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  • Ausstellung »Global Groove«

Von Wellen und Widerstand

Der bewegte Mensch: Die Ausstellung »Global Groove« in Essen blickt auf 120 Jahre Tanz- und Kunstgeschichte

  • Stefanie Roenneke
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie dreht sich und dreht sich und dreht sich: Loïe Fuller, amerikanische Tänzerin und Wegbereiterin des modernen Tanzes, schwingt um 1900 ihr organisch-amorphes Schleierkostüm in Wellen- und Spiralformen und vermittelt so den Eindruck einer nicht enden wollenden Bewegung. Das gilt auch für die neben der Filminstallation platzierte, raumgreifende Tapisserie »Foreverago« (2017) von der Multimedia-Künstlerin Pae White: 39 Meter lang, wellenförmig gehangen. Die Tapisserie zieht magisch an, und es kommt der Wunsch auf, sich auf ihren Wellen in die Ausstellung hineinrollen zu lassen.

Diese Künstlerinnen aus verschiedenen Epochen bilden sowohl den Prolog zur Schau »Global Groove. Kunst, Tanz, Performance und Protest« im Essener Museum Folkwang als auch eine erste Reflexionsmöglichkeit über Bewegung und Transformation.

Es ist ein beeindruckender Auftakt zu einer umfassenden, interdisziplinären Ausstellung, die den tanzenden Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es sei eine Geschichte des Kontakts, die in Zeiten der Kontaktbeschränkungen auch »etwas Außergewöhnliches« darstelle, so Peter Gorschlüter, Direktor des Museums Folkwang. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf den Verknüpfungen zwischen westlichen und asiatischen Avantgarden - ob frühe Auftritte asiatischer Tänzer*innen in Europa um 1900, Pionier*innen der Tanzmoderne oder die ersten Happenings der japanischen Butoh-Tänzer. Butoh ist ein Tanztheater, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstand und vom deutschen Ausdruckstanz beeinflusst ist.

Aufgrund dieser Wechselwirkungen ist auch der Titel »Global Groove« ein erster Wegweiser. Dieser bezieht sich auf die gleichnamige Arbeit des koreanisch-amerikanischen Künstlers Nam June Paik aus dem Jahr 1973, der in seiner Person bereits einen Verbindungspunkt zwischen dem asiatischen und westlichen Raum darstellt. Neben Paik sind in Essen insgesamt mehr als 80 Künstler*innen mit über 300 Exponaten vertreten, wodurch die Ausstellung Brücken zwischen unterschiedlichen Genres, Regionen und Epochen schlägt. Neben einem chronologischen Rundgang bietet sie mit ihren sechs Kapiteln auch eine thematische Rahmung, in die gegenwärtige Perspektiven eingewoben sind.

Das Kapitel »Body, Void, Form« fokussiert zum Beispiel auf den Austausch zwischen japanischen und amerikanischen Künstler*innen nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu sehen sind unter anderem faszinierende Bühnenbildelemente von Isamu Noguchi, angefertigt für die Ikone des Modern Dance, Martha Graham. Die minimalistischen Bühnensets von Noguchi stehen für ein neues Raumgefühl, sie abstrahieren und symbolisieren zudem die den Choreografien zugrunde liegenden Ideen.

Weitere Angelpunkte der Ausstellung sind die Multimedia-Installation »At Twilight« von Simon Starling, das Tanzkaleidoskop der Fotografin und Künstlerin Anouk Kruithof, die Jersey-Kostüme der Couture-Designerin Rei Kawakubo für den Tänzer Merce Cunnigham oder auch die Skulpturen der Installationskünstlerin Haegue Yang. Darüber hinaus lebt »Global Groove« vom Detail: seien es Fotografien und Masken oder auf inhaltlicher Ebene die Verbindung von August Rodin und der Tänzerin und Schauspielerin Madame Hanako, zwischen Mary Wigman und Ernst Ludwig Kirchner oder der Einfluss von Jackson Pollocks Drip Paintings auf japanische Künstler.

Dem vierköpfigen Kuratorinnenteam um Anna Fricke, Marietta Piekenbrock, Brygida Ochaim und Christin Losta ist es gelungen, eine wunderbare, die Sinne ansprechende Ausstellung zu formen, die Tanz-, Kunst- und Mediengeschichte abbildet. Dabei wird es stets besonders spannend, wenn die Einbuchtungen der Ausstellungsarchitektur betreten werden: Die wellenförmige Tapisserie rahmt plötzlich den Blick auf die Exponate. Ein mythisch dunkler Raum präsentiert die Arbeit von Simon Starling, mit der er das Tanzstück »At the Hawk’s Well« von W.B. Yeats beschwört. Die bühnenhafte Installation »The Life Work« von Choreografin und Tänzerin Mette Ingvartsen betört mit ihrem Licht und ihrer vieldeutigen formalen Sprache.

Doch neben diesem reizvollen Erlebnis bietet die Schau zudem die Gelegenheit, die einzelnen Arbeiten und Entstehungskontexte unbedingt näher zu betrachten, Fragen zu wechselseitiger Inspiration sowie kultureller Aneignung zu stellen, aber auch Verbindungen zu lesen, Echos wahrzunehmen und das Politische, Widerständige in dem Einsatz des Körpers zu erkennen - gerade weil sich Verständnis von Körperlichkeit im Digitalen verändert.

Global Groove. Kunst, Tanz, Performance und Protest, Museum Folkwang in Essen, bis 14. November

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