Es war immer alles da
Kein anspruchsloses Glück: Neue Gedichte von Michael Arenz
Stringent erzählende Gedichte, Schwarz-Weiß-Fotos, die mit den Texten auf Augenhöhe kommunizieren und eine gelungene, aufwendige Gestaltung - das ist das neue Buch »Das schwarze Hotel« des Autors Michael Arenz und des Fotografen und Verlegers Hansgert Lambers. Es ist bereits ihr vierter gemeinsamer Band.
Michael Arenz gehört unter den wichtigen Lyrikern zu den am wenigsten öffentlich wahrgenommenen. Das liegt vielleicht auch daran, dass ihm alles Laute, Öffentlichkeitswirksame fremd ist. Er wurde 1954 in Westberlin geboren, wuchs in Düsseldorf auf und lebt heute in Bochum. Aber es zieht ihn auch immer wieder nach Berlin, wie man an seinen Gedichten sieht.
Hansgert Lambers wählt dazu die Fotos aus seinem Archiv aus - und egal, wann und wo diese entstanden sind, auf eine unangestrengte, selbstverständliche Weise passen Fotos und Gedichte zusammen, scheinen sich unaufgeregt zu akzeptieren und zu ergänzen. Es sind hier vor allem Stadtlandschaften, es ist Straßenfotografie, es sind Fundstücke eines Flaneurs.
Von 1994 bis 2013 war Arenz Herausgeber der bemerkenswerten Literatur- und Kunstzeitschrift »Der Mongole wartet«. Wobei die Bezeichnung Zeitschrift für dieses Unternehmen eigentlich zu kurz greift: Diese Ausgaben waren Bücher, 500 Seiten stark. Der Herausgeber zeigte gegenüber den Künstlern und Autoren auch dadurch seinen Respekt, indem er ihren Arbeiten den nötigen Raum bot. Wann bekommt sonst ein Dichter in einer Zeitschrift schon 20 und mehr Seiten für seine Gedichte zur Verfügung?
Hansgert Lambers wurde 1937 in Hannover geboren, absolvierte ein Berufsleben als Ingenieur für IBM, davon viele Jahre in Osteuropa. Seit seiner Jugend ist er aber auch ein bemerkenswerter Fotograf. Seit 1986 betreibt er den Ex-pose-Verlag, dessen Schwerpunkt Fotobücher sind, in dem aber auch der hier besprochene Band erschienen ist. Lambers’ Zusammenarbeit mit Arenz begann 2011. Sie glückt immer aufs Neue, weil sie auf gegenseitiger Akzeptanz, ja Hochachtung beruht, und wohl auch auf einer verwandten Weltsicht. Diesem Zusammenwirken fehlt es auch im vierten Versuch nicht an Spannung und Frische.
Hier muss unbedingt auch Kai-Olaf Hesse erwähnt werden, als Gestalter ist er ebenfalls das vierte Mal dabei. Er hat ein Layout entworfen, bei dem jede Seite individuell gestaltet ist, schwarze und graue Flächen stellen Gedichte und Fotos gegeneinander und in Beziehung. Mal sind die Gedichte in die getönten Flächen gedruckt, mal laufen sie am Rand einher - mit Abständen und Zuordnungen entsteht ein spannungsvolles Miteinander von Texten und Fotos.
Man kann durch dieses Buch spazieren wie durch eine Stadt und mit den Fotos von Lambers Gewöhnliches als bemerkenswert erkennen; man kann mit Arenz’ Texten, so man sich darauf einlässt, die immer übersehenen Menschen dieser Stadt wahrnehmen, etwas ahnen von ihren Hoffnungen, besonders den gescheiterten, von ihrer Illusionslosigkeit und ihrem Fatalismus, aber auch von ihren bescheidenen Freuden.
Summer in the City
Routiniert betrunkene
ältere Herren ohne Bart
gleiten spätabends
auf ihren ungeputzten
Rädern bergab in das
Herz der Stadt, ohne etwas
zu suchen, und ohne
etwas zu finden.
Froh, in ihren Körpern
unterwegs zu sein,
zu atmen, und
umschmeichelt von
einem warmen Luftmeer,
befinden sie sich im
Gleichklang mit diesem
unbeschreiblichen Sommer,
der so schwingt wie ihr
anspruchsloses Glück.
»Summer in the City« ist ein alter Song von Lovin’ Spoonful von 1966. Arenz’ Gedichte handeln oft von Menschen, die ihrem Lebensende entgegengehen, allein leben, und nichts mehr erwarten als ein halbwegs erträgliches Ende.
Die überwiegenden Stimmungen in diesen Gedichten sind eine skeptische Melancholie und eine, manchmal fast heitere, Hoffnungslosigkeit. Und immer ist da die Frage, was denn bleibt von einem Leben, so wenn Arenz Wohnungsauflösungen beschreibt oder an die eigenen, lange toten Eltern denkt.
In dem Gedicht »Late Wishes« stehen die Zeilen »Wenn man alt geworden ist, macht sich die Vergangenheit auf, kommt einem entgegen und erzählt, was damals die Gegenwarten nicht preisgegeben haben.« Das trifft auf viele dieser Gedichte zu. Erinnerungen, die plötzlich kommen und Vergangenes preisgeben. Aber man bemerkt auch, selbst älter geworden, dass man die eigenen Eltern plötzlich ganz anders sieht, so in dem zentralen Gedicht »Es war immer alles da«.
Es war immer alles da
Ende der 90er ging ich
zweimal wöchentlich Arm
in Arm mit meinem
Vater im Hofgarten
spazieren, am frühen
Nachmittag, damit meine
Mutter in Ruhe ihre
Besorgungen erledigen
konnte, er in Bewegung
blieb und ich wenigstens
etwas zur Bewältigung
unserer Lage beitragen
konnte. Wir redeten nicht
viel, und oft gingen wir
schweigend nebeneinander
her, aber eines Tages
fragte ich ihn, ob er
noch manchmal an seine
Eltern denke, worauf er
in Tränen ausbrach und
schluchzte: Es war immer
alles da. Wir umarmten
uns. Die Wahrheit war,
daß ich mich an ihm
festhielt, tief beschämt
und bestürzt.
Für mich ist auch
immer alles dagewesen,
ohne daß je ein Wort
darüber verloren wurde,
aber ich brauchte fast ein
ganzes Leben, um diesen
einfachen Satz zu verstehen.
Arenz ist in seinen Gedichten da am stärksten, wo er die eigene Haut zu Markte trägt, wo er sich, ganz ohne Attitüde, schutzlos zeigt. Vor Jahren las ich einen Satz von Allen Ginsberg: »Es sollte keinen Unterschied geben zwischen dem, was wir niederschreiben und dem, was wir wirklich wissen, so wie wir es jeden Tag miteinander erfahren. Und die Heuchelei in der Literatur hat ein Ende.«
Eine Haltung, die sich auch in den Gedichten von Michael Arenz zeigt.
Michael Arenz: Das schwarze Hotel. Poeme. Mit Fotografien von Hansgert Lambers. E-pose-Verlag, 134 S., br., 33 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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