Vorbild für das Humboldt-Forum?
Das Berliner Schloss zur Zeit der Weimarer Republik
Die Republik braucht kein Schloss! Auch die Weimarer Republik nicht. Ihr fielen nach dem Sturz des Kaisers und anderer Dynastien etliche Herrschaftshäuser zu, darunter das Berliner Hohenzollernschloss. Von dessen Balkon hatte Karl Liebknecht die freie sozialistische Republik ausgerufen - am 9. November 1918, zwei Tage vor dem Ende des Ersten Weltkrieges. Das Hohenzollernschloss gehörte fortan dem Land Preußen. Fünf Jahre nach dem nächsten verlorenen, ebenfalls von deutschem Boden aus entfesselten Weltkrieg wurde das - nicht sehr stark beschädigte - Symbol preußischen und deutschen Militarismus auf Geheiß von Walter Ulbricht, Partei- und Staatschef der DDR, abgerissen.
In der quälenden Diskussion der letzten Jahre um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses spielte dessen republikanische Zwischennutzung keine Rolle. Sie steht im Mittelpunkt des Buches von Christian Walther, von Haus auf Politikwissenschaftler. Er beschreibt den Wettlauf zwischen Philipp Scheidemann vom SPD-Vorstand und Karl Liebknecht von der 1917 ins Leben gerufenen USPD, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, wer als Erster die Republik ausruft - der eine, wie bereits erwähnt, vom Balkon des Schlosses, der andere vom Reichstagsgebäude aus. So unwichtig dieses Detail erscheinen man, so markant ist es für die Rivalität zwischen SPD und der alsbald, an der Jahreswende 1918/19, gegründeten KPD während der gesamten Weimarer Zeit.
Sodann berichtet Walther anschaulich über die Nutzung des Schlosses durch Institutionen der Republik und privatgesellschaftliche Initiativen. So richtete die linksliberale Pionierin der Frauenrechte Marie-Elisabeth Lüders in einigen Räumen des Schlosses eine Suite für Studentinnen ein. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft belegte mit zwei bedeutenden rechtswissenschaftlichen Instituten andere Bereiche. Ausstellungen und Vorträge vermittelten einem größeren Publikum Wissen. Walther nennt unter anderem Lektionen der Atomphysikerin Lise Meitner, die damals mit Otto Hahn die erste Kernspaltung vorbereitete. Die Jüdin musste dann vor den Nazis ins Ausland fliehen. Der Autor betont, dass viele während der Weimarer Republik im Schloss tätige Frauen Jüdinnen waren, darunter Marguerite Wolff, die mit ihrem Mann Martin Wolff ein renommiertes zivilrechtliches Institut der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft leitete; sie emigrierten später nach England.
Im Schlosshof fanden viel besuchte Konzerte statt. Die Berliner Bevölkerung und auch internationales Publikum nutzten das Schoss in den Jahren der ersten deutschen Demokratie quasi wie einen »Palast der Republik«, der Anfang der 70er Jahre tatsächlich anstelle der gesprengten Hohenzollernresidenz erbaut wurde. In den Jahren der Weimarer Republik wurden dem Volk auch Einblicke in die noch existenten ehemaligen kaiserlichen Räume gestattet.
Walther informiert über den Prozess der Entscheidung zum Abriss des Schlosses, der unter anderem gegen den ausdrücklichen Wunsch des damaligen staatlichen Stadtbaufachmanns Kurt Liebknecht erfolgte, eines Neffen des 1919 von der Reaktion ermordeten Karl Liebknecht. Zitiert wird das Gutachten eines DDR-Architekturbüros über eine mögliche Sanierung des Schlosses zu einem noch erschwinglichen Preis von 36 Millionen Mark. Der Autor erwähnt eine Anordnung von höchster Stelle, vor dem Abriss das gesamte Gebäude zu vermessen sowie Raum für Raum zu fotografieren - was mustergültig ausgeführt wurde, weshalb dann 60 Jahre später die Rekonstruktion des Schlosses erfolgen konnte.
Walther schließt eine Lücke in der Geschichtsschreibung. Seine wohldokumentierte Arbeit wird vielleicht auch Gegner des Humboldt-Forums versöhnen - denn letztlich handelt es sich hier nicht um ein Wiedererstehen preußisch-deutscher Selbstherrlichkeit, vielmehr scheint man an die Nutzung des Schlosses in der Weimarer Republik anzuknüpfen.
Christian Walther: Des Kaisers Nachmieter. Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss. Verlag für Berlin-Brandenburg, 1840 S., geb., 25 €.
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