Predigt von der Klimakanzel

Kulturinstitutionen begreifen sich selbst als ökologische Avantgarde - und vergessen die gesellschaftliche Realität

Umweltschutz - das schien einmal eine einfache Sache zu sein. Wer ein »guter Mensch« ist, der schützt auch die Umwelt. Wer die Umwelt schützt, der geht sparsam mit Wasser um, der trennt seinen Müll und der greift zum Stoffbeutel statt zur Plastetüte. Nun klingt Umweltschutz wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, tatsächlich hat er dem Klimaschutz Platz gemacht. Und die Chancen stehen gut, dass dem Klimawandel mehr Beachtung zuteil wird als als einem temporären Modethema, sind doch dessen Auswirkungen nicht mehr zu leugnen.

Etwas spät, aber unübersehbar ist die durch Menschen verursachte Veränderung klimatischer Bedingungen in unser aller Bewusstsein gerückt. Was gleich bleibt, ist die Verklärung sowohl von Umwelt- als auch Klimaschutz zu einer Frage des Charakters. Man gibt sich dem Glauben hin, das globale Schicksal läge in der eigenen Hand. Tatsächliches politisches Denken und Handeln wird durch Konsumentscheidungen ersetzt. Könnte die Klimakatastrophe auch Anlass sein zur Beendigung des übersteigerten Individualismus der letzten Jahrzehnte, so wird im Gegenteil das persönliche Verhalten absolut gesetzt. Nebenbei bietet es das angenehme Gefühl der moralischen Überlegenheit gegenüber den Ignoranten und Klimasündern.

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Weil Kunst und Kultur in Deutschland gern die Streberrolle spielen, machen Theater und Konzerthäuser, Museen und Ausstellungshallen bereitwillig mit, wenn es darum geht, sich selbst - nicht aber eine zerstörerische Wirtschaftsweise - infrage zu stellen. Symptom dieser Denkweise ist auch das von der Kulturstiftung des Bundes initiierte Pilotprojekt »Klimabilanzen in Kulturinstitutionen«, für das 19 kulturelle Einrichtungen - von der Stadtbücherei Norderstedt bis zum Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, von der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz bis zum Münchner Lenbachhaus - ihren sogenannten CO2-Fußabdruck ermitteln ließen.

In einer nun vorgelegten Broschüre zu dem Projekt mit gleichlautendem Titel wird das Anliegen näher ausgeführt. Im Vorwort wird richtigerweise gefragt: »Der Kampf gegen den Klimakollaps ist eine Aufgabe im Weltmaßstab. Aber wo fängt sie an, die Welt? Bei der Gesetzgebung? Im Privathaushalt?« Die Antwort lässt nicht auf sich warten: »Gemeinsam müssen wir den Unterschied machen - als Verbraucherinnen, Bürger und im Arbeitsleben.« Das ist sicher nicht falsch, nur wird verschwiegen, wer hier wirklich welchen Anteil trägt - und auch tragen kann. So wie die vegane Ernährung des Einzelnen die Massentierhaltung nicht abschaffen wird, so wenig wird die CO2-neutrale Stadtteilbibliothek zu einem Wirtschaften nach ökologischem Maß führen. Kulturinstitutionen können natürlich auf Ökostrom umsteigen, wofür sie die ihnen zugeschossenen öffentlichen Gelder aufwenden müssten. Eine Energiewende müsste aber andernorts politisch beschlossen werden.

»So ist die Klimawirkung der Kunst in Deutschland ein blinder Fleck, den zuneh-mend mehr Akteure in den Blick nehmen wollen«, heißt es außerdem in der Broschüre. Diesen blinden Fleck ausgerechnet in der Kunstproduktion finden zu wollen, wirkt zynisch angesichts einer unökologischen Wirtschaftsweise. Dass der Kulturbetrieb mitspielt, zeigt den unbedingten Willen, sich als moralische Avantgarde zu behaupten. Solange man sich selbst nichts zuschulden kommen lässt, ist die Welt noch in Ordnung. Dass ökologisches Arbeiten auch eine Frage der finanziellen Möglichkeiten ist, sollte nicht vergessen werden.

Die Kunst verwechselt einmal mehr ihren Platz mit der Kanzel, wenn sie ein Publikum animieren will, zu ihr aufzuschauen, voller Ehrfurcht und in der Erwartung, sie könnte sich in ihrer Vorbildhaftigkeit präsentieren. Die Kunst ist ein Ort der Überschreitung, nicht des regelkonformen Arbeitens. Hier soll möglich werden, was im außerkünstlerischen Bereich undenkbar bleibt. Wenn die Kunst Anklage erhebt und den Verhältnissen den Spiegel vorhält, muss sie selbst nicht besser sein als die Welt, die sie kritisiert. Der Anspruch, sich schon außerhalb der gesellschaftlichen Realität zu befinden, die Verhältnisse auch in den eigenen Arbeitsweisen außer Kraft zu setzen, ist ein zutiefst primitives Kunstverständnis, das auch mit Selbstüberschätzung einhergeht.

Nur wenn die Kunst über sich selbst hinausweist, ist sie von öffentlichem Interesse, und nur dann hat sie einen gesellschaftlichen Wert. Wenn die Kunst sich darauf reduziert, ökologisches Statement zu sein und sich darin zu erschöpfen, bereits das verwirklicht zu haben, was sie nach außen zu sein scheint, zum Beispiel klimaneutral, dann macht sie sich überflüssig.

Spricht denn aber etwas dagegen, wenn Kulturinstitutionen ein Augenmerk auf größere Nachhaltigkeit in ihrer Arbeit legen? Wohl kaum. Fragwürdig ist allerdings die Hybris, mit der wieder einmal angenommen wird, so ließe sich die Welt retten. Diese Art der Beschäftigung mit sich selbst lenkt schließlich von der Frage ab, wo politische Interventionen wirklich notwendig wären. Wenn jeder sich ein bisschen ändert, wird am Ende alles gut, wird uns eingetrichtert. Dabei soll vergessen werden, dass einige sich nicht ändern wollen, zum Beispiel aus einem handfesten ökonomischen Interesse, und politisches Agieren Voraussetzung für einen echten Wandel wäre. Der globale Flugverkehr wird sich nicht dadurch ändern, dass internationale Künstler mit der Bahn zu ihren Ausstellungen fahren.

Die Geisteshaltung, mit der solche Pilotprojekte vorangetrieben werden, erinnert an die Kampagne »Atomausstieg selber machen«, die - getragen von 23 deutschen Umweltverbänden - zwischen 2006 und 2015 Privathaushalte lautstark zum Wechsel von konventionellen zu nachhaltigen Stromanbietern bewegen wollte. Als guter Konsument schloss man einen Vertrag über Ökostrom ab, zahlte unter Umständen ein paar Euro mehr und durfte sich einbilden, aus der Steckdose käme nun ein ganz anderer, ein grüner Strom.

Natürlich ist nichts gegen regenerative Energien einzuwenden - und auch nichts gegen die Entscheidung für einen Ökostromanbieter. Aber die Art und Weise, wie hier die Macht des Einzelnen behauptet wird, lenkt doch von zentralen Fragen ab: Warum werden diejenigen, die am meisten Strom verbrauchen - die Großindustrie nämlich -, nicht stärker in die Pflicht genommen? Warum zahle ich als Einzelperson mehr für meinen Stromverbrauch, während Kohle- und Kernkraftwerke weiterlaufen? Bedarf es zum Bau neuer, anderer Kraftwerke nicht eines anderen Ausdrucks von politischem Willen?

Der Begriff »Klimabilanzen« vermittelt einen betörend wissenschaftlichen wie amtlichen Charakter. Was gewissenhaft von fachkundigen Experten bilanziert wird, das muss auch stimmen. Konditioniert von der Corona-Pandemie, in der sich die Menschheit über Inzidenzwerte austauscht und so tut, als wüsste sie, was das heißt, sprechen wir auch vom Zwei-Grad-Ziel, nicken betroffen und wollen den Anschein erwecken, als könnten wir uns eine Vorstellung von den Ausmaßen des Klimawandels machen. Was sich messen lässt - so kommt es uns vor -, das lässt sich auch bändigen.

Eigentlich müsste es aber darum gehen, das Problem - den Klimawandel - erst einmal begreifbar zu machen; für ein stärkeres Bewusstsein, vielleicht sogar für Erschütterung zu sorgen; auf die Widersprüche von Fortschrittsdenken und ökologischer Verantwortung aufmerksam zu machen. Nicht in der moralischen Selbstgefälligkeit als ökologisch-moralische Instanz, sondern darin - schwierig genug - könnte eine Aufgabe für die Kunst bestehen.

Wenn die Kunst- und Kulturschaffenden klug sind, konzentrieren sie sich nicht auf das Bilanzieren, sondern auf das Zeigen. Weil künstlerische Produktionen immer ein Arbeiten innerhalb einer Gesellschaft und trotz - oder sogar entgegen - einer gesellschaftlichen Verfasstheit sind, müssen sie sich auch an ihr abarbeiten. Sie dürfen nicht den Fehler machen, immerfort das richtige Leben im falschen zu behaupten.

Die Broschüre »Klimabilanzen in Kulturinstitutionen. Dokumentation des Pilotprojekts und Arbeitsmaterialien« ist digital erhältlich unter:

www.kulturstiftung-des-bundes.de

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