• Berlin
  • Volksentscheidsranking

Hohe Hürde, wenig Verbindlichkeit

Im Volksentscheidsranking verbessert sich Berlin, trotzdem gibt es noch viel Luft nach oben

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Selten war in Berlin so viel von Volksbegehren und Volksentscheiden die Rede wie zuletzt. Ein Verdienst, das zweifelsohne der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen gebührt. Aber auch ansonsten befinde sich die Hauptstadt in Sachen Bürgerbeteilung und direkter Demokratie auf einem guten Weg, findet der Verein Mehr Demokratie. »Berlin gehört zu den Bundesländern, das in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren die größten Reformsprünge gemacht hat«, sagt Ralf-Uwe Beck vom Bundesvorstand des Vereins am Donnerstag bei der Vorstellung des sechsten bundesweiten Volksentscheidsrankings.

In dem Bericht, der seit 2003 in regelmäßigen Abständen von dem gemeinnützigen Fachverband erstellt wird, werden die Bundesländer mit Blick auf die Regelungen und Nutzung der Instrumente der direkten Demokratie analysiert und miteinander verglichen. Demnach hat sich Berlin seit der letzten Erhebung 2016 von Rang 8 auf den Doppelplatz 5/6 verbessert, den sich das Land mit Thüringen teilt.

Wie es in dem Bericht heißt, sei der Berliner Landespolitik dabei »anzurechnen, dass sie auf Fehlentwicklungen der letzten Jahre im Umgang mit Volksbegehren mit Verfahrensverbesserungen reagiert hat«. Mehr Demokratie verweist dabei insbesondere auf die von Rot-Rot-Grün vorangetriebene und im Herbst vergangenen Jahres vom Abgeordnetenhaus verabschiedete Änderung des Berliner Abstimmungsgesetzes. Eine der aus Sicht des Vereins wichtigsten Neuerungen: Volksentscheide müssen seither auf einen Wahltermin fallen, sofern dieser zeitlich nahe liegt.

Genau das kommt nun wohl auch dem Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co enteignen zugute, der am 26. September zusammen mit den Wahlen zum Bundestag, zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen über die Bühne gehen wird. Oliver Wiedmann, Landesvorstandssprecher von Mehr Demokratie, ist daher auch überzeugt: »Der Volksentscheid wird sicher nicht am Quorum scheitern.« Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass wenigstens 25 Prozent der Wählerinnen und Wähler - das ist in Berlin das Quorum für einfache Gesetze - neben all den anderen Wahlzetteln auch die entsprechende Seite zum Volksentscheid mit ausfüllen.

Bei allen positiven Entwicklungen gebe es in Berlin bei der Bürgerbeteiligung aber auch noch genügend Luft nach oben, sagt Wiedmann. Vor allem das 25-Prozent-Quorum müsse dringend gesenkt werden. »Aus unserer Sicht ist das Thema in der nächsten Legislaturperiode noch einmal dran.« Als nachbesserungsbedürftig beurteilen die Vorkämpferinnen und Vorkämpfer für die Stärkung der direkten Demokratie zudem die Regelungen für die Mitbestimmung auf Bezirksebene. Formal seien diese zwar »sehr bürgerfreundlich«, so der Bericht: »Deutliche Abzüge gibt es jedoch dafür, dass die meisten Bürgerentscheide nicht verbindlich sind, sondern ihre Umsetzung vom Wohlwollen der Bezirksverwaltung abhängt.«

Susanne Kühne kann davon ein Lied singen. Sie ist in der Bürgerinitiative Schule in Not aktiv, die sich seit mehreren Jahren in den Bezirken für die Rekommunalisierung der Schulreinigung stark macht. Etliche Einwohneranträge und ein Bürgerbegehren später sagt Kühne: »Wir brauchen bei der bezirklichen Mitbestimmung definitiv mehr Verbindlichkeit.« So hat es die berlinweit aktive Initiative mit ihren Unterschriftensammlungen zwar geschafft, dass sich sieben der zwölf Bezirksverordnetenversammlungen für ein Ende der Vergabe der Reinigungsleistungen an den Schulen an Privatunternehmen ausgesprochen haben (»nd« berichtete). Allein: Das Projekt von Schule in Not tritt auf der Stelle.

»Mehr als ein ›Finden wir auch wichtig‹ ist von den Bezirksämtern selten zu hören«, sagt Kühne zu »nd«. Dass das auch an dem Zuständigkeits- und Finanzrangeleien zwischen den Bezirken und dem Land liege, sei ihr bewusst. Aber genau bei der Frage der Bürgerbeteiligung wünsche sie sich »endlich eine Brücke« von den Bezirken zur Landespolitik, damit beispielsweise Einwohneranträge nicht einfach irgendwann versanden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.