Indigene Proteste gegen das »Gesetz des Todes«
Überall in Brasilien kommt es zu Demonstrationen. Kritiker warnen vor Umweltzerstörung und Aushebelung der Menschenrechte
Brasiliens Indigene sind auf den Barrikaden. Die Proteste gegen ein umstrittenes Gesetzesprojekt haben sich inzwischen über das ganze Land ausgebreitet. Die aufgebrachten Ureinwohner protestierten jetzt in mehreren Landeshauptstädten und blockierten mehrere Bundesstraßen im ganzen Land. Das Gesetz liefere ihre Stammesgebiete dem Agro- und Bergbaubusiness aus und ermögliche sogar die Aufhebung von bereits gesetzlich anerkannten Reservaten, so die Kritik.
Konkret sieht der Gesetzesentwurf Änderungen am »Indigenen-Statut« von 1973 sowie die Aushebelung des in der Verfassung von 1988 garantierten Rechts auf staatliche Anerkennung und Schutz der indigenen Territorien vor. Er erlaubt den Bau von Straßen und Wasserkraftwerken selbst in Schutzgebieten ohne Mitspracherecht der betroffenen indigenen Völker. Außerdem ermöglicht er Bergbauunternehmen und Agrarbetrieben die Ausbeutung der mineralischen Ressourcen sowie den Anbau von Monokulturen in den Reservaten, was bisher per Gesetz verboten ist. Nach Angaben des Instituto Socioambiental liegen der nationalen Bergbaubehörde bereits mehr als 4000 Anträge von Personen und internationalen Konzernen wie Anglo American zur Ausbeutung von Bodenschätzen in 214 Indigenen-Reservaten vor.
Außerdem sieht der Entwurf mit der Bezeichnung »PL 490/2007« die Aushebelung des Demarkierungsgesetzes von Stammesgebieten vor. Er verbietet zum einen die Ausweitung bereits anerkannter Reservate. Zum anderen gewährt er die staatliche Anerkennung indigener Territorien nur noch jenen Völkern, die sich nachweislich zum Stichtag 5. Oktober 1988, dem brasilianischen Verfassungstag, in den von ihnen beanspruchten Gebieten aufgehalten haben. Torpediert wird auch der bisher zumindest auf dem Papier garantierte Schutz von noch nicht kontaktierten indigenen Gruppen.
»PL 490/2007« ermögliche es, dass selbst extremistische evangelische Sekten im Namen des öffentlichen Interesses Kontakt zu den bislang noch isoliert von der brasilianischen Gesellschaft lebenden Indigenen aufnehmen und damit missionieren können, kritisieren der Dachverband von Organisationen der indigenen Völker des brasilianischen Amazonasgebiets sowie die Menschenrechtsvereinigung OPI.
Nildo Fontes vom Volk der Tukano und Vizepräsident der Föderation der indigenen Organisationen des Rio Negro spricht von einem »Gesetz des Todes, der Vertreibung und der Vernichtung von uns indigenen Völkern«. Er bringe nicht Entwicklung, sondern Degradierung und Umweltzerstörung. Tamikuã Pataxó, eine der Organisatorinnen der indigenen Proteste in der Hauptstadt Brasilia, erklärte: »Wir protestieren gegen das Gesetz, um das Leben und unsere Territorien zu verteidigen, damit unsere Kinder und Enkel auch in Zukunft ein Recht auf Leben haben.«
Die »Parlamentarische Front der Landwirtschaft« (FPA), eine einflussreiche Gruppe im Kongress, verteidigt hingegen den Entwurf. Das Gesetz werde die Rechte der Indigenen nicht aufheben und im Gegenteil zur Befriedung des ländlichen Raums führen.
»PL 490/2007« stammt bereits aus dem Jahr 2007. Noch während der Regierung Lula da Silva war der Vorschlag vom mittlerweile verstorbenen Agrobusiness-Lobbyisten und ehemaligen Bundesabgeordneten Homero Pereira auf den Weg gebracht worden. Der umstrittene Entwurf wurde aber nicht Gesetz. Ende Juni stimmte nun eine Mehrheit von 40 rechten Abgeordneten, die der Agrarlobby nahestehen, in der Verfassungs-, Justiz- und Staatsbürgerschaftskommission für den Entwurf. Lediglich 21 Abgeordnete des linken Parteienspektrums inklusive der Arbeiterpartei PT stimmten dagegen.
Noch aber ist Zeit, das Vorhaben zu stoppen. Damit das Gesetz von Präsident Jair Bolsonaro unterschrieben werden und in Kraft treten kann, müssen noch das Plenum der Abgeordnetenkammer und der Senat zustimmen. »Der Krieg geht weiter. Wir haben nur eine Schlacht verloren«, sagt daher Kretã Kaingang, Koordinator der Artikulation der indigenen Völker Brasiliens.
Breite Proteste sollen das Projekt noch stoppen. In Amazonien konzentrierten sie sich auf die Bundesstaaten Amazonas, Acre, Rondônia und Roraima. Demonstriert wird in der Amazonas-Hauptstadt Manaus; es gibt zudem Blockaden wichtiger Bundesstraßen im Norden wie auch im Süden und Südosten Brasiliens. Vor wenigen Tagen gab es auch in Rio de Janeiro Proteste vor dem berühmten Maracanã-Fußballstadion.
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