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Der schlimmste Albtraum
»Promising Young Woman« handelt von Vergewaltigung – und wie unsere Gesellschaft damit umgeht
Schon der Einstieg von »Promising Young Woman« ist schwer erträglich: Eine scheinbar betrunkene Frau, die kaum noch sprechen oder die Augen aufhalten kann, versucht, sich hilflos gegen den Mann zu wehren, der sich auf sie legt und sie auszieht. Wovon er keine Ahnung hat: Diese Frau hat eine Mission. Cassie, gespielt von Carey Mulligan, zieht des Nachts durch Bars und Clubs, stellt sich mit verschmiertem Make-up absolut betrunken und lässt sich von zufällig daherlaufenden Männern, die ihr »nur helfen möchten«, mit nach Hause nehmen.
Sobald der jeweilige Mann ihr wiederholt gelalltes »Nein« nicht respektiert und stattdessen an ihrem Körper herumfummelt, ihr Drogen oder Alkohol einflößen will oder versucht, sie davon abzuhalten, nach Hause zu gehen, beendet sie ihre Performance abrupt und konfrontiert den Mann mit seinem übergriffigen Verhalten. Die Reaktion in den meisten Fällen: ein schockierter Blick. »Sie ist ja doch bei Sinnen«, scheint er zu sagen.
Das Regiedebüt von Emerald Fennell, die für das Drehbuch mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, handelt von der Vergewaltigungskultur, die in unserer Gesellschaft viel zu tief verwurzelt ist und viel zu oft die Täter*innen schützt. Der Film, der seine Premiere 2020 auf dem Sundance Film Festival in den USA feierte, ist eine Rachegeschichte – verpackt in niedlicher Cupcake-Ästhetik. Und schon das ist eine Falle, erklärte Fennell einmal in einem Interview.
Die abgebildete Realität in »Promising Young Woman« geht zu nah. Die Grenze zwischen einvernehmlichem Sex und Vergewaltigung ist zu schmal und der Akt der Vergewaltigung zu präsent. Sowie deren Folgen. Denn erfahrungsgemäß stellt sich unsere Gesellschaft zuallererst reflexartig vor die Täter*innen. So wird die Suche der Betroffenen nach Gerechtigkeit oft zum Anlass, einen gnadenlosen Prozess gegen die Opfer loszutreten, indem diese zu Täter*innen erklärt werden. »So eine Anschuldigung ist für einen Mann der schlimmste Albtraum«, heißt es im Film. »Und jetzt rate mal, was für eine Frau der schlimmste Albtraum ist«, entgegnet Cassie – von Fennell bewusst als Racheengel inszeniert.
Ihr Motiv wird deutlich, als wir erfahren, dass Cassie als Klassenbeste ihr Medizinstudium abbrach, nachdem ihre beste Freundin Nina vergewaltigt und mit dem Video von der Tat bloßgestellt wurde. Nina lebt nicht mehr, alles deutet auf einen Suizid hin. Und Cassie, die tagsüber in einem Café arbeitet, stattet nachts all jenen einen Besuch ab, die Nina damals nicht glaubten oder halfen. Die Strichliste in ihrem Notizbuch wird von Tag zu Tag länger.
»Promising Young Woman« wird zu Recht als feministisch gefeiert. Ein Werk, in dem die tatsächliche Dimension einer Vergewaltigung und die damit entstehende Zerstörungskraft so klar sichtbar wird, ist eine große Ausnahme. Der Film legt sich allerdings Steine in den Weg: Al Monroe (Chris Lowell) heißt der Mann, der Nina vergewaltigte. Er genießt den vollen Täterschutz durch das misogyne Justizsystem und das Unipersonal. Er machte als Arzt Karriere und will demnächst heiraten. Auf seinem Junggesellenabschied taucht Cassie auf. Als Stripperin verkleidet, fesselt sie ihn ans Bett. Sie will ihm Ninas Namen auf die Haut ritzen und seine Schuld verewigen.
Doch Monroe kann sich befreien und tötet Cassie. Er wird festgenommen, aber ob er verurteilt werden wird, bleibt offen. Den Empowerment-Aspekt lässt der Film somit ausfallen. Denn der Kampf um Gleichberechtigung endet nicht mit der Festnahme der Täter.
Im Patriarchat ist nicht nur der aktive Kampf um Gerechtigkeit, wie der von Cassie, belastend, sondern selbst die passive Existenz, wie die von Nina. Hoffnungslosigkeit prägt so manches Selbstverständnis, es fehlt etwas, an dem man sich festhalten kann. Der Film weiß um dieses Problem: Carries Mission existiert allein, weil Nina sich nirgends festhalten konnte. Doch Fennells feministische Kunst bietet keinen Halt. Dabei ist das Wunderbare an Fiktion, dass darin alles sein kann: Menschen können fliegen und übermenschliche Fähigkeiten haben, Tiere können sprechen, Wesen wie Elfen und Drachen existieren.
Dass die Geschichte von »Promising Young Woman« so realitätsnah ist, ist eine Stärke des Films. Cassie muss nicht fliegen oder mit ihren Gedanken Vergewaltiger kaltstellen können. Es ist realistisch, dass selbst eine »vielversprechende« Frau wie Cassie am Ende den Kampf verliert, solange sie ihn alleine führt, weil das Patriarchat ein viel zu großes und tief verwurzeltes System ist, gegen das eine Person nicht alleine ankommen kann. Ermächtigend oder ermutigend ist eine solche Geschichte allerdings nicht. Der Film hätte darum einen Schritt weiter gehen müssen und Cassies Sieg zeigen sollen. Die Kämpferin gegen das Patriarchat endlich einmal gewinnen lassen – auch wenn es in der Realität unwahrscheinlich wäre.
So verbleibt der Film bei einer Wiederholung des Status quo. Probleme zu benennen ist wichtig. Genauso wichtig ist es, Visionen mitzuliefern: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Wie sollte ein künftiger Status quo aussehen, damit alle sein können? Feministische Kunst muss auch diese Fragen beantworten können. Wir wissen, wie das Patriarchat funktioniert, wir wissen, wie machtlos wir ihm ausgeliefert sind. Das kann man immer und immer wieder sagen, das allein wird daran aber nichts ändern.
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Eine ermutigende feministische Erzählung wäre gewesen, wenn Cassie erlebt hätte, dass es sich lohnt zu kämpfen. Dass ihre Mission nicht ausweglos war, die Gerechtigkeit nicht so vollends außer Reichweite, dass sie dafür sterben muss. War am Ende alles umsonst? Das erfährt weder Cassie noch das Publikum.
»Promising Young Woman«. Großbritannien/USA 2020, Regie und Buch: Emerald Fennell. Mit: Carey Mulligan, Laverne Cox, Robert »Bo« Burnham.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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