Jenseits des Sangria-Eimers
Die nd-Sommersong-Kolumne
Keine Sorge, hier geht es nicht um die Kampfgeschosse der Strandbarbeschallung. Nicht um »Vamos a la playa« oder »Mambo No. 5«. Auch verzichten wir auf die textliche Analyse von Spätwerken des Gagaismus wie dem »Ketchup song«. Denn der »Sommerhit« ist die musikalische Entsprechung des randvollen Sangria-Eimers. Lieber widmen wir uns ab heute in den nächsten Sommerwochen Liedern, die das Lebensgefühl jenseits der Partymeilen einfangen. Die die schwüle Stimmung von Juli und August in flirrende Musik übersetzen.
Lenny Kravitz: »It ain’t over ’til it’s over« Ein Wunder war geschehen: Jimi Hendrix war auferstanden. Das behauptete zumindest die Musikpresse. Sie geriet in Verzücken, dass ein Schwarzer nicht Black Music machte. Nun bot das Leben jenem Leonard Albert Kravitz allerdings auch keinen Anlass, Blues-Gesänge oder wütende Ghetto-Raps anzustimmen. Er ist der Sohn des Fernsehproduzenten Seymour »Sy« Kravitz, zu dessen Bekannten Ella Fitzgerald und Miles Davis zählten. So genoss der kleine Lenny eine musikalische Früherziehung, wie sie nur wenigen zuteil wird - wer bekommt schon an seinem fünften Geburtstag von Duke Ellington »Happy Birthday« vorgespielt?
Dass Lenny Kravitz sich dann doch nicht für Jazz oder Klassik entschied, hatte musikferne Gründe. Als Teenager faszinierten ihn die Surfkids von L.A., die die Schule schwänzten, Gras rauchten und einen Schlag bei den Mädchen hatten. »Ich fühlte mich von der lässigen Art angezogen, den Mädchen, dem Rock’n’Roll-Lifestyle.« Und da die Musik, die beim Kiffen und Knutschen lief, Led Zeppelin war, verwundert es nicht, dass auch die Musik von Kravitz Ähnlichkeiten aufweist.
Verwunderlicher ist eher, dass er Madonnas »Justify my love« komponierte. Ein Jahr später, 1991, setzte er mit »It ain’t over ’til it’s over« noch einen drauf. Das Stück ist ein verspätetes Meisterwerk des Philly Soul. Zuckriger hätten auch Kenny Gamble und Leon Huff, die Väter des Sound of Philadelphia, die Streicher nicht arrangiert. Wenn dann, gegen Ende des Songs, sogar die Phoenix Horns einsetzen, ist die Metamorphose des Lenny Kravitz vollzogen. Der Mann, der dort so herzzerreißend schmachtet, das ist nicht Jimi Hendrix; das ist Curtis Mayfield.
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