwurf zu einem umfassenden IPCC-Bericht, welcher der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, gehen die Experten davon aus, dass eine Erderwärmung um zwei Grad 420 Millionen Menschen zusätzlich dem Risiko von Hitzewellen aussetzt. Bis zum Jahr 2050 bestehe - je nach Umfang des Treibhausgasausstoßes - ein Hungerrisiko für bis zu 80 Millionen Menschen zusätzlich.
»Das Leben auf der Erde kann sich von einem drastischen Klimaumschwung erholen, indem es neue Arten hervorbringt und neue Ökosysteme schafft«, heißt es in dem Berichtsentwurf. »Menschen können das nicht.«
Der rund 4000 Seiten lange Entwurf nennt Ernterückgänge durch zunehmende Hitze, Trinkwassermangel, Massenflucht wegen Dürren oder nach Überflutungen von Küstenstädten sowie ein fortschreitendes Artensterben als einige Folgen der Erderwärmung. Leidtragende seien insbesondere diejenigen Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen hätten.
Aber auch Europa wird die Folgen nach Angaben der Experten zu spüren bekommen: Die dortigen Schäden durch Überflutungen würden sich bis zum Ende des Jahrhunderts auch bei einem hohen Maß an Anpassungsmaßnahmen deutlich erhöhen, prognostizieren die Berichtsautoren auf Grundlage internationaler Studien.
Die Zahl der Menschen in Europa mit einem hohen klimabedingten Sterberisiko wäre demnach bei einer Erderwärmung um drei Grad drei Mal so hoch wie bei einer Erwärmung um 1,5 Grad, insbesondere in Zentral- und Südeuropa. Außerdem dürfte Europa dem IPCC zufolge mit mehr Hilfesuchenden aus Afrika und zunehmend mit von Mücken übertragenen Krankheiten wie Malaria, Dengue oder Zika konfrontiert sein.
Die Erde hat sich seit dem vorindustriellen Zeitalter bereits um 1,1 Grad erwärmt. Laut Pariser Abkommen soll die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst aber 1,5 Grad beschränkt werden.
Bereits für eine Erwärmung um zwei Grad beschreibt der IPCC-Berichtsentwurf schwerwiegende globale Folgen für Mensch und Natur. Derzeit steuert die Erde aber sogar auf eine Erwärmung um rund drei Grad zu.
An dem Bericht der IPCC-Arbeitsgruppe II arbeiten mehr als 700 internationale Experten mit. Seine Endfassung soll nicht vor Februar und damit erst nach der UN-Biodiversitätskonferenz im Oktober und der UN-Klimakonferenz im November veröffentlicht werden.
Mehr Hunger
Durch die steigenden Temperaturen nimmt der Nährstoffgehalt der Nutzpflanzen dem Berichtsentwurf zufolge ab. Der Proteingehalt von Reis, Weizen, Gerste und Kartoffeln werde voraussichtlich um 6,4 bis 14,1 Prozent sinken, wodurch fast 150 Millionen Menschen zusätzlich unter Proteinmangel leiden könnten. Auch wichtige Mikronährstoffe, die vielen Menschen auf der Südhalbkugel ohnehin bereits fehlen, werden weniger.
Da extreme Wetterereignisse durch den Klimawandel zunehmen, steigt laut IPCC die Gefahr, dass die Ernten in mehreren Kornkammern der Welt gleichzeitig ausfallen. Die Autoren rechnen mit einem Anstieg der Lebensmittelpreise bis zur Mitte des Jahrhunderts um fast ein Drittel, wodurch weiteren 183 Millionen ärmeren Menschen Hunger drohe.
Für Asien und Afrika prognostiziert der Berichtsentwurf eine Zunahme der Zahl der unterernährten Kinder bis zum Jahr 2050 um zehn Millionen - mit langfristigen gesundheitlichen Folgen.
Mehr Trinkwasserknappheit
Etwas mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung leidet bereits jetzt unter einer unsicheren Wasserversorgung. Der IPCC legt dar, welche Auswirkungen der Wassermangel in Zukunft haben könnte. Die Berichtsautoren halten es für wahrscheinlich, dass deswegen zwischen 30 und 140 Millionen Menschen in Afrika, Südostasien und Lateinamerika bis 2050 zu Binnenvertriebenen werden könnten.
Bis zu drei Viertel der Grundwasservorräte - die Hauptquelle für Trinkwasser für 2,5 Milliarden Menschen - könnten bis zur Mitte des Jahrhunderts versiegen. Das rasche Abschmelzen der Gebirgsgletscher hat bereits »den Wasserkreislauf stark beeinträchtigt«, was »Spannungen um Wasserressourcen schaffen oder verschärfen könnte«, heißt es in der Zusammenfassung des Berichtsentwurfs.
»Wassermangel ist eines der Probleme, mit denen unsere Generation sehr bald konfrontiert sein wird«, sagt Maria Neira von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). »Es wird massive Vertreibungen geben, massive Migration, und wir müssen all das als ein globales Problem behandeln.«
Mehr Krankheiten
Mit der Erderwärmung breiten sich Mücken und andere Arten aus, die Krankheiten übertragen. Die Hälfte der Weltbevölkerung könnte bis Mitte des Jahrhunderts Krankheiten wie dem Dengue- und Gelbfieber sowie dem Zika-Virus ausgesetzt sein, warnt der Bericht. Die Gefahr von Malaria und Borreliose werde zunehmen, außerdem würden klimabedingt mehr Kinder an Durchfallerkrankungen sterben.
Auch Krankheiten, die mit schlechter Luftqualität und Ozonbelastung zusammenhängen, werden laut IPCC erheblich zunehmen. Sein Berichtsentwurf weist zudem auf »ein erhöhtes Risiko der Verunreinigung von Lebensmitteln und Wasser durch Gifte im Meer« hin. AFP/nd
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