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  • Geschichte des Hip Hop

Das Märchen von der Fairness

Die Dokumentarserie »Hip Hop Uncovered« skizziert den Weg der milliardenschweren Musikbranche vom Rinnstein ins Rampenlicht

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Wäre Wahlwerbung der Wahrheit und nichts als der Wahrheit verpflichtet, womöglich würde keine Partei noch welche schalten - schon gar nicht konservative Entertainer wie Ronald Reagan, der 1980 frei übersetzt mit folgendem Satz ins Weiße Haus strebte: »Amerika war schon immer bemüht, seinen Bürgern ein besseres Leben im Rahmen von Fairness und Freiheit zu gewähren.«

Besonders vor dem gewählten Hintergrund einer gut sortierten Bücherwand klangen die Worte fast aufrichtig. Ihr ganzer Zynismus wird allerdings deutlich, wenn man die Bilder sieht, die Rashidi Harper darunter montiert.

Anders als im republikanischen Original schneidet der Regisseur knapp 41 Jahre später ein paar Aufnahmen Schwarzer Rapper bei rassistischen Polizeikontrollen unter die Bilder der Kampagne und setzt damit früh den Tonfall der neuen, von von FX Network produzierten Dokumentarserie, die in Deutschland auf dem Sender Disney+ zu sehen ist.

Im Anschluss an diese kleine Collage zertrümmert »Hip Hop Uncovered« sechs Teile lang das Märchen von der freiheitlichen Fairness unabhängig von der Hautfarbe. Und als Vorschlaghammer benutzt der Regisseur eine Subkultur, die es erst kurz vor Reagans Sieg aus der Schwarzen Nische ins Herz der weißen Popkultur geschafft hatte, aber trotz des Erfolges bis heute um Einfluss und Akzeptanz seiner Schwarzen Akteur*innen kämpfen muss.

Von nichts anderem handelt Harpers Tiefenanalyse des ökonomisch wie sozial, politisch und mental wirkmächtigsten Lifestyles seit Flowerpower und Motown-Soul. Die beste Musik, meint mit Snoop Dogg einer der einflussreichsten Rapper, entstehe nun mal im Umfeld sozialer Kämpfe. Selten zuvor wurde diese musikalische Szene abwechslungsreicher, origineller, präziser und amüsanter porträtiert als in »Hip Hop Uncovered«. Und das liegt vor allem an den Protagonist*innen, die der Regisseur dafür wählt.

Anders als in den meisten Musik-Dokumentationen üblich stehen hier nämlich nicht die Menschen an der Bühnenkante im Zentrum, sondern jene knapp dahinter: die Produzent*innen, Drahtzieher*innen und Geheimrät*innen einer Massenbewegung, die tief im Innern independent sein, zugleich aber nichts weniger als die Weltherrschaft wollen.

Da wäre Eugene Henley, genannt Big U. Da wäre Jacques Agnant, genannt Haitian Jack. Da wäre Christian Mathis, genannt Trick Trick. Da wäre Debra Antney, genannt Aunt Deb. Und da wäre ihr Zwillingsbruder James, genannt Bimmy.

Dem Publikum tendenziell unbekannt, haben sich diese geläuterten Gangster allesamt aus New Yorks Brennpunkten in die Schaltzentralen der Unterhaltungsmacht hochgearbeitet und den Sprechgesang der letzten Jahrzehnte vom CNN der Schwarzen zum schillernden Megabiz aufgeblasen.

Im Kreis globaler Stars von Ice-T über Nicky Minaj bis zum allmächtigen Dr. Dre erzählen sie nun sechs Stunden lang vom geldwert gerappten Antagonismus einer popkulturellen Musikgattung, die der Mainstream fürchtet und zugleich liebt.

Das allein würde locker als Gesellschaftsstudie einer kapitalistischen Verwertungslogik taugen, die ausgerechnet der neoliberale Rassist Reagan entfesselt hatte. Noch interessanter ist allerdings, wie Rashidi Harper den amerikanischen Albtraum unbegrenzter Ausbeutungsmöglichkeiten am Beispiel seiner aktivsten Opfer entlarvt.

Denn so dick die Ketten, Häuser, Autos vieler Gangstarap-Gigant*innen im Zeitzeugenaufgebot sind - am Ende bleiben ihre Besitzer*innen zumindest dann Außenseiter*innen, wenn ihr Teint nicht dem von bislang 45 US-Präsidenten gleicht.

Die Geschichte vom Aufstieg eines Lebensstils namens Rap ist zugleich die des Abstiegs seiner Stars. Fast vier Dutzend von ihnen kamen seit 1987 gewaltsam ums Leben, wie uns die Doku-Serie lehrt.

»Die wichtigste Todesursache junger Rapper«, klagt ein Produzent im letzten Teil, »ist immer noch, erschossen zu werden«. Klingt drastisch, ist drastisch, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass »Hip Hop Uncovered« einen wichtigen Teil zeitgenössischer Popkultur skizziert. Denn trotz des viel kritisierten Kommerzes, trotz Sexismus, Gewalt und Machismo liefert die Hip-Hop-Szene den Abgehängten in aller Welt das seltene Gefühl echter Teilhabe - und darüber hinaus glänzendes Entertainment. Entertainment wie diese Dokumentation zum Beispiel. Sie lohnt sich übrigens auch für Rock- und Technofans.

»Hip Hop Uncovered«, ab 23. Juli, Disney+

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