• Politik
  • Protest gegen Corona-Maßnahmen

Gewaltexzess gegen Häftlinge

In Italien ermittelt die Justiz gegen Beamte, die mit äußerster Brutalität gegen Gefängnisprotest für mehr Coronaschutz vorgegangen sind

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Bilder, die die italienische Zeitung »Domani« jüngst veröffentlichte, sind verstörend und bedrückend: Teils vermummte Beamte der Gefängnispolizei schlagen auf wehrlose Häftlinge ein. Teils entkleidet, müssen die Gefangenen in würdelosen Haltungen vor den Beamten knien, immer wieder schlagen diese mit Gummiknüppeln auf Köpfe und Körper ein, werden ihre Opfer mit Fußtritten malträtiert.

Die Aufnahmen stammen aus einem etwa sechs Minuten langen Video – zusammengestellt aus Aufnahmen der Überwachungskameras des Gefängnisses »Francesco Uccella« in Santa Maria Capua Vetere, einer Kleinstadt mit 30 000 Einwohnern der Provinz Caserta in der süditalienischen Region Kampanien. Die Szenen zeigen die Niederschlagung eines friedlichen Protestes am 6. April 2020 gegen die ersten Coronamaßnahmen, die in Italiens Haftanstalten verhängt worden waren.

Jetzt, mehr als ein Jahr später, hat die zuständige Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die beteiligten Justizvollzugsbeamten eröffnet, 52 Polizisten befinden sich inzwischen in Haft. Der Fall beschäftigt nicht nur die italienische Justiz, sondern hat längst politische Dimensionen erreicht. Justizministerin Marta Cartabia nannte den Vorfall eine »Verletzung der Verfassung«. Der mit dem Fall befasste Ermittlungsrichter Sergio Enea spricht von einem »schrecklichen Massaker«. Die Demokratische Partei forderte die Ministerin auf, vor dem Parlament Stellung zu beziehen.

Vergleicht man den Protest in der Haftanstalt »Francesco Uccella« mit ähnlichen Aktionen, die sich im Frühjahr 2020 in weiteren Einrichtungen dieser Art abspielten, ist er nur als harmlos zu bezeichnen. Insgesamt 13 Häftlinge kamen in dieser Zeit bei Revolten in Italiens Haftanstalten ums Leben.

Am Morgen des 5. April war innerhalb der Gefängnismauern von Santa Maria Capua Vetere bekannt geworden, dass es einen ersten Covid-19-Fall gebe. Die Häftlingen forderten daraufhin mehr Schutzmaßnahmen gegen Infektionsrisiken, eine bessere sanitäre Ausstattung und medizinische Versorgung. Mehr oder minder lautstark protestierten sie, schlugen mit Essgeschirr an Gitter und Zellentüren. Schließlich weigerten sich etliche Häftlinge, nach dem Freigang wieder in die Zellen zurückzukehren.

Der für die Region Kampanien zuständige Gefängnisinspektor Antonio Fullone beorderte einen Tag später etwa 100 Beamte einer kurz zuvor gegründeten Spezialeinheit der Gefängnispolizei nach Caserta. Die Beamten, in Kampfausrüstung gekleidet, griffen zur Unterdrückung der Rebellion ohne jedes Maß durch. Unter Einsatz von Schlagstöcken, mit Fußtritten und Beschimpfungen zwangen sie die Häftlinge, vor den Wänden niederzuknien. Teilweise mussten sich die Gefangenen ausziehen und in diesem Zustand längere Zeit vor den Beamten verharren.

Wie die Videos der Überwachungskameras weiter zeigen, mussten die Häftlinge dann einzeln durch ein Spalier der Polizisten zu ihren Zellen zurückgehen. Dabei wurden sie wiederum geschlagen, beschimpft und bespuckt. Ein Häftling, der heute im Rollstuhl sitzt, erklärte vor den Ermittlern, es sei ein »vierstündiges Massaker gewesen, der reinste Horror«.

Mehrere Anzeigen von Inhaftierten brachten die juristische Aufklärung des Vorfalls ins Rollen. Es existieren Zeugenaussagen von Häftlingen, auch wurden SMS-Botschaften und Chateinträge von beteiligten Beamten als Beweismittel sichergestellt. Darin prahlten die Polizisten mit ihrem harten Vorgehen gegen die Gefangenen und ihrer Mordlust. »Wir werden die Bestien zähmen« oder »Wir werden sie wie Kälber töten«, hieß es darin unter anderem.

Gegen insgesamt 144 Beamte wird wegen der Übergriffe nun ermittelt. 52 von ihnen wird Verletzung der Würde von Gefangenen und Folter vorgeworfen, diese wurden inzwischen vom Dienst suspendiert und selbst in Gewahrsam genommen. Zum Personenkreis, gegen den ermittelt wird, gehören auch die Gefängnisleitung sowie etliche Ärzte, die falsche Bescheinigungen ausgestellt hatten, nach denen Wärter angeblich von Gefangenen angegriffen und verletzt worden sein sollen.

Der nun ans Licht der Öffentlichkeit gekommene Vorfall zeigt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem italienischen Haftalltag. Die Lage in den Strafanstalten ist fast überall desaströs. Viele Gefängnisse sind hoffnungslos überfüllt, die hygienischen Zustände widersprechen allen Normen. Dennoch hat die Politik bislang nur wenig unternommen, etwas an dieser Situation zu ändern.

Die rechtsextreme Lega von Matteo Salvini und die faschistischen Fratelli d‘Italia von Giorgia Meloni verteidigen das brutale Vorgehen der Beamten. Am Donnerstag trat Ex-Innenminister Salvini sogar vor dem Gefängnis Santa Maria Capua Vetere auf, um den Ordnungskräften seinen Dank auszusprechen. Gewalt sei gewiss zu verurteilen, »wo sie unangemessen ist«, so der Lega-Chef. Doch es habe sich immerhin um ein »Schlachtfest« gehandelt, »diese Revolte hier im Gefängnis und in den anderen, mit Toten, Verletzten, Bedrohungen der Wachen«.

Er sei an diesen Ort gekommen, um all den Männern und Frauen Solidarität auszusprechen, »die sich für die staatliche Ordnung mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit einsetzen« und dabei bedroht und bespuckt würden – »und das alles hier, im Herzen der Camorra«.

Man darf gespannt sein, inwieweit die Vorfälle konsequent aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Und auch, ob die neue Regierungskoalition unter Ministerpräsident Mario Draghi Maßnahmen ergreift, um die Zustände im italienischen Gefängnissystem zu verbessern.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.