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Skandalöse Praxis
Die Bundesregierung schiebt erneut Geflüchtete nach Afghanistan ab - begleitet von Protest
Der Flughafen Hannover liegt am Dienstagabend wie ausgestorben da. Nur wenige der Flugreisenden und des Bodenpersonals sind in den Schalterhallen. »You are not alone, you are not alone«, ruft eine größere Gruppe Menschen vom Parkdeck des Terminal C. Groß steht auf einem Banner: »Gegen jede Abschiebung«. In Sichtweite, hinter einem mit Natodraht besetzten Zaun, finden gerade die Vorbereitungen der 40. Sammelabschiebung nach Afghanistan statt. Ein großer Gefangenentransporter steht dort geparkt.
27 Männer schiebt die Bundesregierung an diesem Abend ab. An der Maßnahme beteiligen sich nach Angaben des Bundesinnenministeriums acht Bundesländer: Brandenburg, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Nach deren Angaben handele es sich bei fast allen Zurückgeführten um Straftäter, so Alina Vick, Sprecherin des Bundesinnenministeriums.
Einer der Abgeschobenen ist Said M.. Dessen Anwalt Phillip Pruy aus Regensburg erzählt am Telefon, M. sei 2015 als Minderjähriger nach Deutschland gekommen. 2019 sei dann sein Asylantrag abgelehnt worden. Die gesamte Zeit habe er als Landschaftsgärtner gearbeitet und Anfang September einen Ausbildungsplatz zum Krankenpfleger in Aussicht gehabt. Sein Mandant sei außerdem verlobt, für die Hochzeit fehle nur noch ein Dokument.
Laut Pruy hätten letztendlich zwei Eintragungen wegen »Fahren ohne Fahrerlaubnis« zum Ende der Duldung und damit der Abschiebung geführt - Verkehrsdelikte also. Einen vergangene Woche aufgrund der akut verschärften Sicherheitslage vor Ort gestellten neuen Asylantrag hätten das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Verwaltungsgericht Regensburg abgewiesen. »Es ist skandalös, dass sowohl das BAMF als auch das Verwaltungsgericht Regensburg die geänderte Sicherheitslage einfach ignorieren«, so Anwalt Philipp Pruy.
In anderen Fällen konnten Anwält*innen Abschiebungen in letzter Minute verhindern.
So stoppte, laut dem Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung in letzter Minute die Abschiebung eines in Lübeck lebenden Afghanen. Das Verwaltungsgericht Oldenburg setzte laut niedersächsischem Flüchtlingsrat eine Abschiebung aus. Auch in Hamburg wurden zwei Abschiebungen gestoppt.
Beinahe täglich verschlechtert sich die Sicherheitslage vor Ort. Auf dem Global Peace Index liegt Afghanistan auf Platz 163. Nach UN-Daten mussten zwischen Anfang Mai und Ende Juni fast 84 000 Menschen innerhalb des Landes vor den Kämpfen aus ihren Dörfern und Städten fliehen. Täglich kommen Zivilist*innen in dem Konflikt im Kreuzfeuer bei Gefechten, durch Bomben am Straßenrand oder auch durch gezielte Tötungen ums Leben.
Einzeln werden die Männer am Flughafen Hannover von Polizisten in eine Halle geführt. Stunden dauert die Vorbereitung. Polizisten tragen Matten mit Griffen und Handfesseln mit zusätzlichen Bändern zur Fixierung zu ihren Autos. Die Arme eines jungen Mannes sind in medizinische Bandagen gewickelt, seine Hände gefesselt. Als er über das Rollfeld geführt wird, versperrt ein Polizist mit der Hand seinen Blick auf die solidarischen Aktivist*innen.
Dem Aufruf verschiedener Gruppen am Dienstagabend direkt vor Ort den Unmut über die erneute Sammelabschiebung zum Ausdruck zu bringen, folgen etwa 100 Menschen. »Wir stehen heute hier, um ein Zeichen zu setzen, gegen eine unmenschliche, menschenverachtende Abschiebepraxis. Gegen den rassistischen Normalzustand, der es uns erlaubt, mit Solidarität zu prahlen, und doch die Augen vor den Dingen zu verschließen, die an und hinter den europäischen Außengrenzen geschehen«, so eine Rednerin der Seebrücke Hannover.
Bei Abschiebungen nicht abschreiben - Fabian Hillebrand über die neueste Variation einer zweifelhaften Forderung – diesmal wieder aus der SPD
Mit Polizeiwägen als Sichtschutz werden die 27 Männer schließlich umringt von Polizisten zum Flughafenbus gebracht. Auf dem Vorfeld wartet das Flugzeug der spanischen Charter Airline »Privilege Style«. Am frühen Morgen des 7. Juli kam der Flieger dann in Kabul an. Oftmals droht den Betroffenen nach der Abschiebung Verfolgung - das zeigt eine Studie der Afghanistan-Expertin Friderike Stahlmann, die mit 113 Betroffenen gesprochen hat. Said M. aus Regensburg sei in Kabul vorerst bei einem Freund untergekommen, so sein Anwalt.
Kritik für die Abschiebepraxis gibt es auch von zahlreichen Initiativen, Menschenrechtsaktivist*innen und Vereinen. »Es ist einfach unfassbar, dass angesichts der immer weiter um sich greifenden Machtübernahme der Taliban und der sich weiter verschärfenden Situation in Afghanistan, Abschiebungen für vertretbar gehalten werden«, so der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen, Kai Weber, gegenüber »nd«. Mit dpa
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