Hunger, Armut und teureres Essen

FAO sieht düstere Lage bei Nahrungsmittelsicherheit und warnt vor den Folgen stark gestiegener Preise

Düster sei die Lage bei der Nahrungsmittelsicherheit im ersten Corona-Jahr 2020 gewesen. Dies ist das Ergebnis eines am Montag vorgestellten Berichts der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO. Laut Schätzungen waren zwischen 720 und 811 Millionen Menschen - fast ein Zehntel der Weltbevölkerung - unterernährt, dies seien 70 bis 161 Millionen mehr als 2019, heißt es in dem Bericht.

Die Zunahme führen die Experten zum Großteil auf die Folgen der Coronakrise zurück. Die Pandemie löste eine »brutale Rezession« aus und erschwerte den Zugang zu Nahrungsmitteln - vor allem Länder, in denen es Konflikte und Klimaextreme gibt, waren betroffen. Mehr als die Hälfte aller unterernährten Menschen lebt demnach in Asien, mehr als ein Drittel in Afrika. Den stärksten Anstieg bei der Zahl hungriger Menschen gab es 2020 in Afrika. »Leider legt die Pandemie weiterhin Schwächen in unseren Ernährungssystemen offen, die das Leben und die Existenzgrundlage von Menschen auf der ganzen Welt bedrohen«, hieß es in dem Bericht, an dem auch das Kinderhilfswerk Unicef, die Weltgesundheitsorganisation, der Hilfsfonds Ifad und das Welternährungsprogramm beteiligt waren.

Verschärft wird das Problem noch durch einen starken Anstieg der Preise auch bei Grundnahrungsmitteln wie Weizen und Soja. Der Preisindex der FAO war im Mai im zwölften Monat in Folge geklettert und lag um knapp 40 Prozent höher als im Mai 2020. Im Juni gab es zwar einen leichten Rückgang, doch die Lebensmittel sind so teuer wie seit September 2011 nicht mehr. Damals war der Arabische Frühling in vollem Gange. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak war nicht mehr im Amt, Kämpfe tobten in Libyen, und in Syrien nahm der Bürgerkrieg Fahrt auf. Einer der Auslöser für diese Entwicklungen war der massive Anstieg der Nahrungsmittelpreise im Jahr 2010.

Aktuell wird der Preisanstieg auf der Nachfrageseite insbesondere durch steigende Importe Chinas getrieben. Im Jahr 2019 hatte es dort einen riesigen Ausbruch der afrikanischen Schweinepest gegeben, weshalb die Hälfte der 440 Millionen Schweine in der Volksrepublik gekeult wurden. Da die Mastbetriebe ihre Bestände anschließend wieder aufstockten, stieg der Bedarf an Futtermitteln, insbesondere Soja, das in vielen Ländern Grundnahrungsmittel ist. Wegen Dürre in Nordchina und Überschwemmungen in Südchina fiel aber ein Teil der einheimischen Produktion weg, und das Land musste mehr importieren. Für Chinas steigende Nahrungsmitteleinfuhren gibt es zudem strukturelle Gründe: Viele Böden sind ausgelaugt oder mit Schwermetallen belastet. Außerdem wachsen die Städte und immer mehr Ackerland verschwindet unter Beton und Asphalt.

Auf der Angebotsseite treibt vor allem eine Rekorddürre in Brasilien die Preise nach oben. Das Land gehört zu den größten Exporteuren von Soja, Zucker, Kaffee, Mais und Rindfleisch. Mehrere Bundesstaaten im Südwesten der USA erleben eigentlich schon seit rund 20 Jahren eine Art Megadürre. Anhand der Analyse von Baumringen konnten Wissenschaftler zeigen, dass die Region die zweittrockenste Periode seit dem Jahr 800 nach Christus erlebt. Während kurze Dürren in Brasilien und den USA nichts Besonderes sind, kommen solche lang anhaltenden Phasen sehr selten vor. Doch wegen der Erderwärmung steigt die Wahrscheinlichkeit dafür: »Der Klimawandel führt dazu, dass der Westen der USA immer trockener wird«, sagt Ben Cook von der University of Columbia.

Ironischerweise ist am Anstieg der Nahrungsmittelpreise auch eine Maßnahme verantwortlich, die dafür sorgen soll, den Klimawandel zu verlangsamen: der stärkere Einsatz von Biosprit. Der Preis von Soja-, Palm- und Rapsöl hat sich in den vergangenen zwölf Monaten mehr als verdoppelt. Das hat laut FAO zwei Gründe: Einerseits wachse die Produktion von Palmöl in Südostasien weniger schnell als erwartet, andererseits bestehe »Aussicht auf eine robuste Nachfrage insbesondere aus dem Biodieselsektor«.

Aber auch bei anderen Nahrungsmitteln gibt es Gründe für einen weiteren Anstieg der Preise. Wenn immer mehr Menschen geimpft sind und wieder in Restaurants essen, steigt die Nachfrage nach Lebensmitteln. Zudem werden Öl und Gas immer teurer, wodurch die Produktionskosten der Landwirtschaft steigen.

Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise kommt für viele ärmere Länder zum besonders ungünstigen Zeitpunkt. Die Weltbank schätzt, dass seit Beginn der Coronakrise weitere rund 120 Millionen Menschen weniger als 1,90 Dollar pro Tag verdienen und damit als »absolut arm« gelten. Weitere 220 Millionen Menschen verdienen weniger als 3,20 Dollar pro Tag und gelten laut den UN-Kriterien als »arm«. Zudem droht eine neue Schuldenkrise: Gemäß dem Internationalen Währungsfonds (IWF) besteht aktuell bei mehr als der Hälfte der 70 ärmsten Länder der Welt eine akute Gefahr, in eine Notlage zu geraten. Auch viele Länder mit mittlerem Einkommen haben sehr hohe Schulden. UN-Chef Antonio Guterres warnte bereits: »Wir können nicht in eine Schuldenkrise laufen, die vorherseh- und vermeidbar ist.«

Dass es in manchen Ländern zu politischen Unruhen kommen könnte, liegt aber nicht allein am Anstieg des Hungers, der Nahrungspreise und an gesunkenen Einkommen bei hohem Schuldenstand. Die Pandemie selbst erhöht die Wahrscheinlichkeit von Unruhen, wie eine IWF-Studie zeigt. Die Hauptgründe dafür seien der Anstieg der sozialen Ungleichheit und das gesunkene Wirtschaftswachstum, so der IWF. »Pandemien führen zu einem signifikant größeren Risiko von Unruhen nach 14 Monaten.«

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