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Bildungssystem von vorgestern
Politiker aller Parteien wollen Kitas, Schulen und Universitäten reformieren. Doch es fehlt an Geld
»Das deutsche Bildungssystem ist wie ein Flaschenhals«, sagt Janine Wissler. Die Co-Vorsitzende der Linken meint damit, dass Kinder aus einer Akademikerfamilie deutlich häufiger das Abitur ablegen als jene aus bildungsferneren Elternhäusern. In der Schule gibt es für leistungsstarke Schüler eine passable Unterstützung, aber jene, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, drohen auf der Strecke zu bleiben. Nicht alle haben die gleichen Chancen. »Mir erzählen Leute oft, sie hätten in der Schule Glück gehabt« - mit einer Lehrkraft, die sie inspiriert und gefördert habe. »Aber Schule darf keine Glückssache sein«, sagte Wissler. Vielmehr müssten gute Lernumfelder für Kinder und Jugendliche geschaffen werden.
Mit diesem Ruf nach mehr Chancengleichheit steht die Oppositionspolitikerin keineswegs alleine da. Das deutsche Bildungssystem ist reformbedürftig, das war über Parteigrenzen hinweg die einhellige Meinung auf einer prominent besetzten Diskussionsveranstaltung der Bildungsgewerkschaft GEW am Mittwochabend. »Die Corona-Pandemie ist wie ein Brennglas«, sagte die GEW-Vorsitzende Maike Finnern in der Videoschaltung. »Sie hat deutlich gemacht, wo die Defizite liegen.« Die Gewerkschaft selbst hat ein Sechs-Punkte-Programm erarbeitet, das einen Weg aus der Krise aufzeigt.
Finnern skizzierte nicht weniger als eine Mammutaufgabe: So müssten mehr Pädagogen ausgebildet werden, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken; es gebe einen Investitionsstau bei der räumlichen Ausstattung, und auch die technische Infrastruktur müsse verbessert werden; zudem sollte die Ganztagsschule ausgebaut werden. Auch die Arbeitsbedingungen für Pädagogen müssten dringend verbessert werden: In den Kitas sollten die Gruppen und in den Schulen die Klassen kleiner werden, um die Arbeitsbelastung zu verringern. An den Hochschulen und bei der Weiterbildung wiederum sei es wichtig, die Arbeitsverhältnisse der Lehrenden zu entfristen. Diese Maßnahmen lohnen sich, daran ließ Finnern keinen Zweifel, schließlich werde damit die Demokratie gefestigt. »Bildung ist das Mittel, um einer gesellschaftlichen Spaltung entgegenzutreten.«
Dem mag Stefan Kaufmann, Co-Vorsitzender Fachausschuss Bildung, Forschung und Innovation im Bundestag, sicher nicht widersprechen. Doch wendet der Christdemokrat ein, dass nicht alle Vorschläge auf einmal umgesetzt werden könnten. »Damit wären wir heillos überfordert.« Er führte an, dass in den vergangenen Jahren die Bildungsausgaben schon bis auf 20 Milliarden Euro jährlich gestiegen seien.
Für Saskia Esken, Co-Vorsitzende der SPD, ist dagegen klar, dass in der kommenden Legislaturperiode noch einmal deutlich mehr in die Bildung finanziert werden müsse. Sie nennt den Ganztagsunterricht als ein vornehmliches Anliegen. Wichtig sei zudem, dass die eingesetzten Mittel keine Einmalzahlungen sind, sondern verstetigt werden müssten.
Streit zwischen Bund und Ländern gibt es derzeit bei der Einführung der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. Die Bundesregierung hat dafür ein Gesetz auf den Weg gebracht, das einen schrittweisen Rechtsanspruch ab 2026 garantiert. Das hat zwar den Bundestag passiert, aber der Bundesrat verweigerte seine Zustimmung. Am Montag kommt der Vermittlungsausschuss zusammen, um darüber zu beraten. Die Länder fordern in dem Konflikt, dass der Bund bei der Schaffung von Tausenden neuen Ganztagsplätzen und den langfristigen Betriebskosten mehr Mittel bereitstellt.
Das Beispiel zeigt exemplarisch, wie es bei der Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Bildung hapert. »Wenn sich eine Zusammenarbeit nur noch darum dreht, wer wie viel Geld gibt, dann läuft was falsch«, bemängelte Esken. Sie wünscht sich eine gemeinsame Arbeit an den Zielen und Inhalten, die erreicht werden sollen. Auch Katrin Göring-Eckardt hält eine »nationale Kraftanstrengung« für nötig, um Reformen anzustoßen. Dafür sei eine reibungslose Zusammenarbeit von Bund und Ländern nötig, so die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Oftmals mangele es daran, weil eine Kooperation im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Für Bildung sind die Länder zuständig, da ist es für den Bund oft nicht leicht, tätig zu werden.
»Wir brauchen aber eine Verantwortungsgemeinschaft«, erklärte Finnern. »Es braucht oft zu lange, bis die Maßnahmen greifen.« Die Gewerkschafterin dachte dabei an eine Umfrage unter Lehrkräften, die trotz eines Bundesprogramms oft noch immer mit ihrem privaten Computer arbeiten.
»Aber am Ende«, resümierte Göring-Eckardt, »hat es bislang immer an Geld gefehlt.« Sie hält ein jahrelanges Festhalten der Großen Koalition an der Schwarzen Null, also einem ausgeglichenen Bundeshaushalt, für einen Fehler. Wichtige Investitionen in die Zukunft seien deshalb nicht getätigt worden. Diese Position vertritt auch die Linke.
Mit Blick auf die Zukunft waren sich die Diskutierenden einig, dass mehr Mittel in die Hand genommen werden müssen. Wissler schlug vor, die Mittel aus einer Vermögenssteuer zu bestreiten. Nicola Beer, die liberale Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, nannte eine Größenordnung von einem Prozentpunkt der Mehrwertsteuer, der in die Bildung investiert werden sollte; und Finnern appellierte, dass die Bildung bei den kommenden Koalitionsverhandlungen nicht aus dem Fokus geraten dürfe: »Die Mittel müssen gut angelegt werden.« Es gehe schließlich um mehr Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche.
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