Werbung

Kiew flirtet mit China

Vom Westen enttäuscht: Die Ukraine sucht in Asien nach neuen Verbündeten. Besonders Peking wird umworben

  • Denis Trubietskoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Olexij Arestowytsch gehört nicht zur ersten Garde der Kiewer Spitzenpolitiker. Dennoch sorgt ein Fernsehinterview des 45-Jährigen, der sein Land als Sprecher der ukrainischen Delegation in der Trilateralen Kontaktgruppe zur Beilegung des Donbasskonflikts vertritt, gegenwärtig für viel Aufregung. Kiew könne seine außenpolitische Orientierung nach Westen überdenken und sich künftig China zuwenden, erklärte Arestowytsch in dem TV-Gespräch und brachte damit eine grundlegende geopolitische Kehrtwende der Ukraine ins Gespräch. »Wenn der Westen sich mit Russland anfreunden will, um einen erheblichen Teil der ukrainischen Interessen aufzugeben, dann werden wir uns dem Osten zuwenden und unsere Position neu ausbalancieren!« Der Osten, dass sind für Arestowytsch neben China vor allem Länder wie Katar, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und Vietnam.

Die Reaktionen auf Arestowytschs Vorstoß fielen äußerst gemischt aus. Politiker und Kommentatoren zeigten sich nur wenig angetan von Avancen gegenüber China, Sprecher der Regierungspartei Diener des Volkes verwiesen dagegen auf Pekings enormes ökonomisches Potenzial.

Um die Gemüter wieder zu beruhigen, äußerte sich schließlich ein Sprecher des ukrainischen Außenministeriums. »Die Ukraine hat nicht die Absicht, ihren geopolitischen Vektor zu überdenken«, bügelte dieser Arestowytschs Vorstoß ab. Die Frage einer geopolitischen Neuorientierung stelle sich gar nicht. Der Kurs auf eine Mitgliedschaft in EU und Nato sei nämlich längst in der Verfassung festgeschrieben. »Die Ukraine arbeitet hart daran, ein modernes, europäisches und demokratisches Land zu werden. Dieser Weg ist unwiderruflich.«

Doch mit der Idee einer Annäherung an China ist Arestowytschs nicht allein. Kiew widmet Peking in letzter Zeit auffallend viel Aufmerksamkeit. So telefonierten Präsident Wolodymyr Selenskyj und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping im Juni zum ersten Mal seit Selenskyjs Amtsantritt vor mehr als zwei Jahren. Auffallend ist der Zeitpunkt des Gesprächs: Dieses fand nach dem Berlin-Besuch des ukrainischen Präsidenten statt, bei dem es nicht gelungen war, Deutschland zu einer Abkehr von Nord Stream 2 zu bewegen.

Auch Selenskyjs Partei Diener des Volkes sendet freundliche Signale in Richtung Peking. So gratulierten der Parteivorsitzende Olexander Kornijenko und Fraktionschef Dawid Arachamija der Kommunistischen Partei Chinas jüngst zum 100. Jahrestag ihres Bestehens. »Die Prinzipien von Diener des Volkes und der Kommunistischen Partei sind ähnlich, weil es darum geht, dem Volk zu dienen. Die Ukraine kann von Chinas positiven Erfahrungen in der wirtschaftlichen Entwicklung lernen«, erklärte Arachamija, der ironischerweise auch die interparlamentarische Freundschaftsgruppe der Ukraine und der USA leitet. Andere Parteikader lobten Chinas pulsierende Wirtschaft.

Ende Juni berichtete zudem die Nachrichtenagentur Associated Press, die Ukraine habe ihre Unterstützung für eine gemeinsame Stellungnahme vor dem UN-Menschenrechtsrat zur Lage in der chinesischen Provinz Xinjiang, wo Menschenrechtsaktivisten zufolge mehr als eine Million Uiguren in Lagern festgehalten werden sollen, zurückgezogen. Grund dafür ist angeblich Pekings Drohung, die Lieferung von 500 000 Impfstoffdosen an die Ukraine zu blockieren. Eine Anfang Juli angekündigte Erklärung des ukrainischen Außenministeriums zu den Vorgängen steht noch aus.

Zur gleichen Zeit berichteten chinesische Medien vom Abschluss eines Vertrages über Infrastrukturprojekte zwischen Kiew und Peking, der mehr als eine Milliarde US-Dollar für gemeinsame Infrastrukturprojekte vorsieht. China ist längst der wichtigste Handelspartner der Ukraine.

Trotz der außenpolitischen Flirterei mit Peking: Eine komplette Kehrtwende der ukrainischen Außenpolitik in Richtung China ist nur schwer vorstellbar. Zu groß ist Kiews Abhängigkeit vom Westen seit der russischen Krim-Annexion und dem Beginn des Krieges im Donbass.

Kiews Annäherung an China erklärt sich zum einen aus einer tiefen Enttäuschung vom Westen. Nach der deutsch-amerikanischen Einigung im Streit um Nord Stream 2 fühlt sich die Ukraine im Stich gelassen. Zum anderen sind keine neuen Kredite, etwa des Internationalen Währungsfonds, zu erwarten, um die künftig wegfallenden Einnahmen aus dem russischen Gastransit zu kompensieren. Kiew muss auf andere Weise an Geld kommen – beispielsweise durch chinesische Kredite. Dies könnte allerdings das Verhältnis zu den USA belasten. Denn Washington hat gegen chinesische Investoren, die sich in den ukrainischen Turbinenhersteller Motor Sitsch einkauften, Sanktionen verhängt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.