»Wir sind angekommen!«

Zapatistas betreten europäischen Boden und benennen den Kontinent in »Rebellisches Land« um

  • Luz Kerkeling
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war stürmisch am Hafen von Vigo, Nordwest-Spanien, als über 500 soziale und ökologische Aktivist*innen die seit Oktober angekündigte Delegation der linksgerichteten zapatistischen Befreiungsarmee EZLN aus Chiapas, Mexiko, sichtlich aufgeregt erwarteten. Der gesamte Weg vom Kai zum Veranstaltungsort wurde mit solidarischen Transparenten in diversen Sprachen geschmückt, darunter Slogans wie »Mit offenen Armen, offenen Herzen und erhobenen Fäusten heißen wir Euch willkommen!«

Am 22. Juni gegen 18 Uhr war es dann so weit: Zum ersten Mal, 500 Jahre nach der vermeintlichen Eroberung Lateinamerikas, legten die indigenen Rebell*innen mit einem kleinen Boot an und betraten europäischen Boden. Sie wurden unter euphorischem Jubel mit Parolen wie »Zapata lebt! Der Kampf geht weiter!« begrüßt.

Zunächst wurde die Delegation am Strand von Vertreter*innen von Kollektiven aus unterschiedlichen Ländern begrüßt. Alle bekundeten ihre tiefe Solidarität mit den Zapatistas und stellten kurz ihre Kämpfe vor. Schwerpunktthemen - wie bei den Zapatistas - waren antipatriarchale, antikapitalistische und antirassistische Kämpfe, der entschlossene Einsatz gegen Umweltzerstörung sowie die Forderungen nach politischer Autonomie und für Ernährungssouveränität weltweit.

Danach begann ein festlicher Akt auf einer großen Wiese. Die Zapatistas betraten als erste die Bühne. Die ersten Worte der EZLN, die von Marijosé vorgetragen wurden, lauteten: »Im Namen der zapatistischen Frauen, Kinder, Männer, Alten und selbstverständlich auch Personen anderer Geschlechter erkläre ich, dass der Name dieses Bodens, den seine Einheimischen heute «Europa» nennen, fortan Slumil K‘ajxemk‘op, das heißt «rebellisches Land» (auf der indigenen Sprache Tzotzil, Anm. d. A.), oder «Land, das nicht aufgibt und nicht verzagt», genannt werden wird. Und so wird es den Einheimischen und Auswärtigen bekannt sein, solange es hier jemanden gibt, der nicht aufgibt, sich nicht verkauft und nicht kapituliert.«

Yuli, eine indigene Tojolabal-Frau, betonte, dass sie sehr zufrieden sei, nun hier zu sein, und dass sie glücklich sei, dass ihre Gemeinde sie für die Teilnahme an der Reise ernannt hat. Marijosé, eine »otroa«-Person, wie die Zapatistas sagen - auf deutsch eine Person anderen Geschlechts - ergänzte, dass es bei der Reise darum gehe, »unsere Wut, unsere Schmerzen, unsere Wege, unsere Formen des Kampfes mitzuteilen, aber auch Wege des Widerstands und der Rebellion zu teilen. Wir sind hier, um dem kapitalistischen System zu zeigen, dass eine andere Welt möglich ist. Nie wieder eine Welt ohne uns!«

Es folgten zahlreiche kämpferische Reden mit außerparlamentarisch-linker bis anarchistischer Ausrichtung aus unterschiedlichen Teilen Europas und der Welt sowie kulturelle, vor allem musikalische Auftritte.

Anwesend waren Kollektive aus dem Baskenland, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Galizien, Griechenland, Iran, Italien, Katalonien, Marokko, Mexiko, Portugal, Schweden, Schweiz, Tschechische Republik, und aus verschiedenen Städten Spaniens.

Autonome Medien dokumentierten dieses nach einhelliger Einschätzung historische Ereignis per Audio, Foto, Video, Text und mit diversen Livestreams.

Die Anreise per Segelschiff ist schon jetzt legendär. Nach einer 50-tägigen Überfahrt war das Schiff, das die Zapatistas poetisch-symbolisch in »La Montaña« (dt.: »Der Berg«) umgetauft hatten, am Sonntag eingetroffen. Ein Transparent mit der Aufschrift »Wacht auf!« wurde - von Land aus gut sichtbar - angebracht. Das Schiff ankerte zwei Tage in Küstennähe, zwecks Akklimatisation sowie administrativer und medizinischer Routineverfahren, bevor die Delegation und die Besatzung von Bord gingen.

Auch Kapitän Ludwig sprach bei dem Festakt auf der Bühne: »Glücklicherweise sind wir jetzt hier. Die Vorräte waren eh fast aufgebraucht. Wir übergeben Euch nun die compas zapatistas. Hier endet eine Reise, aber es beginnt eine neue! Und an alle, die nicht hier sind: Wacht auf!«

Die angelandete Gruppe bildet eine Art »Vorhut« und wird von der EZLN als »Geschwader 421« bezeichnet, da sie aus vier Frauen, zwei Männern und einer Transperson besteht. Über 150 weitere Delegierte aus Mexiko sollen folgen. Gemeinsam mit europäischen Kollektiven werden Besuche in rund 30 Ländern organisiert, um einen politischen Austausch und den Aufbau emanzipatorischer Projekte intensiv voranzutreiben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -