Zurück in die Zukunft

Gob Squad untersucht auf der Bühne mit George Orwells »1984« Zukunft zwischen Realität und Utopie - und flüchtet sich ins Private

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Gegenwart wird heimgesucht vom Gefühl der Zukunftslosigkeit. Das Fehlen einer postkapitalistischen Perspektive schlägt um in von Nostalgie geleiteten Kulturkonsum. Neue technologische Möglichkeiten dienen nur noch dazu, das Alte aufzupolieren, schrieb der Kulturtheoretiker Mark Fisher. Statt mit neuen Formen zu experimentieren, wird das Vertraute wiederholt und so das Verschwinden der Zukunft als sein Gegenstück verschleiert.

War früher sogar die Zukunft besser? Oder handelt es sich bei Fishers Diagnose nur um einen enttäuschten Fortschrittsoptimismus? Das deutsch-englische Performance-Kollektiv Gob Squad reist zurück in das Jahr 1984, um im Trümmerhaufen der Geschichte nach den verschütteten Splittern eines alternativen Zeitstrangs zu suchen. Nach dem Satz »Who controls the past controls the future. Who controls the present controls the past« (»Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit«) aus dem Klassiker von George Orwell versuchen sie, Verklärung und Projektion in der Erinnerung zu reflektieren. In wechselnden Konstellationen breiten sie in ihrer Inszenierung »1984: Back to No Future« diese als Anschauungs- und Untersuchungsmaterial auf der Bühne aus. Obwohl sie beständig vor der Flucht in die Popnostalgie warnen, verwehrt sich die Gruppe nicht des privaten Eskapismus ins Jugendzimmer.

Eröffnet wird die Deutschlandpremiere der Inszenierung, die in diesem Jahr auch noch im dänischen Odense, in Dresden und Berlin zu sehen sein wird, in der Residenz des Schauspiels Leipzig von einem Tanz der Performer*innen, verkleidet als Walkman, Mixtape und Ghettoblaster. Kritisch kommentiert die Big-Brother-Projektion auf der rechten Bühnenseite, dass die Zeichen der Zeit rückblickend problematisiert werden müssen. Das Mixtape, früher ein romantisches Geschenk, erscheint aus heutiger Perspektive als Plastikmüll, bespielt mit raubkopierter Musik. Auch der Walkman ist schlecht gealtert und müsste heute gegendert werden. Mit dieser Warnung vor den Tücken des Erinnerns beginnt die Reise in die Vergangenheit mit den für das Kollektiv typischen Mitteln.

Das Spiel zwischen An- und Abwesenheit durch die Verwendung mehrerer Kameras, wie es das Kollektiv bereits in ihrer Produktion »Kitchen« (2007) erfolgreich erprobte, stellt die Mittelbarkeit der Theatersituation aus. Auf der Bühne wird selten direkt zum Publikum gesprochen. Um Distanz zum Jahr 1984 und zu den persönlichen Geschichten aufzubauen, nutzt Gob Squad Strategien der medialen Übertragung. Drei Jalousien sind auf der Bühne verteilt, die zur Projektionsfläche von dahinter stattfindenden Live-Aufnahmen werden. Zurücktransportiert in die Zimmer ihrer Kindheit berichten Berit Stumpf, Sarah Thom und Damian Rebgetz von den Postern, die ihre Wände schmückten, und von ihren damaligen Ängsten. Rebgetz, der auf einer Insel nahe der australischen Küste aufgewachsen ist, fürchtete sich als Fünfjähriger vor den Krokodilen und Würfelquallen, die ihn vom Baden abhielten. Die damals 20 Jahre alte Thom spricht von ihrer Besorgnis aufgrund der Politik Margaret Thatchers und der Aids-Epidemie. Ihre Erinnerungen an das Leben in einer feministischen Frauengemeinschaft eröffnen - leider nur sporadisch - auch einen gesamtgesellschaftlichen Kontext.

Die meiste Zeit ist die Aufführung nicht mehr als ein persönliches Blättern im Familienalbum. So werden auch lediglich auf individueller Ebene Antworten auf die Fragen gefunden, welche Zukunft damals möglich gewesen wäre und welche Hoffnungen die Performer*innen verstreichen ließen. Wie würde es heute ums Klima stehen, wenn die Schüler*innen vor 37 Jahren auf die Straße gegangen wären? Oder hätte Stumpf die Chance nutzen sollen, ihren Opa auf seine NS-Vergangenheit anzusprechen? Dabei entzieht sich der Abend der Möglichkeit, damalige Alternativen und Bewegungen zu untersuchen.

»1984: Back to No Future« wurde während Forschungsresidenzen in Bengaluru, Mumbai, Leipzig, New York City und Shanghai entwickelt und feierte in Kopenhagen seine Uraufführung. Trotz der heterogenen Erfahrungen zeigte sich im Austausch, dass die 1980er Jahre überall von der Musik Michael Jacksons geprägt waren. Werden die ersten Takte von »Thriller« angespielt, kann Bastian Trost nicht anders, als die Dancemoves zu wiederholen. Die Bewegungen und Takte haben sich in seinen Körper und das kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Wie der Walkman ist dabei auch der Künstler schlecht gealtert. Um die kritische Distanz auf die Bühne zu transportieren, werden die Hits des fokussierten Jahres nur befremdlich zerstückelt eingespielt.

Die Präsenz der damaligen Popmusik ist Ausdruck jener Zukunftslosigkeit, die Fisher in seinen kulturwissenschaftlichen Texten beschreibt. Auch der utopische Ausblick des Abends bestätigt die fehlende Perspektive. Auf dem Weg »Back to No Future« bewegen sich die Agierenden in einem simulierten Nicht-Ort. »A place where time folds in on itself« (Ein Ort, an dem Zeit sich ineinanderfaltet). Ohne es zu benennen, steht die Inszenierung am Ende so wieder an dem Ausgangspunkt ihrer Untersuchung. Statt vergangene und gegenwärtige gesellschaftliche Kontexte zu befragen, wird das Private im Rückblick als geschichtslos inszeniert. Nicht die konkrete Zeit, vielmehr die Moden falten sich hier übereinander und bieten Eskapismus mit kritischem Anstrich.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.