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Nicht für die Ewigkeit
Die Pandemie dauert Jahre, das Klima verändert sich brutal und die Toten leben als Roboter weiter: Katie Flynns faszinierender Debütroman »Companions« spielt in der nahen Zukunft
Kaum ein belletristischer Titel, der dieser Tage erscheint, dürfte so viel »zeitgeistige« Aktualität besitzen wie Katie M. Flynns Science-Fiction-Roman »Companions - Der letzte Morgen«. Der fantastische Roman über eine Pandemie und Künstliche Intelligenzen erschien im englischen Original bereits im März 2020, gerade als die Corona-Pandemie losging, was dem Buch in den USA eine gewisse Aufmerksamkeit sicherte.
Auf 350 ziemlich spannenden Seiten entwirft die aus San Francisco stammende Autorin in ihrem Debütroman eine Welt in naher Zukunft, die von einer Pandemie heimgesucht wird, der viele Menschen zum Opfer fallen. Wobei es in Flynns Roman zu keinem massenhaften Sterben wie in diversen Hollywood-Blockbustern kommt. Sie inszeniert die Pandemie realistischer: Es wird eine monatelange Quarantäne verhängt. Kontakt halten die Menschen, die meist zu Hause bleiben, über digitale Medien.
Außerdem ist es in dieser nahen Zukunft möglich, mittels digitaler Technologie die Erinnerungen verstorbener Menschen in einen Körper hochzuladen. Die titelgebenden »Companions« (Begleiter) helfen zum einen vielen Menschen über die schwere Zeit der Einsamkeit in der monatelangen Quarantäne hinweg. Zum anderen bietet die Companion-Technologie auch die Möglichkeit, Angehörige nicht zu verlieren und sie quasi weiterleben zu lassen. Erinnerungssamples mit eigenem, sich weiterentwickelndem Bewusstsein garantieren fast so etwas wie Unsterblichkeit.
Die Sache hat aber einen für unsere kapitalistische Ordnung recht typischen Haken. Denn nur wer sich einen teuren künstlichen High-End-Körper leisten kann, dem ist es auch vergönnt, ein beinahe menschliches Leben führen. Die anderen Companions, die ebenfalls allesamt nach ihrem Upload ein eigenes, sich weiter entwickelndes Bewusstsein haben, erhalten einfachere Hüllen bis hin zu simplen roboterartigen Metallkörpern. Manche dümpeln auch nur für längere Zeit auf den Servern herum.
Die Companions, die in einem gut gemachten menschlichen Körper stecken, sind überrascht, wenn sie bemerken, dass sie gar keine Menschen (mehr) sind, sondern nur noch hochgeladene Erinnerungen. Und da diejenigen mit dem schmaleren Geldbeutel Eigentum der Firma Metis sind, die diese Technologie exklusiv vertreibt, werden sie vermietet. Wie auch Lilac, die sich in einem gigantischen Wohnturm in San Francisco mitten in der Pandemie als Spielkameradin um ein junges Mädchen kümmert. Lilac ist eine der ersten Companions, eine Art Hausangestellte und Care-Workerin, sie hat einen Metall-Körper mit Greifarmen und einer Rolle, mit der sie über den Boden fährt.
In ihrem Bewusstsein spielt Lilac immer wieder den letzten Tag ihres Lebens durch, als sie als 16-jähriges Mädchen einen tödlichen Unfall hatte, in Wirklichkeit aber von einer Mitschülerin ermordet wurde, wie sich dann herausstellt.
Plötzlich entwickelt Lilac einen eigenen Willen, flieht aus dem futuristischen Wohnturm und macht sich auf die Suche nach ihrer Mörderin. Der begegnet sie auch recht bald in dieser vernetzten Welt, in der sie über Feeds Zugriff auf riesige Datenmengen hat. Diese Krimigeschichte ist aber nur ein Erzählstrang in Katie M. Flynns großartig komponiertem Roman, in dem insgesamt acht verschiedene Erzähler in kunstvoll miteinander verknüpften Geschichten von jener Zukunftswelt mit ihren Companions, der jahrelangen Pandemie und einer immer deutlicher werdenden Klimaveränderung erzählen.
Denn nicht nur, dass der Meeresspiegel an der kalifornischen Küste steigt, so dass riesige Mauern San Francisco und Los Angeles vor einer Überflutung bewahren, auch die legendären Redwoods, die Mammutbäume Nordkaliforniens, faulen irgendwann alle am Stumpf ab und kippen um. Insofern laufen in diesem Roman mit der Pandemie, den Künstlichen Intelligenzen und der Umweltkatastrophe so ziemlich alle Themen zusammen, die derzeit und in den vergangenen Jahren zahlreiche gesellschaftspolitische Debatten prägten.
Wobei Katie M. Flynn diese Themen wenig ausschlachtet, vielmehr sind sie in einen komplexen literarischen Plot eingewoben, dessen mehr als anderthalb Jahrzehnte umfassende Handlung von den Wäldern Nordkaliforniens über San Francisco und Los Angeles bis nach Alaska und Sibirien reicht.
Da gibt es einen Hollywood-Schauspieler, der sich nach seinem Tod per Upload mehrfach klonen lässt und somit unterschiedliche Jobs gleichzeitig machen kann. Eine krebskranke Mutter wird von ihrer Tochter überredet, sich uploaden zu lassen. Ein Pfleger in einem Altersheim verliebt sich in eine Companion und führt eine Beziehung mit ihr. Und draußen auf dem kalifornischen Land werden in einer ehemaligen Farm von einem Subunternehmen nicht mehr funktionierende Companions zerlegt und verschrottet. Denn Lilac ist bald nicht mehr die einzige Companion, die einen eigenen, freien Willen entwickelt. Das führt zu Ängsten in der Bevölkerung, sodass es schließlich eine große Rückrufaktion gibt und alle Companions zerstört werden sollen. Die tauchen ab in den Untergrund, wehren sich dagegen, und bald werden Companions regelrecht gejagt.
Diejenigen, die dann noch übrig sind und über ein eigenes Bewusstsein wie jedes andere, sich ihnen so überlegen fühlende menschliche Lebewesen verfügen, organisieren sich und sichern soweit als möglich ihre Existenz. Aber auch die Körper der Companions sind nicht für die Ewigkeit konstruiert.
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Katie M. Flynns Roman gehört zum faszinierendsten, was im Bereich Science-Fiction zum Thema Künstliche Intelligenzen in den vergangenen Jahren geschrieben wurde. Dass es in diesem Roman außerdem um eine Pandemie geht, macht dieses Buch zu einer brandaktuellen und absolut lesenswerten Neuerscheinung.
Katie Flynn: Companions - Der letzte Morgen. A. d. Engl. v. Jürgen Langowski, Heyne, 352 S., brosch., 12,99 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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