- Politik
- Delta
Scheu vor dem Lockdown
Die Ausbreitung der Delta-Variante lässt Infektionen in mehreren Regionen Indonesiens sprunghaft ansteigen
Indonesien war mit einer Gesamtzahl von 750 000 Infizierten ins Jahr 2021 gestartet - der Januar fiel in den Peak der ersten Welle in dem südostasiatischen Inselstaat, das mit seinen 276 Millionen Einwohnern auf Platz vier der bevölkerungsreichsten Staaten der Welt liegt. Mit Beginn des zweiten Halbjahres ist der Wert auf 2,2 Millionen gestiegen. Schon allein das illustriert den Ernst der Lage.
Momentan kommen pro Tag zwischen 20 000 und 25 000 neue Fälle hinzu. Während der ersten Welle lagen die höchsten Tageswerte bei 13 000 Neuinfektionen. In dem Land breitet sich das Virus mit einer Geschwindigkeit aus, die der Politik ebenso wie Fachleuten im In- und Ausland Sorgen bereitet. »Jeden Tag sehen wir, wie die Delta-Variante Indonesien noch näher an den Rand einer Covid-19-Katastrophe bringt«, wird Jan Gelfand, Chef des Indonesien-Unterstützungsteams der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung (IFRC), in einheimischen Medien zitiert.
Für den sprunghaften Anstieg der Neuansteckungen waren zum Teil die massiven Reisebewegungen mit dem Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan im Mai verantwortlich. Der zweite Grund dürfte die Ausbreitung der Delta-Variante sein, die wesentlich ansteckender ist als das Ursprungsvirus. Sie ist von Indien aus, wo sie im März erstmals nachgewiesen wurde, auf ihrem globalen Ausbreitungsweg in bisher 96 Länder längst auch im Reich der 7000 Inseln angekommen. Wie dies genau geschah, muss noch näher untersucht werden. Auch kann nur ein Teil der Infektionen zeitnah auch auf die Identifizierung der Virusvariante hin näher untersucht werden.
Fakt ist, dass derzeit gut 40 Prozent aller Corona-Tests positiv ausfallen, das ist einer der höchsten Werte weltweit. Zugleich gibt es, gemessen an der Gesamtbevölkerung, aber nach wie vor relativ wenige Tests. Dass der Distrikt Kudus in Zentral-Java bei den Infektionszahlen an der Spitze liegt, hat wiederum auch damit zu tun, dass dort deutlich mehr als andernorts getestet wird, weil ein Konzernchef dies finanziert. Hier wurde in 86 Prozent aller sequenzierten Tests die Delta-Variante nachgewiesen. Die Regierung macht hier aus Indien heimkehrende Arbeitsmigranten und Kontakte in Häfen für deren Einschleppung verantwortlich. In der Hauptstadt Jakarta beträgt die Delta-Quote nach Angaben von Gouverneur Anies Baswedan 87 Prozent. Jüngere seien stärker betroffen als bisher.
Besonders im Fokus stehen die Millionenstädte Jakarta und Bandung. Die Behörden sind bemüht, die Mobilität zwischen den beiden Metropolen einzuschränken, was sich im Alltag aber als schwierig erweist. Auch die beliebte Ferieninsel Bali ist ein Schwerpunkt in der aktuellen Problemlage.
In Jakarta kommt das Gesundheitswesen inzwischen an den Rand seiner Leistungsfähigkeit: 93 Prozent der Intensivbetten sind dort belegt, auch im Rest Javas sind es oft an die 90 Prozent. Teilweise werden schon Notzelte vor den Kliniken aufgestellt. Landesweit liege die Quote der Auslastung isolierter Betten bei 60 Prozent, wie Gesundheitsminister Budi Gunadi Sadikin mitteilte.
Die Regierung scheut dennoch weiter vor einem harten Lockdown zurück. Präsident Joko Widodo und sein Kabinett haben aber zumindest für Bali und weite Teile Javas ein Maßnahmebündel zur Kontakt- und Mobilitätseinschränkung verhängt, das ab diesem Wochenende zunächst bis 20. Juli gelten soll - mit Option auf Verlängerung. Marine- und Investitionsminister Luhut Pandjaitan wurde zum Leiter einer Taskforce ernannt, welche die Einhaltung der Restriktionen überwachen soll, die zum Beispiel Schulschließungen und die Aussetzung religiöser Veranstaltungen umfasst.
Ob die Maßnahmen genügen, wird in Expertenkreisen aber bezweifelt. Bisher haben in Indonesien nur fünf Prozent der Bevölkerung vollen Impfschutz, 28 Millionen Einwohner oder zehn Prozent erhielten wenigstens die erste Dosis. Die Regierung gab für Juli das Ziel aus, auf einen Tagesschnitt von einer Million Impfungen zu kommen. Der überwiegende Teil wird bisher mit dem Vakzin des chinesischen Unternehmens Sinovac durchgeführt. Zuletzt sorgten Medienberichte für Unruhe, medizinisches Personal habe trotz vollen Impfschutzes unter schweren Infektionsverläufen zu leiden, sogar Todesfälle soll es schon gegeben haben. Der Hersteller widersprach gegenüber der chinesischen Agentur Xinhua aber Befürchtungen, Sinovac biete gegen die Delta-Variante nicht ausreichend Schutz.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.