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Am Kreuzweg

Intersektionalität geistert als Schlagwort durch die linken Debatten. Was daran aus marxistischer Perspektive kritikwürdig ist, untersucht die »Z - Zeitschrift Marxistische Erneuerung« in ihrer aktuellen Ausgabe

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 5 Min.

Intersektionalität, kaum ein Begriff hat in den vergangenen Jahren eine vergleichbare akademische Karriere hinlegen können. Dagegen wirken Diskurs und Dispositiv fast schon wieder altbacken. Und auch in linken Debatten ist das Schlagwort inzwischen angekommen. Was aber meint Intersektionalität? Im engeren Sinne einen Ansatz in der Ungleichheitsforschung, der verschiedene Aspekte von Diskriminierung gleichermaßen beachtet - und zwar an den Stellen, wo diese sich kreuzen. »Intersection« ist der englische Ausdruck für Kreuzung. Zumeist bezieht sich das auf Kategorien wie Hautfarbe, Geschlecht und Klasse. In einem weiteren Sinne ist mit Intersektionalität ein Ensemble von Ansätzen wie der Privilegientheorie gemeint, das einen Paradigmenwechsel in der linken Theorie bewirkt hat und das bis zum heutigen Identitätsreduktionismus und Diversitätsfetischismus reicht. Deswegen zählt beispielsweise »Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten«, der 1988 erstmals erschienene Klassiker von Étienne Balibar und Immanuel Wallerstein, wegen des marxistischen Zugriffs nicht gerade zum Kanon der Intersektionalität - trotz des ähnlichen Gegenstands.

Die Lage wird nun dadurch kompliziert, dass die intersektionale Theorie einerseits ihre Ursprünge in einer linken Kritik hat, die ohne den Marxismus nicht denkbar wäre, andererseits aber inzwischen ohne marxistische Analysen und sozialistische Politik auskommt. Nicht selten werden von intersektionaler Seite die immer gleichen - und zudem irrigen - Vorwürfe gegen den Marxismus erhoben, er habe Ungleichheit und Herrschaft ausschließlich als Klassenherrschaft der Bourgeoisie übers Proletariat begreifen können und andere Ungleichheitsphänomene nicht nur verschwiegen, sondern geradezu gerechtfertigt. In »Postkoloniale Theorie und das Gespenst des Kapitals« hat Vivek Chibber am Beispiel der »Subaltern Studies« gezeigt, wie sich solche Missverständnisse verfestigt haben - und einer antikapitalistischen und marxistischen Politik im Wege stehen. Dass sich nun die aktuelle Ausgabe der »Z - Zeitschrift Marxistische Erneuerung« der Kritik des Intersektionalismus widmet, muss man innerhalb der Diskussion um eine linke Strategie verstehen. Es ist, wie die Beiträge zeigen, zugleich eine Auseinandersetzung mit den grundlegenden Begriffen einer linken Gesellschaftskritik.

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Quellen der Intersektionalität

In nahezu allen Beiträgen des Heftes werden die zwei Quellen der Intersektionalität in den USA der 70er Jahre genannt: Das ist zum einen das Combahee River Collective Statement von 1977, in dem die lesbischen schwarzen Frauen des Kollektivs von »ineinandergreifender Unterdrückung« sprachen. Die Gruppe warf der Linken vor, eine männliche Politik zu verfolgen - und dem Feminismus, nur Weiße anzusprechen. Zum anderen hatten ein Jahr zuvor schwarze Frauen ihren früheren Boss General Motors verklagt, weil insbesondere sie entlassen wurden. Sie bezogen sich darauf, dass in dem Konzern in der Fabrik nur Männer, in der Verwaltung aber nur Frauen - jedoch keine Schwarzen - eingestellt wurden. Mit der Entlassung seien sie als schwarze Frauen diskriminiert worden. Ein Gericht wies die Klage ab und begründete das damit, man könne nur entweder wegen Rassismus oder Sexismus klagen, beides zugleich sei unmöglich. Die Juristin Kimberlé Crenshaw griff den Fall auf und prägte in ihrer Kritik des Antidiskriminierungsrechts von 1989 den Begriff der Intersektionalität. Seitdem ist die Liste der ineinander verschränkten Diskriminierungen länger geworden.

Inzwischen hat aber auch der Kapitalismus gelernt, Diversität und Antidiskriminierung zu integrieren. So klagten 2013 weibliche Walmart-Angestellte gemeinsam wegen geringeren Lohns und schlechterer Arbeitsbedingungen gegen den Konzern; ein Gericht wies die Klage ab - mit der Begründung, Frauen seien keine eindeutige, sondern eine diverse Kategorie. Viele der Beiträge zielen in ihrer Kritik darauf, dass Intersektionalität vor allem im Rahmen liberaler Antidiskriminierungspolitik wirke, aber keine grundlegende Änderung der Gesellschaft anstrebe und somit die Quelle der alltäglichen Herabsetzung nicht angehe. Die Unterdrückung zu beklagen, sei die eine Sache, sie mittels revolutionärer Politik abzuschaffen, eben eine andere. Die Intersektionalität scheitere zudem am Begriff der Klasse. Sie kann diesen nicht als soziales Verhältnis begreifen, sondern muss ihn in das Raster des Individuellen pressen, sodass am Ende ein verwaschener Begriff des Klassismus entsteht, den selbst Olaf Scholz für seine Respekt-Kampagne benutzen kann.

Paradigmenwechsel seit den 70ern

Doch die Beiträge bleiben nicht bei einer Kritik des Reformismus. Sie gehen die Intersektionalitätstheorie auch in ihren Prämissen an. Überblickt man die verschiedenen Texte, so ergibt sich ungefähr folgendes Bild: Mit der Krise des fordistischen Akkumulationsregimes ab den 60er Jahren kommt es zu einem neuen Zyklus von Klassenkämpfen. Die werden - wie der Versuch der Black Panther Party, eine breite revolutionäre Koalition zu schmieden - teils brutal niedergeschlagen. Austerität und Privatisierung sind das Programm der 80er Jahre, ein Angriff auf die Politik und die kollektiven Reproduktionsbedingungen der arbeitenden Klasse. An den Universitäten werden derweil die »großen Erzählungen« verabschiedet; im »Kampf der Ideen« geht der Liberalismus zwar nicht als Sieger, aber als alternativlos hervor. Neue Erzählungen mit neuen Protagonisten werden benötigt, um die Ideologie des Kapitalismus zu erneuern und ihn aus seiner »Legitimationskrise« zu befreien. Dieser politische und kulturelle Paradigmenwechsel mag erklären, warum eine auf Anerkennung und Repräsentation basierende Antidiskriminierungspolitik eine solch erstaunliche Karriere hinlegen konnte, während die Klassengesellschaft als solche weiterhin unangetastet bleibt.

Als besonders nachteilig, so die Beiträge, wirkt sich dabei aus, dass die Intersektionalität keinen kritischen Begriff der Gesellschaft hat, sondern im Gegenteil eine Neigung zum Individuellen, worüber auch die abstrakte Rede von den »Strukturen« kaum hinwegtäuschen kann. Ökonomische Ausbeutung, überhaupt »der stumme Zwang der Verhältnisse« kann nicht mehr gefasst werden. Intersektionalität beschränkt sich meist auf den Bereich der Zulassungs- und Einstellungspolitik. Die identitätsreduktionistische Privilegientheorie vertieft die ideologische Formation der Gesellschaft, statt Klassenkonflikte aufzuzeigen.

Kritik der politischen Ökonomie? Fehlanzeige. Das führt dazu, dass in der Theorie die Oberfläche der Gesellschaft - die vereinzelten Individuen als dem Markt Ausgelieferte - verdoppelt wird, die Bewegungsgesetze des Kapitalismus aber unverstanden bleiben. Der unbeabsichtigte Effekt dessen ist die Stabilisierung des Bestehenden. Die in dem Heft versammelten Beiträge nehmen die Kritik des Intersektionalismus darüber hinaus zum Anlass für die Erneuerung einer marxistischen und materialistischen Theorie - wie mit der Theorie des Klassengeschlechts oder der sozialen Reproduktion. Kritisiert wird nicht die Absicht - Ungleichheit zu zeigen und abzuschaffen -, sondern die beschränkten theoretischen und praktischen Mittel, dieser Absicht auch zum Erfolg verhelfen zu können.

Aktuelle Ausgabe 126 der »Z - Zeitschrift Marxistische Erneuerung« zum Thema »Kritik des Intersektionalismus«. Zu beziehen über: www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de

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