Von Sonnen- und Hitlergrüßen

Stählerne Körper: In dem Buch »Yogi Hitler« wird der Nähe der Nationalsozialisten zum Yoga nachgespürt

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 6 Min.
Yoga ist in Deutschland seit gut 200 Jahren bekannt. Zu Beginn war es das Spezialinteresse weniger Gelehrter wie Herder, Schelling, Schopenhauer oder Nietzsche. Zum Massenphänomen wurde es erst ab den 1970er Jahren. Und dazwischen? Bis heute ist kaum bekannt, dass es Yoga auch im »Dritten Reich« gab. Führende Nazis schätzten die altindische Technik der Selbstbeherrschung. Darin entdeckten sie die indo-arische Metaphysik des Kampfes, den »arischen Yoga«. Nazi-Größen generierten aus Yoga Kraft und Inspiration für ihre grausamen Taten. SS-Totenkopfverbände sollten so präzise, gefühl- und gewissenlos handeln wie die Kshatriya-Kriegerkaste in der Bhagavad Gita. Der Berliner Yoga-Lehrer und Buchautor Mathias Tietke hat dazu nun ein Buch vorgelegt: »Yogi Hitler«.

Erste Hinweise auf solche Verbindungen fand Tietke im »Völkischen Beobachter«. Dort wurde Hitlers Nähe zum altindischen Schriftgut der Upanishaden dargelegt. Der Führer schöpfe seine Kraft aus dem Yoga. Noch weiter ging die Esoterikzeitschrift »Die Weiße Fahne«, die postulierte: Hitler sei verkörperter Yoga. Sein Leben, sein Tun, alles deute darauf hin, dass er den Yoga lebe. Von der NS-Propaganda war diese Darstellung gewollt. Denn Hitler war dem Yoga tatsächlich zugeneigt. In seiner Bibliothek fanden sich zahlreiche Bücher mit Yoga-Bezug: etwa von Schopenhauer, der im 19. Jahrhundert den Yoga in Deutschland einführte. Oder die Fachliteratur des damals führenden Tübinger Indologen und SS-Hauptsturmführers Jakob Wilhelm Hauer. Daneben Literatur des Münchener Indologen und SS-Oberführers Walther Wüst, der bis zum Ende des Krieges Rektor der Universität München war.

Im Yogasutra, dem klassischen Leitfaden des Yoga, der auf den »Vater des Yoga« Patanjali zurückgeht, wird der achtstufige Pfad der Erlösung beschrieben. »Yama«, die erste Stufe, spricht von Wahrhaftigkeit, Keuschheit und vor allem von Gewaltverzicht. »Ahimsa«, Stufe zwei, fordert Reinheit und Askese. Die dritte Stufe beschreibt »Asanas«, besondere Körperhaltungen und Sitzpositionen. »Pranayama«, die Stufe vier, meint das bewusste Ein- und Ausatmen. Körper- oder Atemübungen blieben Hitler und Himmler aber fremd. Dass Hitler ein Asket war, war reine Propaganda. In Wahrheit trank der Führer viel und aß gerne Fleisch, musste aber aufgrund seines schlechten Gebisses und wegen Verdauungsproblemen auf Schonkost umstellen. Überzeugt sei er davon aber nie gewesen, schon gar nicht als Yogi, sagt Tietke: »Das spielte bei Hitler, Himmler oder Rosenberg gar keine Rolle. Nur die Stufen 5, 6, 7, das Zurückziehen der Sinne von der Außenwelt, Konzentration und ein Zustand der Meditation, waren im Blick. Dazu die Bhagavad Gita, wo die Ethik des Kriegers beschrieben wird. Der Krieger als derjenige, der seine Pflicht tun muss, der für seine Taten nicht verantwortlich ist.«

Entgegen der klassischen Lehre wurde ein arischer Yoga entdeckt. Die vorherrschende Ethik der Bhagavad Gita ist die der Kshatriya-Kaste: Egal, wer vor dir auf dem Schlachtfeld steht, egal, wem du auf dem Schlachtfeld begegnest, schlachte den Gegner ab, denn es geht um einen höheren Zweck. Gott Krishna befreit den Krieger Arjuna von all seinen Gewissensbissen und lehrt ihn das gnaden- und gefühllose Töten. Ideal für die NS-Kriegspolitik.

Doch die in der Bhagavad Gita geschilderte Lehre ist in eine viel größere Geschichte eingebettet und wird im Grunde relativiert. In der Fortsetzung wird Arjuna getötet, Gott Krishna wird verflucht und später ebenfalls getötet. Arjuna und die Seinen finden sich schließlich in der Hölle wieder. Die Zweifel des Arjuna am gefühllosen Töten waren offenbar berechtigt.

Die Nationalsozialisten ignorierten den Mythos. Ihnen ging es allein um die Kämpfermentalität, frei von jeglichen Zweifeln stupide und treu die Pflicht zu erfüllen. So wie Gott Krishna den Krieger Arjuna von all seinen Gewissensbissen befreit hatte, sollte dies Tausende Jahre später auch zum Vorbild für die germanischen Kämpfer im Zweiten Weltkrieg werden. Hinzu kam der Bezug auf das idealisierte Ariertum. Als Arier, also Edle, bezeichneten sich die aus Zentralasien einfallenden kriegerischen Reiternomaden.

Die dem vor gut 5000 Jahren entgegenstehende, meist friedliche Indus-Kultur wurde von ihnen als unedel betrachtet. Darauf beruht bis heute das Kastensystem, die Unterscheidung von wertvollen und weniger wertvollen Menschen bis hin zu den Parias. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts nun wurde diese altindische Einteilung in arisch-nichtarisch, edel-unedel, nochmals umgedichtet.

»Bei Schopenhauer wird aus arisch-unarisch das neue Gegensatzpaar arisch-jüdisch. Das setzt sich dann fort bei Nietzsche und Houston Stewart Chamberlain, der nicht nur Wagner, sondern auch Hitler beeinflusste. Das Germanische, das Deutsche ist immer das Arische, das Edle. Dem gegenüber steht das Semitische, das Jüdische, was abzuwerten ist«, erklärt Tietke.

Insofern schien den Nazi-Größen dieses Yoga perfekt zu ihrer antisemitischen Ideologie zu passen. Heinrich Himmler wollte zudem die SS zu einer Art spirituellen Orden machen. Er lobte Meditations-Retreats, die Lektüre der Bhagavad Gita und Yoga zur Steigerung der Kampfkraft und der Skrupellosigkeit. Aber auch die von Hitler und Himmler wenig geschätzten Körperübungen des Hatha-Yoga sollten zum Teil der Wehrertüchtigung werden. In Nazi-Blättern wie »Das Reich«, dem »Illustrierten Beobachter« oder dem »Völkischen Beobachter« stehen Wehrmachtsangehörige im Schulterstand. Reichsdeutsche Frauen zeigen die Vorbeuge oder die Kerze, klassische Yoga-Haltungen also. Indische Yogis demonstrieren in Bildstrecken: Das ist die Art und Weise, wie man sich fokussiert, wie man seinen Körper stählt.

Körperbeherrschung, Treue und Gefolgschaft bis in den Untergang. Und darüber hinaus. Nach dem Krieg verlor der Münchener Indologe Wüst zwar seinen Lehrstuhl und konnte seinen früheren Einfluss nicht mehr zurückgewinnen. Der Tübinger Indologe Hauer aber verbreitete noch bis in die 1960er Jahre seine kruden Thesen, etwa in den Neuauflagen seines Buches »Der Yoga«.

Weiter schrieb er von arischen Bruderschaften oder dem Verständnis des Yoga als Willen zum Kampf und zur Tat – allerdings ohne größeren Einfluss zu gewinnen. Eine braune Yoga-Schule konnte sich nach 1945 nicht etablieren. Mathias Tietke will aber warnen, dass Yoga weiterhin missbraucht werden kann: »Es gibt Anhänger des Runen-Yoga, nationalsozialistisch orientierte Menschen, die im Kern das vertreten, was Hauer vertreten hat. Runen-Yoga, der germanische Yoga, der Raja-Yoga, der Königs-Yoga.«

Allerdings seien das rudimentäre Erscheinungen. Von Tausenden, die Yoga praktizieren, gebe es vielleicht ein oder zwei, für die Runen-Yoga eine Rolle spiele, sagt Tietke. Für die allermeisten seien heute die ersten Stufen des Yoga entscheidend: Körperhaltungen, Atemtechnik und Friedfertigkeit. Aber es gelte wachsam zu sein. Der Yoga in seiner vieltausendjährigen Geschichte sei wandlungsfähig und eben auch anfällig für eine Benutzung durch politische Extreme.

Mathias Tietke: Yogi Hitler. Der Einfluss von Yoga und indischer Philosophie auf die Ideologie des Nationalsozialismus. Verlag Ludwig, 160 S., br., 17,90 €.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -