Ein uneitler Meister seines Fachs

Zum Tode des Schauspielers Herbert Köfer

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Spiel war ihm tagtägliche Arbeit, kein dauernder Höhenflug. Er suchte das immer neu herzustellende Maß zwischen Unterhaltung und Befremdung, kollektiver Erwärmung und eisigem Befremden. Da spielte einer, um sich und andere Menschen besser zu verstehen, auch in jenen Abgründen, die sich mitten in allergrößter Heiterkeit öffnen.

Dass Herbert Köfer keine bloße Marke im Fernsehgeschäft geworden ist, trotz seiner fast 70-jährigen Präsenz in diesem Medium, lag an seiner Fähigkeit, sich immer wieder aus Wiederholungszwängen zu befreien. Ohne den Mut, anderen unverständlich zu sein, ihnen zu missfallen, gibt es keine Kunst!

Er war Künstler - ein »Volksschauspieler«, als den man ihn gern bezeichnete, nur unter Vorbehalt. Erst recht war er kein Boulevard-Schauspieler, denn eine joviale Verbrüderung mit dem schlechten Geschmack lag ihm fern. Was nicht heißt, dass es für ihn nicht erheiternd sein konnte, »Pension Schöller« zu spielen, mitsamt der Frage, wo denn nun die Verrückten hin seien. Köfer nahm solche Fragen ernst - und siehe, plötzlich bekam noch der flachste Witz einen unerwarteten Resonanzraum. Da kehrte sich die Frage um: Wo sind sie eigentlich nicht, gibt es hier noch einen Menschen, der seinen Verstand nicht verloren hat?

Rekorde waren für ihn das, was sie für einen lebensklugen Menschen sein sollten: Man nimmt sie so mit, ohne viel Aufhebens, aber auch ohne intellektuelle Herablassung. Der am 17. Februar 1921 in Berlin Geborene stand seit 2017 als »ältester aktiver Schauspieler« im Guinness-Buch der Rekorde. Es war nicht sein erster Eintrag in dieses ominöse Buch der Superlative, denn dort stand er bereits als »ältester, prominenter, noch aktiver Trabrennfahrer«. Köfer hatte vor solchen Etiketten keine Angst - er spielte mit ihnen. Noch zu seinem 100. Geburtstag in diesem Februar bekannte er, wie schön es sei, solch ein hohes Alter erreicht zu haben. Das könne er jedem nur empfehlen!

Ein Schauspieler lebt mit seinem Publikum in einer unfriedlichen Koexistenz. Ohne sich vereinnahmen zu lassen, aber auf exponierte Weise Emotionen bei diesem auslösend. Er erregt die Gemüter, befriedet sie dann wieder - und manchmal eben auch nicht. Dann trägt man den Störenfried der eigenen Seelenruhe fortan mit sich. Köfer interessierte sich für andere Menschen (unter Schauspielern nicht selbstverständlich), er sprach von ihnen, als sie längst tot waren - um sie nicht zu vergessen. Rolf Herricht etwa, der grandios traurige Komödiant. Dieser Mensch habe immer Kopfschmerzen gehabt, sei immer müde gewesen. Einmal wagte Köfer es, den bewunderten Kollegen zu seinem Geburtstag zu besuchen (natürlich ohne eingeladen zu sein, niemand wurde von Herricht eingeladen), und wusste später nie, ob dieser einmalig gebliebene Besuch nun eine Freude oder ein Ärgernis gewesen war. Über so etwas konnte er in seinen letzten Lebensjahren - neben der fortgesetzten Arbeit am Theater (Comödie Dresden, Bühne Zittau, Theater am Kurfürstendamm) - laut nachdenken. Ein Stück DDR-Kulturgeschichte mit Sinn für die entscheidenden Details.

Vor kleinen Bühnen scheute er ebenso wenig zurück wie vor der großen Unterhaltungsshow. Köfer kannte ja alles längst, das Deutsche Theater in Berlin hatte er bereits Anfang der 50er Jahre absolviert, spielte etwa in Wolfgang Langhoffs »Egmont«-Inszenierung von 1951. Dass er dann dort wegging, die große Theaterkarriere ausschlug, hatte Gründe: 1952 begann in der DDR das Fernsehen zu senden, anfangs noch als »Fernsehversuchsprogramm des Fernsehzentrums Berlin« angekündigt, und Herbert Köfer wurde erster Nachrichtensprecher der »Aktuellen Kamera«! Kein ganz idealer Sprecher, oder doch: einer mit Unter- und Obertönen, der an manches denken ließ, was nicht gesagt wurde. Darum war die Nachrichtensprecher-Laufbahn kurz - aber dem Medium Fernsehen blieb er treu. Ebenso wie dem Kabarett. Mit Gerd E. Schäfer etwa spielte er bei der »Distel« mehrere Solo-Programme und lernte dabei, ohne Ansage bissige Pointen zu setzen.

Jenseits des Guinness-Buchs und viel gut gemachter Fernsehunterhaltung (insgesamt spielte er in über 300 Kino- und Fernsehfilmen) bleiben eine Handvoll Rollen von atemberaubender Intensität. Bei diesen wenigen Gelegenheiten konnte er eine ganz andere Seite von sich zeigen. In Frank Beyers Verfilmung von Bruno Apitz’ Roman »Nackt unter Wölfen« von 1963 war er der SS-Hauptsturmführer Kluttig. Ein kalter Bürokrat des Todes, kein Dämon, von Köfer sehr reduziert gespielt, ganz aus dem Wissen um Hannah Arendts Diagnose der »Banalität des Bösen«.

Zwei Fallada-Verfilmungen zeigen den deformierten Menschen, der im Überlebenskampf des Kaufen-und-Verkaufen-Dschungels sich einen Platz zu erobern versucht - mit allen Mitteln. In Hans-Joachim Kasprziks »Wolf unter Wölfen« von 1964 (mit Armin Mueller-Stahl und seinem früheren DT-Intendanten Wolfgang Langhoff) ist er Etzel von Studmann, ein Adliger im Untergang, der sich den neuen Verhältnissen andient. Und in »Kleiner Mann was nun?« sehen wir Köfer als konkurrierenden Warenhaus-Verkäufer, gegen den der zaghafte Pinneberg (Arno Wyzniewski) keine Chance hat. Hans-Dieter Schütt schrieb über diesen von Herbert Köfer geschaffenen Charakter, dem man heute überall zu begegnen meint: »Er schleicht und schlängelt, steht selbst unter ständig bösem Druck und ist daher wach wie eine Viper. Denunziatorische Freundlichkeit. Jedes Lächeln ein Gruß des Messers, das gerade zustößt. Ein Original der Konkurrenzgesellschaft, die die Leistung zum Folterinstrument macht.«

Köfer war in der DDR ein Fernsehstar (acht Mal wurde er zum »Fernsehliebling« gewählt), der die Fähigkeit, an kleinen Formaten zu arbeiten, bis zum Schluss nicht verlor. Auch das ist eine Schule, die prägte: 700 Folgen der legendären Rundfunkserie »Neumann - 2 x klingeln«! Und ja, »Rentner haben niemals Zeit« (mit Helga Göring). Das war gleichsam Fernsehen in Familie, aber einer selbst gewählten. Gegen das Image des netten Nachbarn von nebenan hat er immer wieder angespielt. Er hat Rollen gesucht, mit denen er andrängende Harmlosigkeiten kontern konnte. Etwa 1985 im »Polizeiruf 110 - Ein Schritt zu weit«. Da ist er ein Orchestermusiker, seriös bis in die Haarspitzen. Aber eines Tages fällt er über eine junge Frau her, die ihn zuvor animiert hatte, sie zu küssen - im anschließenden Handgemenge glaubt er, sie getötet zu haben. Wir erleben nun die Zerstörung des Selbstbildes eines Biedermannes. Derartige Konstellationen interessierten Köfer - er suchte und fand sie immer wieder neu am Wegesrand des alltäglichen Selbstbetrugs. Köfer wusste, als Helden sind wir armselige Figuren. Dem moralischen Furor mancher Zeitgenossen misstraute er und brachte - so am Ende seiner Erinnerungen »Nie war es so verrückt wie immer ...« - Erich Kästners »Fabian« ins Spiel. Da springt jemand ins Wasser, einen Ertrinkenden zu retten, und vergisst darüber, dass er selbst nicht schwimmen kann.

Dass ihn die Wende von 1990 nicht so traf wie andere Schauspieler, lag auch daran, dass er die »neuen« Verhältnisse noch von früher kannte. 1937 bis 1940 hatte er seine Profession an der Schauspielschule des Deutschen Theaters erlernt und bereits 1940 am Stadttheater Brieg in Schlesien als Kronprinz Friedrich in »Katte« debütiert. Dann musste er als Soldat an die Ostfront. Bereits 1947 stand er wieder auf der Bühne, an der Volksbühne etwa. - Am 24. Juli ist Herbert Köfer, dieser uneitle Meister seines Fachs, mit 100 Jahren in Berlin gestorben.

Bei Icestorm erschien Anfang des Jahres eine Jubiläumsbox mit vier Defa-Filmen mit Herbert Köfer (14,99 €). Im Eulenspiegelverlag kamen seine Erinnerungen »Nie war es so verrückt wie immer« und »99 und kein bisschen leise« heraus.

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