Der Mann als Gefährder

Jana Frielinghaus über die Forderung von Alice Schwarzer, nur Frauen und Kinder aus Afghanistan in Deutschland aufzunehmen

Alice Schwarzer ist eine wortgewandte Diskutantin in Talkshows, Journalistin und aus ihrer eigenen Sicht immer noch, Zitat, »die Feministin Nr. 1« in Deutschland. Letzteres, bekennt sie, sei sie eher unfreiwillig, es sei auch eine Last. Spätestens seit der von ihr auch »muslimisches Inferno« titulierten Silvesternacht von Köln 2015, in der es zu massenhaften Belästigungen von Frauen durch überwiegend arabisch aussehende Männer kam, ist Schwarzer darüber hinaus selbsternannte Islam-Expertin. Vor allem weiß sie über muslimische Männer bescheid.

Nachdem die islamistischen Taliban in Afghanistan seit dem Wochenende endgültig wieder an der Macht sind, hat sich Schwarzer, nicht ganz unerwartet, zu Wort gemeldet. In einem zu Wochenbeginn auf der Webseite des von ihr herausgegebenen Magazins »Emma« veröffentlichten Artikel fordert sie wörtlich: »Jetzt nur Frauen und Kinder aus Afghanistan aufnehmen!« Ihre Logik: Einerseits seien Leben und Freiheit von Frauen besonders in Gefahr. Andererseits mischten sich, so Schwarzer, Terroristen unter die Männer, die aus dem Land fliehen, und zwar »gezielter denn je zuvor«. AfD-Namensvetterin Alice Weidel hätte wohl kaum drastischer Panik - und Hass - schüren können. Leute, die Böses im Schilde führen, »werden sehr bald auch bei uns sein«, warnt die Buchautorin. Sie spricht zudem, und man darf davon ausgehen, dass sie das bewusst tut, von der »nächsten Flüchtlingswelle«.

Natürlich ist zu befürchten, was Schwarzer prognostiziert: »Als erstes aber werden die Frauen und Mädchen aus der Öffentlichkeit verjagt; von den Schulen und Universitäten, aus den Büros und von der Straße.« Und richtig ist auch, dass sie die Interventionspolitik des Westens scharf kritisiert.

Doch was ist das für ein Menschenbild, in dem Frauen als schützenswerter gelten und Männer als potenzielle Gewalttäter? Und es hat mindestens ein Geschmäckle, wenn Schwarzer schreibt, man solle vor allem jenen die Einreise nach Deutschland ermöglichen, »die sich in den Städten an die Öffentlichkeit gewagt haben (...); kurzum allen, die sich, ermutigt vom Westen, emanzipiert haben«. Denn: Frauen auf dem Land würden eh zu streng von ihren Männern bewacht. All das ist Ausdruck eines letztlich patriarchalen Denkens, in dem Frauen vor allem als Opfer gesehen werden, die es zu retten gilt. Und in dem Männer, vor allem aber Muslime, unter Generalverdacht stehen.

Mit ihrem aktuellen Vorschlag stellt sich Schwarzer weit außerhalb zumindest linker feministischer Bewegungen, die davon ausgehen, dass die Emanzipation und Befreiung aller nur möglich ist, wenn es für niemanden Barrieren in der Selbstentfaltung gibt und wenn für alle die gleichen Rechte und Verpflichtungen gelten. »Menschenrechte haben kein Geschlecht«, hat die frühe Feministin Hedwig Dohm (1831-1919) einmal gesagt. Das bedeutet mit Blick auf Afghanistan und das Recht auf körperliche Unversehrtheit, dass jede Person, die einen Schutzstatus beantragt, gleich zu behandeln ist, völlig unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrem Glaubensbekenntnis und ihren sexuellen Vorlieben. All das ist in der Genfer Flüchtlingskonvention geregelt.

Es liegt darüber hinaus auf der Hand, dass Menschen, die in irgendeiner Form mit westlichen Institutionen und Organisationen oder Militärs zusammengearbeitet haben - und das waren mehrheitlich Männer - akut die am meisten gefährdeten sind. Zudem sind nicht nur Gewalttäter, sondern auch Gewaltopfer in der großen Mehrheit männlich. Feministische Philosophinnen wie Frigga Haug und Christina Thürmer-Rohr haben zudem schon vor Jahrzehnten aufgezeigt, dass patriarchale Gesellschaften nur langfristig funktionieren, weil auch Frauen sie aktiv reproduzieren und zuweilen auch individuell von ihnen profitieren. Der größte Trugschluss ist es jedoch zu glauben, man sei vor Terror und der Etablierung islamistischer Strukturen - deren Gefahren hier mitnichten geleugnet werden sollen - gefeit, wenn man Männern die Einreise verwehrt. Dschihadistenmilizen haben bekanntlich in den letzten Jahren für Anschläge gezielt Frauen rekrutiert. Frauen sind so verletzlich und schutzwürdig wie Männer, aber wie sie auch verführbar, missbrauchbar und zu Hass und Gewalt fähig.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -