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Zurück aus der Zukunft

Die Klimakatastrophe ist da. Sie erinnert an die Katastrophenfilme – werden die Menschen jetzt handeln?

  • Alex Struwe
  • Lesedauer: 6 Min.

Eine andere Welt ist möglich« – das war 2001 die kämpferische Losung des Weltsozialforums. Gerade einmal acht Jahre später resignierte der einflussreiche linke Kulturwissenschaftler und Blogger Mark Fisher angesichts des »kapitalistischen Realismus«. In nur acht Jahren hatte sich die Hoffnung auf eine sozial und ökologisch gerechte Weltordnung zur Einsicht gewandelt, dass es »einfacher ist, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus«, wie Fisher schrieb.

Noch einmal zwölf Jahre später erleben wir anscheinend die Vorschau auf dieses Ende der Welt: katastrophale Waldbrände, Überflutungen, schmelzende Pole und versiegender Jetstream, Rekordtemperaturen von der Arktis bis zum Äquator, Dürre und Hungersnöte. Binnen kurzer Zeit wich das Vertrauen auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf anderthalb Grad der düsteren Prognose, dass dieser Wert schon 2030 überschritten wird, wie der Weltklimarat diese Woche mitteilte. Mit der Folge, dass der Planet bis zur Jahrhundertmitte zu großen Teilen praktisch unbewohnbar sein könnte.

Mittlerweile sind es nicht mehr nur Linke, die radikale Maßnahmen, ja die grundlegende Abkehr von der destruktiven Produktionsweise fordern. Aber das Ende des Kapitalismus wirkt tatsächlich unvorstellbar angesichts läppischer EU-Verbote von Plastikgeschirr, der Aussicht auf 14 Millionen deutsche E-Autos oder der mystischen Beschwörung von Technologien des Geo-Engineering.

Diese frappierende Diskrepanz drückt eine ungeheure gesellschaftliche Ohnmacht aus, die für die meisten Menschen unerträglich ist. Sie betrifft den sich zuspitzenden Widerspruch, als freies Individuum hochgradig abhängig von einer Gesellschaft zu sein, die einem mit der Vernichtung droht. Entsprechend hoch ist der Grad an gesellschaftlicher Verdrängungsleistung: von der offenen Leugnung des Klimawandels über Apathie bis hin zur Überkompensation der Todessehnsucht in sektenartigen Zusammenschlüssen, wie manchen Gruppen von Extinction Rebellion.

Lange Zeit hieß es, die Katastrophe sei für die Menschen einfach zu abstrakt und zu weit weg. Handlungsbereitschaft und Veränderungen seien nur möglich, wenn Menschen direkt genug betroffen sind. In gewisser Weise ist das eine zeitgenössische Form der Verelendungsthese: Genügend Armut und Elend würden schon automatisch zu revolutionärem Bewusstsein und sozialer Transformation führen. Spätestens also, wenn die Katastrophe vor der eigenen Haustür ankomme, würden die Menschen begreifen, dass dringend etwas getan werden müsse. Eine solche Perspektive ist hochgradig naiv, denn auch sie macht die Rechnung ohne das, was man Ideologie nennt: Die Reproduktion der Produktionsverhältnisse im Bewusstsein der Menschen. Theodor W. Adorno nannte es schlicht »die überwältigende Kraft des Bestehenden«.

Mit den Überflutungen in Teilen Deutschlands ist die Katastrophe sehr greifbar geworden. Zusammen mit der Hitzewelle in Nordamerika und den Bränden in der Türkei und Griechenland zeigten sie, dass die Klimakatastrophe nicht droht, sondern bereits stattfindet. Und es kaum eine Weltregion geben wird, die nicht dramatisch betroffen ist. »Wie bei Roland Emmerich« oder: »Wir leben in einem Katastrophenfilm« – so kommentierten einige in den sozialen Netzwerken die apokalyptischen Bilder. Wird nun, da die schlimmsten (Film-)Fantasien teilweise eintreffen, endlich ein Umdenken und Handeln stattfinden?

Die Katastrophenfilme, die seit Jahren Massenerfolge feiern, haben eine Tücke: Darin wurde der Weltuntergang bereits antizipiert, als wäre er das Schicksal der Menschheit. Die Hoffnung auf die Überwindung der Apathie, dass, wenn die Not nur groß genug wird, die bessere Zukunft der Menschen das Ergebnis einer großen Anstrengung sein könnte, gehört noch einer anderen Zeit an: jener des Weltsozialforums von 2001. Ist es mittlerweile nicht viel wahrscheinlicher, dass die reale Katastrophe beruhigend wirkt, ja: entlastet? Dass sie eine Erleichterung darstellt für jene Menschen, die noch nicht direkt betroffen sind? Weil man immer noch in den Urlaub fahren kann, selbst wenn das halbe Land unter Wasser steht? Eine solche Versöhnung mit der Katastrophe legen die jüngsten Katastrophenfilme nahe.

Ende der 90er Jahre wurden Katastrophen noch nicht zwingend als Weltuntergang, sondern eher als Alien-Invasionen vorgestellt. Die Aliens bedrohten also nicht die Erde, sondern den Menschen. Diese Filme griffen die destruktiven Züge unserer Existenzweise durchaus auf, aber verarbeiteten sie auch mit einer Art Geschichtsoptimismus. In Roland Emmerichs stilprägendem »Independence Day« (1996) etwa wurde in globaler Einigkeit den Aliens der Kampf angesagt. Die Menschheit (unter US-amerikanischer Führung) ging siegreich hervor. Natürlich war das nichts anderes als die Fortführung des Bestehenden und hatte nichts Subversives. Aber die kapitalistische Ideologie musste hier zumindest der Idee Rechnung tragen, dass die Menschen ihre Geschichte selber machen.

Solche Erzählungen sind einer anderen Sorte Katastrophenfilm gewichen, denen von Christopher Nolan. Hier erscheinen die Katastrophen nicht mehr als etwas Abwendbares, sondern sind schon jenes Schicksal geworden, mit dem man sich abzufinden habe. Wie man sich als Individuum mit der Katastrophe versöhnt, das erzählt Nolan im Subtext seiner Filme.

Sein Science-Fiction-Epos »Interstellar« (2014) ist dafür ein Paradebeispiel. Der Film nimmt seinen Ausgang in einer dystopischen Welt aus Naturkatastrophe, Failed State und Nahrungsmittelknappheit. Der ehemalige Astronaut Cooper (Matthew McConaughey) wird von einer vermeintlich höheren Spezies über rätselhafte Gravitationsspuren zum Retter der Menschheit auserwählt, um ihr mit dem letzten übrig gebliebenen Nasa-Shuttle eine neue Heimat zu suchen. Dafür muss er seine geliebte Tochter zurücklassen und ihr in der Isolation des Weltalls beim Altern zusehen. In einer Art Selbstmordkommando muss er durch ein Wurmloch fliegen und erfährt dann im metaphysischen Äther jenseits von Raum und Zeit, dass er selbst es war, der sich von dort auf die Reise schickte. Durch die Erfüllung seiner Mission gelangt er schließlich in eine mystische Zukunft, in der alle seine Opfer belohnt werden. Die Menschheit inklusive seiner Tochter lebt in einem futuristischen Idyll.

Es gibt hier keine Selbstbesinnung der menschlichen Gesellschaft auf ihre nachhaltige Reproduktion, sondern nur das klassisch christlich-religiöse Bild des Erlösers und Helden, das Nolan nicht umsonst von einer Kirchenorgel orchestrieren lässt. Das Opfer des Helden ist keine Parabel etwa auf den Verzicht in einer Postwachstumsökonomie. Es ist die Anpassung an die Notwendigkeiten der Katastrophe, der unbedingte Glaube, das alles seine Richtigkeit hat, spätestens im Jenseits. Die Moral von der Geschichte ist, und genau deshalb ist Nolan so erfolgreich, dass die Katastrophe nur der Test ist, wie treu man der Normalität bleibt.

Noch zugespitzter wird diese Heldenerzählung in Nolans jüngstem Werk »Tenet« (2020). Hier greift eine ominöse Terrororganisation aus der Zukunft an und versucht die Menschheit auszulöschen. Der namenlose Protagonist (John David Washington) muss dies mit Zeitreisen und invertierten Abläufen verhindern. Der Vernichtungsplan entpuppt sich als eine Art Notwehr aus der Zukunft. Da die Gegenwart auf eine Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen zuläuft, muss sie ausgelöscht werden, um so die Zukunft der Menschen zu gewährleisten. Dass diese Selbstreflexion auf die eigene destruktive Lebensweise nur als ein terroristischer Angriff gedacht werden kann, gipfelt in der Figur des Helden: Auch er hat sich selbst aus der Zukunft heraus als Ordnungshüter in die Spur geschickt und folgt in der Gegenwart blind seinem eigenen Protokoll. Wortwörtlich wird hier das Ende der Welt über das Ende des Kapitalismus gewählt, als Heldenepos.

Diese Erzählungen sind Massenerfolge. Und zwar nicht trotz ihrer Anrufung der Schicksalsergebenheit des Individuums, sondern genau deswegen. Sie liefern die Versöhnung mit dem Status quo durch die Katastrophe hindurch. Eine solche Ideologie ruft Menschen dazu auf, bis zuletzt an der Ausbeutung und dem Elend festzuhalten, das zugleich die Grundlage ihrer subjektiven Existenz darstellt. Sie bringt sie eher dazu, sich dem Reich der Notwendigkeit, der autoritären Führung und dem vermeintlichen Naturgesetz des Stärkeren zu ergeben, als angesichts der Katastrophe eine endlich freie Gesellschaft einzurichten.

Gegen diese Ohnmacht kommen auch immer schlimmere Bilder aus der Realität nicht an. Hoffnung liegt aber darin, dass auch diese Ohnmacht nur menschengemacht ist. Um es mit Max Horkheimer zu sagen: »Die Menschen machen auch jetzt noch ihre Geschichte, nur wissen sie es nicht.«

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