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Lieber Kiefern als Beton
Für altgediente Umweltschützer kommt der Protest gegen den Autobahnausbau in der Altmark zehn Jahre zu spät, doch das hält die Generation Hambi nicht davon ab, es trotzdem zu versuchen
Auf den ersten Blick ist der Forst in der Nähe von Seehausen in der Altmark ein unauffälliger Kiefernwald, wie er in unseren Breitengraden vielfach anzutreffen ist. Wären da nicht die vielen bunten Sticker und Aufkleber mit ökologischen und antifaschistischen Motiven auf Wegweisern und Bänken. Plötzlich fallen in der Ferne zwischen den Bäumen bunte Stoffe ins Auge. Beim Näherkommen erkennt man verschiedenfarbige Planen, wie sie auch auf Baustellen verwendet werden.
Doch noch ist der Wald in der Altmark keine Baustelle. Ein knappes Dutzend junge Leute, die sich im April in den Baumhütten niedergelassen haben, wollen verhindern, dass es jemals dazu kommt. Mit ihrer Waldbesetzung protestieren sie gegen eine seit Jahren geplante Verlängerung der Autobahn A 14 von Magdeburg nach Schwerin. Die Aktion war eine Überraschung für Politiker*innen, aber auch für einige Umweltverbände. So hatte der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) im Juli 2019 eine Klage gegen den Autobahnbau zurückgezogen, nachdem er mit der Landesregierung von Sachsen-Anhalt einen Kompromiss ausgehandelt hatte. Danach sollen über den Naturschutzfonds Brandenburg Maßnahmen finanziert werden, um die Bewohner*innen der Stadt Wittenberge vor dem mit der A 14 verbundenen Lärm zu schützen. Außerdem soll ein Teil der durch den Autobahnbau verursachten ökologischen Schäden durch zusätzliche Naturschutzmaßnahmen im Wert von fünf Millionen Euro kompensiert werden. Mit der Einigung schien es keinen Widerstand mehr gegen die neue Autopiste zu geben.
Dann kamen die Besetzer*innen
Dann tauchten im April plötzlich die 15 bunten Hütten in den Bäumen des Seehausener Forstes auf. Die Besetzer*innen haben von Anfang an deutlich gemacht, dass sie - anders als der BUND - den Kampf gegen den Autobahnausbau noch nicht verloren geben. Doch zwischen Wilfried Treutler vom BUND, der die A 14 noch immer für eine ökologische Katastrophe hält, aber inzwischen nach Kompromissen sucht, und den jungen Besetzer*innen herrscht Sprachlosigkeit. Treutler betonte gegenüber «nd», dass sich der BUND von der Klage gegen den Autobahnbau zurückgezogen hat, weil er keine Gewinnchance sieht. An dieser Einschätzung hat sich für ihn nichts geändert. «Die Besetzung kommt schlicht zehn Jahre zu spät», meint der BUND-Mann. Die Klimaaktivist*innen sollten sich auf den Kampf gegen umweltschädliche Projekte konzentrieren, deren Verhinderung mehr Aussicht auf Erfolg verspricht, lautet Treutlers Rat. Das Camp hat er nicht besucht und sieht dafür auch in Zukunft keinen Grund. Das Kapitel A 14 ist für ihn abgeschlossen.
Schließlich mussten sich Umweltaktivist*innen in der Region immer wieder anhören, sie würden mit ihren Einwänden den Wirtschaftsaufschwung in der strukturschwachen Altmark bremsen. «Wenn erst einmal die A 14 fertig gebaut ist, siedeln sich in der Region mehr Unternehmen an und sorgen für Arbeitsplätze», so die Hoffnung eines Mittvierzigers, der in Wittenberge in der Touristikbranche arbeitet. Von der Waldbesetzung hat er nichts gehört. Sie interessiert ihn auch nicht weiter. «Die kommen sicher nicht aus der Region», vermutet er.
Überall Kampf gegen Autobahnbau
In der Tat: Die vornehmlich anarchistisch geprägten Aktivist*innen, die sich baumhäuslich niedergelassen haben, kommen aus der gesamten Republik. «Wir müssen nicht schon immer hier gelebt haben, um genau hier den Autobahnausbau zu bekämpfen. Ich lehne solche umweltschädlichen Projekte überall ab», sagt eine Besetzerin entschieden. Sie betont, dass in den letzten Wochen vor allem Jugendliche aus der Region Unterstützung für das Camp gezeigt hätten. Aber auch Menschen, die eine andere Meinung haben, seien ausdrücklich willkommen. «Wir haben schon mit erklärten Befürworter*innen der Autobahn lange über die Frage gestritten, ob ein weiteres Stück Natur für die vage Hoffnung auf einige Tausend Arbeitsplätze in der Region zerstört werden soll», erinnert sich eine Besetzerin.
Die Texte auf den Bannern, die zwischen den Bäumen aufgehängt sind, machen deutlich, was die Besetzer*innen motiviert. Auf einem Transparent sind die Namen der Hüttendörfer aufgelistet, die Autobahngegner*innen im letzten Herbst im Dannenröder Forst in Nordhessen errichtet hatten. «Das Camp wurde bald geräumt. Doch es hat uns ebenso inspiriert wie der Hambacher Forst», erklärt eine Besetzerin.
In Nordrhein-Westfalen wollen Besetzer*innen seit Jahren verhindern, dass ein Waldstück für den Braunkohleabbau verschwinden soll. Nach dem Hambi (Hambacher Forst) und dem Danni (Dannenröder Forst) gibt es nun mit dem Moni (benannt nach der dortigen Kiefern-Monokultur) in der Altmark ein weiteres Kürzel für eine Waldbesetzung. Doch neben diesen bekannten Orten gab es in den letzten Monaten weitere Park- und Waldbesetzungen, mit denen meist junge Klimaaktivist*innen gegen umweltschädliche Bauprojekte protestieren. Die Orte solcher Besetzungen reichen von Ravensburg ganz im Süden bis nach Flensburg in Norddeutschland. «Mit dem Moni gibt es nun auch in der Altmark eine solche Besetzung», sagt eine junge Besetzerin. Wir haben uns an den Fridays-for-Future-Aktionen und anderen Klimaaktionen beteiligt. Da wurde mir klar, dass ich weitere klimaschädliche Projekte verhindern muss«, beschreibt eine Moni-Aktivistin ihre Motivation, seit Wochen in einem Baumhaus in der Altmark zu leben.
Camp ist ein kleines Experimentierfeld
Eine Mitstreiterin, die sich als camperfahren und mit akademischem Hintergrund beschreibt, stimmt ihr zu. Doch sie verweist darauf, dass es ihr um mehr als die Verhinderung einer Autobahn geht. »Natürlich will ich am Ort der drohenden Naturzerstörung den Autobahnbau blockieren. Genauso wichtig ist mir aber das Zusammenleben im Camp, in dem täglich Hierarchien und Machtstrukturen infrage gestellt werden. Zudem ist das Moni ein antifaschistischer Vorposten in der Altmark«, betont die Person. Das Camp ist für sie auch ein kleines Experimentierfeld, in dem die jungen Leute ihre Vorstellungen von einer Welt ohne Macht, Geschlechternormen und Hierarchien schon einmal im Kleinen ausprobieren können.
Dabei geht es auch um theoretische Auseinandersetzungen. »Das ist unser Lese- und Diskussionsort«, sagt eine Person und zeigt auf einen großen runden Tisch, der mit einer Plane vor Sonne und Regen geschützt ist. Dort liegen Papiere und Flyer, anarchistische Broschüren und Zeitschriften, die sich mit ökologischen Themen befassen. Auch juristische Texte finden sich in dem Stapel. Damit mussten sich die Moni-Besetzer*innen in den letzten Wochen notgedrungen befassen. Denn der zuständige Landkreis Stendal hatte die Waldbewohner*innen im Rahmen einer Allgemeinverfügung aufgefordert, bis zum 18. Juni sämtliche Hütten abzubauen. Ein Einspruch sollte keine aufschiebende Wirkung haben. Dagegen klagten die Besetzer*innen mit Erfolg. Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt und der Landkreis muss die Gerichtskosten tragen. »In der Begründung des Magdeburger Verwaltungsgerichts wurde unsere Waldbesetzung unter den Schutz des Versammlungsrechts gestellt. Darauf könnten sich auch andere Hüttendörfer berufen«, sagt eine Besetzerin. Sie sieht keinen Widerspruch darin, als Anarchistin den Klageweg zu beschreiten. »Das Urteil des Magdeburger Verwaltungsgerichts zeigt, dass wir die Justiz auch als Instrument in unserem Kampf nutzen können. Uns ist aber auch klar, dass die nächste Instanz schon wieder ganz anders entscheiden kann«, erklärt die Aktivistin und bekommt Zustimmung von den Umstehenden. Tatsächlich hat der Landkreis Stendal Berufung gegen das Urteil des Magdeburger Landgerichts eingereicht.
Legaler Außenposten Kulturbahnhof
Am Freitag nun entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Sachsen-Anhalt zugunsten der Waldbesetzer - sie dürfen vorerst im Wald bei Seehausen bleiben. Der Senat habe die Beschwerde des Landkreises Stendal gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Magdeburg zurückgewiesen, teilte das OVG mit. Das Verwaltungsgericht in Magdeburg hatte vor zwei Wochen in erster Instanz entschieden, dass das Protestcamp von der Versammlungsfreiheit geschützt ist. Das OVG teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts. Das Camp sei geeignet, auf die öffentliche Meinungsbildung zum Autobahnbau einzuwirken, hieß es. Aus Sicht des Gerichts gebe es außerdem keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine - nicht mehr durch die Versammlungsfreiheit gedeckte - Unfriedlichkeit des Camps.
Doch selbst wenn es zur Räumung im Kiefernforst gekommen wäre, wären die Besetzer*innen nicht aus der Region verschwunden. In dem vor mehr als 20 Jahren stillgelegten Bahnhofsgebäude in der nahen Hansestadt Seehausen haben die Moni-Aktivist*innen einen legalen Außenposten ihres Protestes errichtet. »Ein Bewohner aus der Region, der nicht öffentlich in Erscheinung treten will, hat das leerstehende Gebäude gekauft. Ihm schwebte schon damals die Idee eines Kulturbahnhofs vor«, erzählt Schuh. So will der junge Mann genannt werden, der in den letzten Wochen mit anderen in ehrenamtlicher Arbeit das noch gut erhaltene Bahnhofsgebäude wieder nutzbar gemacht hat. Da mussten Dielen gereinigt und Wände verputzt werden. Jetzt stehen in der ehemaligen Bahnhofshalle Tische, Sofas und Stühle. Bald sollen die ersten Veranstaltungen stattfinden. »Wir hatten zunächst die Vorstellung, hier einen Informationspunkt zur Waldbesetzung zu errichten. Schließlich ist der Bahnhof Seehausen der erste Anlaufpunkt für Menschen, die mit dem Zug anreisen«, berichtet Schuh.
Doch die Banner gegen den Autobahnausbau, die am ehemaligen Bahnhofsgebäude prangen, erregen seit Wochen auch die Gemüter der Rechten in der Altmark. Kurz vor Pfingsten hatte die AfD eine Kundgebung vor dem Gebäude organisiert. In den letzten Wochen gab es einen Rohrbomben- und einen Brandanschlag auf das Gebäude. Am 18. Juni wurden zwei Personen vor dem Bahnhof durch Schüsse aus einer Paintball-Waffe verletzt. Seitdem kursiert in sozialen Medien ein Video, auf dem man sieht, wie ein Mann in der Kluft des Ku-Klux-Klan am Bahnhof Seehausen mit einer Waffe auf mehrere junge Menschen schießt, die er dem Kulturbahnhof und damit den Klimaaktivist*innen zuordnet.
Mittlerweile hat die Polizeidirektion Stendal eine Ermittlungsgruppe Moni eingerichtet. Seitdem wird der Bahnhof Tag und Nacht von der Polizei beobachtet, die natürlich nicht nur mögliche rechte Angriffe, sondern auch die Aktivitäten der Klimaaktivist*innen im Auge behält. Doch die rechten Attacken haben auch antifaschistische Unterstützer*innen auf den Plan gerufen. Aktivist Schuh spricht von einem Kulturbahnhof, der gemeinsam mit den Bewohner*innen von Seehausen gestaltet werden soll. »Wir haben Kontakte zu Jugendlichen, die Interesse daran haben.« So könnten die Moni-Besetzer*innen mit dem Kulturbahnhof Seehausen dauerhafte Spuren in der Altmark hinterlassen.
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