Die Zeit läuft ab

Berliner Krankenhausbewegung erhöht den Druck auf Kliniken und Politik

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wie schlimm ist denn das, dass wir überhaupt dafür kämpfen müssen, dass die Patienten in dieser Stadt gut versorgt werden«, ruft Dana Lützkendorf ins Mikrofon. Sie ist Intensivkrankenpflegerin an der Charité und moderiert die Kundgebung der Berliner Krankenhausbewegung am Freitagabend. Die rund 1000 Beschäftigten der beiden kommunalen Krankenhäuser Charité und Vivantes und deren Berliner Tochtergesellschaften, die sich auf der Haupttribüne des Stadions An der Alten Försterei in Köpenick zusammengefunden haben, stimmen ihr lautstark zu.

Die Atmosphäre ist kämpferisch. Den Warnstreikenden ist deutlich anzumerken, dass es ihnen reicht. Noch 42 Tage läuft ihr Ultimatum an die Chefetagen und die Politik, bessere Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern und Funktionsabteilungen zu schaffen und angemessenen Lohn zu zahlen. »Wenn sie bis dahin nicht auf unsere Forderungen eingehen, fangen wir erst richtig an. Das heißt dann Erzwingungsstreik«, macht Lützkendorf noch mal unmissverständlich klar. Die Antwort der Zuhörenden ist ein umso lauterer Jubel.

Konkret fordern die Beschäftigten vor allem eine einheitliche Bezahlung für alle Mitarbeiter*innen nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Das gilt im Besonderen für die Beschäftigten der Tochtergesellschaften, deren miserable Arbeitsbedingungen in der Auseinandersetzung allzu oft nicht berücksichtigt werden. »Doch das ist diesmal anders, heute kämpfen wir alle zusammen«, hebt zum Beispiel Andrea Großmann hervor. Sie arbeitet für eine Vivantes-Tochter, genauer: in der Sterilisation, dort also, wo das benutzte OP-Besteck der Krankenhäuser ankommt und gereinigt wird. Der Skandal, dass sie für diese schwere Arbeit etwa 800 Euro weniger verdient als ihre Kolleg*innen in der Krankenpflege, steht ihr in das müde Gesicht geschrieben. »Unsere Ausstattung ist seit Jahren eigentlich inakzeptabel, dazu kommen im Sommer über 40 Grad Celsius in der Waschzone, also wo das kontaminierte Besteck ankommt. Und unsere Mund-Nase-Masken müssen wir wegen Corona ja jetzt auch durchgängig tragen«, beschreibt sie ihre Arbeitssituation. »Deshalb ist unsere erste Forderung ganz klar: Gleiche Bezahlung, 100 Prozent nach TVöD«, so Großmann.

Dauerstress in den Kliniken
Beschäftigte in den Krankenhäusern drohen mit Streik, parallel wird die finanzielle Gesamtplanung verhandelt

Daneben fordert die Gewerkschaft Verdi die Festlegung von Mindestpersonalausstattungen für alle Stationen und Bereiche, außerdem soll ein Verfahren zur Feststellung von Belastungssituationen vereinbart werden. Zudem soll der Ausbildung mehr Zeit und auch Qualität angedeihen, und zwar für beide Seiten - für die Auszubildenden und die Praxisanleitenden.

Bis heute haben weder Charité noch Vivantes ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Tarifverhandlungen mit Verdi erklärt. Somit sei es absolut legitim, dass sich die Beschäftigten nun erst mal mit Warnstreiks für gute Arbeitsbedingungen einsetzen, insbesondere für Entlastung und mehr Personal und auch mehr Geld, sagt Verdi-Landesfachbereichsleiterin Meike Jäger. »Die Kolleginnen und Kollegen berichten, dass sie befürchten, ihre Arbeit nicht bis zum Rentenalter ausüben zu können. Viele flüchten in Teilzeit, Auszubildende brechen ihre Ausbildung ab oder verlassen den Beruf mit Ende der Ausbildung«, sagt Gewerkschafterin Jäger.

Bereits am Donnerstag war bekannt geworden, dass Vivantes rechtlich gegen den Warnstreik vorgeht. Ein Unding, findet Verdi. »Statt sich mit den Forderungen der Beschäftigten auseinanderzusetzen, wird sich in eine rechtliche Auseinandersetzung geflüchtet. Das ist gerade für ein öffentliches Unternehmen keine angemessene Reaktion«, teilt die Gewerkschaft mit. Man habe gegen die vom Berliner Arbeitsgericht erlassene einstweilige Verfügung gegen den Warnstreik Beschwerde eingelegt.

Im Stadion An der Alten Försterei macht sich am Freitag unterdessen der Co-Landesvorsitzende der Berliner Grünen, Werner Graf, nachhaltig unbeliebt. Er sitzt neben SPD-Landeschef Raed Saleh und Linke-Landeschefin Katina Schubert auf dem Podium vor der Tribüne und erklärt den protestierenden Beschäftigten: »Das Geld für Ihre Forderungen muss woanders weggenommen werden.« Dafür erntet er wütende Buhrufe und Pfiffe, die Beschäftigten wollen sich offenbar nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen. Das ist auch das Stichwort für einen jungen Pfleger, der daraufhin das Wort ergreift: »Ich will noch mal klarstellen, dass das hier kein Spiel ist. Die Bedingungen sind tatsächlich so schlecht, dass die Versorgung gefährdet ist«, sagt er aufgeregt in das Mikrofon.

Auch die beiden Hebammen Denise Klein-Allermann und Kim Lenzen, die in einer Vivantes-Klinik arbeiten, melden sich zu Wort. »Wir sind ständig unterbesetzt, eigentlich immer im Überlebensmodus«, fassen sie ihren Arbeitsalltag zusammen. So komme es beispielsweise vor, dass sie parallel zur Betreuung einer Geburt noch die Prüfung einer Auszubildenden abnehmen müssten.

Am Ende der Kundgebung wird noch dazu aufgerufen, die Petition der Krankenhausbewegung auf der Onlineplattform Change.org zu unterzeichnen und sich zahlreich und laustark am 19. August vor dem Abgeordnetenhaus zu versammeln. Dieses kommt dann nämlich aus seiner Sommerpause - und es ist gleichzeitig der letzte Tag des Ultimatums.

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