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Schrumpfen ist keine Lösung
Viele Tageszeitungen schließen Lokalredaktionen und lassen sich überregionale Inhalte von wenigen großen Verlagen zuliefern
Münster bietet vieles, was eine Stadt lebenswert macht: Etwas über 300 000 Einwohner*innen, eine unterdurchschnittliche Arbeitslosenquote und bei der Bundestagswahl vor vier Jahren das niedrigste AfD-Ergebnis aller Wahlkreise. Außerdem verfügt die Stadt über etwas, was jenseits von Metropolregionen wie Berlin, Hamburg und dem Ruhrgebiet längst zur Rarität geworden ist: An lokaler Berichterstattung interessierte Leser*innen können mit der »Münsterschen Zeitung« (MZ) und den »Westfälischen Nachrichten« (WN) gleich zwischen zwei Regionalzeitungen wählen. Vielfalt, mindestens immer zwei publizierte Meinungen zu einem Thema, verschiedene Blickwinkel - so sieht Medienvielfalt im Lokalen aus. Oder?
Die Geschichte hat jedoch einen entscheidenden Haken: Sie ist nicht wahr. Zwar gibt es in Münster tatsächlich zwei Lokalblätter, doch eines davon ist nicht mehr als eine »Zombie-Zeitung«. Diesen mehr als treffenden Begriff nutzte die Journalistin Anna von Garmissen vor einigen Monaten, als sie für das medienkritische Onlinemagazin »Übermedien« über den Etikettenschwindel berichtete, der da in Münster eine angebliche Medienvielfalt suggeriert, die es vor Ort schon lange nicht mehr gibt.
In Wahrheit verfügt die »Münstersche Zeitung« nicht einmal mehr über eine eigene Redaktion. Die überregionale Berichterstattung wird aus Nachrichtenagenturen und der »Rheinischen Post« übernommen, die Lokalberichterstattung stammt vom früheren Konkurrenten »Westfälische Nachrichten«. Der Grund: Bereits 2014 übernahm WN-Eigentümer Verlag Aschendorff die finanziell angeschlagene MZ. Es folgte, was Betriebswirtschaftler*innen zu gerne als Sanierung beschönigen: Noch im selben Jahr machten die Lokalredaktionen der MZ dicht.
Damit die seitdem herrschende Einfalt nicht sofort auffällt, erscheinen Texte aus der WN oft erst mit einigen Tagen Verzögerung in der MZ, Überschriften und Fotos werden zudem verändert. Auf den ersten Blick ist nicht erkennbar, dass die »Münstersche Zeitung« nur noch ein seelenloses Zweitprodukt aus dem Hause Aschendorff ist.
Das »nd« wandelt sich zur Genossenschaft und bleibt anders!
Wir werden eine Genossenschaft und bekommen damit eine Unternehmensform, die zu unserem inhaltlichen Anspruch passt
Auch wenn die MZ einen Extremfall darstellt, illlustriert das Beispiel zugespitzt, welche Entwicklungen sich auf dem bundesdeutschen Zeitungsmarkt vollziehen. Ein ähnlicher Fall spielte sich vor einigen Jahren im Ruhrgebiet bei der »Westfälischen Rundschau« (WR) ab. Einst als eigenständige Dortmunder Zeitung gegründet, erging es der WR ähnlich wie dem Zombie-Blatt aus Münster. Das Blatt existiert nur noch als Marke und wird dabei teils von eigentlich miteinander konkurrierenden Verlagen mit Inhalten bestückt.
Der Auslöser dieser Entwicklung lässt sich, verkürzt beschrieben, anhand einiger ausgewählter Zahlen veranschaulichen: Lag die verkaufte Gesamtauflage aller in Deutschland erscheinenden Tageszeitungen 1991 noch bei 27,3 Millionen Exemplaren, ging diese Zahl bis 2020 um über die Hälfte auf nur noch 12,5 Millionen zurück. Digitale Abos zählen in dieser Statistik bereits mit. Überregionale Tageszeitungen, wozu auch »nd« gehört, haben am Gesamtmarkt gerade einmal einen Anteil von unter 20 Prozent.
Auf sinkende Auflagen reagieren alle Verlagshäuser bundesweit weitestgehend ähnlich: Erst werden Lokalredaktionen personell verkleinert, im nächsten Schritt zusammengelegt - und irgendwann betreut eine Zentralredaktion ein Verbreitungsgebiet, für das noch wenige Jahre zuvor drei oder vier eigenständige Redaktionen zuständig waren.
Ein weiterer Trick, der vor allem auf Kürzungen abzielt: Lokalredaktionen werden in formal eigenständige Gesellschaften ausgelagert. Damit einhergehen für die Redakteur*innen und andere Angestellte oft neue Arbeitsverträge zu deutlich verschlechterten Bedingungen: weniger Gehalt, mehr Arbeit.
Tatsächlich ist es gar nicht so einfach, die fortschreitende Konzentration auf dem deutschen Zeitungsmarkt darzustellen, vollzieht diese sich doch nicht in einem großen, sondern in vielen kleinen Schritten. Nackte Zahlen können dabei mitunter in die Irre führen: So klingt es zunächst nach einem Widerspruch, wenn der Anteil der zehn größten Verlagshäuser am Tageszeitungsmarkt in den letzten Jahren nicht gewachsen, sondern sogar leicht auf aktuell 57,5 Prozent gesunken ist.
Tatsächlich ist es nicht das größte Problem, dass ein Szenario abzusehen ist, bei dem am Ende ein bundesweites Zeitungsmonopol droht, sondern was sich in Deutschlands Regionen abspielt. In Ostdeutschland ist dabei Normalität, was zunehmend auch im Westen Realität wird: Eine Region - eine Zeitung. Konkurrenz der Verlage untereinander? Vielfalt? Fehlanzeige.
Als westdeutsche Verlage Anfang der 90er Jahre im Osten auf Einkaufstour gingen, vermieden sie es bis auf wenige Ausnahmen, dass es zu Überschneidungen in ihren Verbreitungsgebieten kam. Kaum überraschend: Sämtliche ostdeutsche Regionalzeitungen gehören zu Verlagsgruppen aus dem Westen, von den bundesweit erscheinenden Titeln haben nur »nd« und »Junge Welt« ihren eigentlichen Stammsitz im Osten, konkret in Ost-Berlin.
Wirtschaftliche Einfalt dominiert auf dem ostdeutschen Zeitungsmarkt, besonders drastisch ist die Lage in Thüringen. Mit der »Thüringischen Landeszeitung«, der »Thüringer Allgemeinen« und der »Ostthüringer Zeitung« gehören gleich drei der vier Blätter zur Funke-Mediengruppe. An dem Essener Verlagshaus lässt sich zeigen, wie innerhalb eines Medienhauses die Konzentration der Produktion stetig zunimmt: 13 Tageszeitungen befinden sich ganz oder teilweise in Funke-Besitz. Überregionale Inhalte liefert seit 2015 immer stärker die sogenannte Zentralredaktion in Berlin, die im Werbesprech als »Brückenkopf der Regionalmedien in die Hauptstadt und die Republik« vermarktet wird. Übersetzt heißt das: Wenige Berliner Redakteur*innen bestimmen somit, was Millionen Menschen in allen Teilen der Republik in ihrer Tageszeitung an überregionaler Berichterstattung lesen können.
Ähnlich funktioniert das Modell des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND), das zur Verlagsgesellschaft Madsack gehört. Von Hannover und Berlin aus beliefert RND rund 50 regionale Zeitungen, darunter auch bundesweit durchaus bekannte Medien wie den »Kölner Stadtanzeiger«, den »Weser Kurier« und die »Leipziger Volkszeitung«. Im Unterschied zu Funke versorgt Madsack mit dem RND nicht nur Zeitungen, an dem das Medienhaus wirtschaftlich beteiligt ist. Das Ergebnis ist aber dasselbe: Von Kiel über Wolfsburg, Leipzig bis Dortmund gleicht sich die überregionale Berichterstattung, sie wird schließlich auch von den gleichen Redakteur*innen verfasst.
Stehen Tageszeitungen, noch dazu mit einem regionalen Schwerpunkt, zwangsläufig irgendwann vor dem Aus? Keinesfalls, sofern Verlage auf Druck ihrer Eigentümer*innen nicht immer weiter auf Rendite getrimmt werden.
Dass mit Abstand positivste und zugleich mutigste Beispiel auf dem deutschsprachigen Zeitungsmarkt der letzten Jahre stammt aus einer Region, die bisher nicht als bedeutsamer Medienstandort bekannt wäre: In Greifswald produziert seit 2015 eine Redaktion ohne die Rückendeckung eines großen Verlages »Katapult«, ein vierteljährliches Magazin mit Infografiken und Karten zu den unterschiedlichsten Themen.
Seit wenigen Monaten gibt es nun auch »Katapult MV«, einen Ableger für Mecklenburg-Vorpommern. Zwar handelt es sich dabei nicht im engeren Sinne um eine klassische Tageszeitung, doch täglich erscheint digital mindestens ein Beitrag, der sich mit einem Thema aus dem nordöstlichen Bundesland auseinandersetzt, sei es ein geplanter Wildschutzzaun an der Grenze zu Polen oder der Wahlkampfauftakt der AfD in Schwerin für die Bundes- und Landtagswahl im September. Genau wie beim Vorbild »Katapult« gehört zu jedem Artikel mindestens eine Grafik oder Karte, die das Thema kompakt und meist originell illustriert.
Das Konzept von »Katapult MV« überzeugt: Inzwischen finanzieren mehr als 4200 Abonnent*innen die digitale Zeitung. Tendenz täglich steigend, was die Redaktion auf ihrer Website transparent darstellt. Dort lässt sich ebenfalls nachlesen, dass das Team viel größer plant als mit den aktuell fünf Redakteur*innen. Gewinnt »Katapult MV« 11 400 Abos, sollen Lokalredaktionen in Rostock, Schwerin und Neubrandenburg folgen. In Stufe drei soll es sogar in 20 Kleinstädten Mecklenburg-Vorpommerns jeweils eine Redakteur*in geben. Es wäre das komplette Gegenteil dessen, was viele klassische Verlage gerade tun: Statt Rückzug zieht es »Katapult MV« dahin, wo die Geschichten sind.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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