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  • »Kampf um den Halbmond«

Im Niemandsland der Sicherheitspolitik

Eine wichtige Serie über den syrischen Bürgerkrieg: »Kampf um den Halbmond«

  • Hagen Bonn
  • Lesedauer: 5 Min.

Kennen Sie schon »Kampf um den Halbmond«? Eine sehr empfehlenswerte Serie zum syrischen Bürgerkrieg, als Gemeinschaftsproduktion aus Frankreich, Belgien und Israel, in der vier Sprache gesprochen werden: Englisch, Französisch, Kurdisch und Arabisch. Bislang gibt es eine Staffel mit acht Folgen. Manchmal denkt man sogar: das kann keine Fiction sein, das ist doch ein Dokumentarfilm.

Leider kommt man nicht umhin, im Kontext zu dieser spannenden Serie auch des Teufels Schwiegermutter mit zu nennen: Die aus dem Quotenhimmel herab winkende US-Serie »Homeland« (2011-2020). Denn oft wird »Kampf um den Halbmond« als die aufgeklärte, ausgewogen erzählte und realistische Variante dieser ebenso grandiosen wie stark ambivalenten Serie beschrieben.

»Homeland« gilt als eine der erfolgreichsten, spannendsten, aber auch zwiespältigsten TV-Serien überhaupt. Als Agententhriller (»Freie Welt« gegen Terrorismus) inszeniert, bedient sie über acht Staffeln islamfeindliche Klischees, rassistische Muster und feiert den US-Nationalismus gerade mit Mitteln der gediegenen Überparteilichkeit, was ungemein manipulativ ist.

Denken wir aber auch daran, wenn der Teufel eine Schwiegermutter hat, muss er auch äh … eine Familie haben, oder? Dazu aber später. Denn der »Kampf um den Halbmond« hat begonnen! Wir lernen Antoine (gespielt von Félix Moati) im Paris des Jahres 2014 kennen, der zufällig im Fernsehen seine Schwester zu erkennen glaubt - in einem Bericht über den syrischen Bürgerkrieg, der bekanntlich 2011 begann. Aber Antoines Schwester ist doch schon tot! Sie starb schon vor längerer Zeit bei einem Bombenattentat in Kairo, dachte er zumindest bis zu dieser Sendung.

Antoine kontaktiert den Journalisten des Fernsehberichts und macht sich kurz entschlossen auf in die Türkei, um von dort nach Syrien zu gelangen und selbst seine Schwester zu suchen, von der er nun glaubt, dass sie lebt. Er reist also ins kriegerisch umkämpfte »Niemandsland«, denn so heißt die Serie im Original: »No Man’s Land«.

Kaum in Syrien angekommen, wird er wegen Spionageverdachts festgenommen - von der Yekineyen Parastina Jin (YPJ). Diese kurdische Frauenverteidigungseinheit, unterstützt von Freiwilligen aus aller Herren Länder, ist sozusagen der geschichtsträchtige Fels in der Brandung gegen den Islamischen Staat (IS), der anscheinend unaufhaltsam Dorf für Dorf und Stadt um Stadt einnimmt und sogleich seine Schreckensherrschaft etabliert. Aber auch hier finden wir internationale Freiwillige.

Die Serie vergisst dabei nicht zu schildern, was die Freiwilligen auf beiden Seiten bewog, in das hitzeflimmernde und staubige Inferno dieses Krieges in Nahost zu ziehen. Die Regie (Oded Ruskin) pendelt dabei mühelos zwischen Kriegs- und Familiendrama, vergisst auch den Agententhrill nicht und schafft es recht häufig, ein dokumentarisches Flair aufkommen zu lassen. Einzig der undurchsichtige Agent Stanley (genial gespielt von James Purefoy, bekannt aus dem HBO-Drama »Rom«) erscheint hin und wieder ein wenig klischeeüberladen, was aber nie stört, im Gegenteil. Herausragend ist Souheila Yacoub als YPJ-Kämpferin Sarya.

Die internationale Schauspiel- (Frankreich, Großbritannien, Schweiz, Türkei) und Kreativteamgruppe (Drehbuch: Ron Leshem, Amit Cohen - beide Israel) bleibt auch auf der Audiospur international. Wir hören endlich einmal akzentfrei Kurdisch und Arabisch. Produziert wurden die acht Folgen von einem Konglomerat verschiedener Teams, darunter besonders French Film-TV und Masha Productions (Israel).

Aber kommen wir zurück zum Teufel und seiner Sippschaft. Großmutter, Schwiegermutter, die Brüder, die Schwestern … Ich bin sicher, des Teufels Familienpartys finden eher in einem Bundesliga-Stadion statt als in einem Imbiss um die Ecke … Und da sind wir auch wieder bei »Homeland«. Denn diese beiden Serien nehmen Bezug auf reale internationale Konflikte der jüngsten Geschichte. Auf das, was nach den Anschlägen auf das World Trade Center kam, und damit auch auf das, was danach passierte, nachdem George W. Bush den »Krieg gegen den Terror« ausgerufen hatte. Es geht um Desinformationskampagnen, einem Zündeln hier, einem Attentat dort und um die westlich geprägte »Sicherheitspolitik«.

Diese Politik, wir erinnern uns: »Krieg ist bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« (Clausewitz), wird von einem Berufsstand inszeniert, der in seiner Beliebtheit oft nicht vom Teufel zu trennen ist, also zur Familie gehört: Den Politikern. Von Geheimdiensten umschwärmt, von Militärs in die Zange genommen, kochen sie beflissen die Suppe der Herrschenden. Im Krieg gegen die Nichtherrschenden, sei es in Washington, Paris oder Riad. Und demnach auch bei »Homeland«.

Was aber verflixt macht man mit einem Frauenkampfverband in Grün-Gelb-Rot, den kurdischen Farben, wo die Kämpferinnen in ihrer Grundausbildung selbstverständlich den Umgang mit dem AK-47 (Kalaschnikow) lernen, aber auch dezidiert die Theorie und Praxis der Frauenrechte? Da geht es doch plötzlich um - authentische Menschen. Und das in einer TV-Serie! Um Frauen. In Uniform. Um echten Freiheitskampf.

Sind die denn verrückt geworden? Nein, das ist doch die Wirklichkeit, oder etwa nicht? Eine legendäre Kommandantin wie Rojda Felat ist genauso wenig Hollywood wie die Nato ein Friseursalon in Bad Oeynhausen.

Bleibt noch die Frage, wie die Sache ausgeht? Muss ich denn hier alles haarklein erzählen?! Die DVD ist eben erschienen. Gibt es aber auch auf verschiedenen Videoplattformen. Ursprünglich lief die Serie hierzulande bei Arte.

Ach so … da wäre noch etwas: Was machen die Kurden denn heute? Nach Aussage eines Nahost- und Kurdistanexperten aus meinem Bekanntenkreis: Sie »lavieren sich durch die schwierige Frontenlage« und versuchen »das Beste daraus zu machen«. Nun ja. Ich fordere jedenfalls passend dazu, es ist ja Wahlkampf, da darf man ruhig etwas fordern: Türkei raus aus der Nato! Oder: Nato rein in die Türkei. Ja, es geht um Frieden, immer wieder.

»Kampf um den Halbmond«, 1. Staffel. Regie: Oded Ruskin (Oded Ruskin (WVG Medien)

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