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»Dem Greenwashing einen Strich durch die Rechnung machen«
Die Autoindustrie ist zu einem guten Teil verantwortlich für die Klimakrise. Ein Gespräch mit dem Ums-Ganze-Bündnis über dessen neue Broschüre
Ihr habt soeben eine Broschüre mit dem Titel »Über den automobilen Kapitalismus ... und sein Ende« herausgebracht. Warum gerade jetzt ein Text zu dem Thema?
Der aktuelle Bericht des Weltklimarates hat gezeigt, dass wir schon 2030 die 1,5-Grad-Grenze überschreiten. Ab diesem Temperaturanstieg sprechen wir über Folgen, die in großen Teilen der Welt einfach nicht mehr zu bewältigen sein werden. An dieser Entwicklung ist der Autoverkehr ganz maßgeblich beteiligt. Er ist für etwa ein Fünftel aller CO2-Emissionen verantwortlich, Tendenz steigend. Mobilität ist daher eine der zentralen Fragen in der Bewältigung der Klimakrise, und trotzdem ist der politische Diskurs um die sogenannte Verkehrswende vollkommen realitätsfern: Anstatt sofort eine Mobilitätswende einzuleiten, verteidigen Staat und Autoindustrie mit allen Mitteln ihre Profite. Diese Menschenfeindlichkeit hat sich im »Autoland Deutschland« auch während der Pandemie noch einmal allzu deutlich gezeigt. Die Autokonzerne haben vehement temporäre Fabriksschließungen verhindert und sich jetzt auch noch Subventionen in Milliardenhöhe gesichert.
»... um’s Ganze!« ist ein Zusammenschluss kommunistischer Gruppen im deutschsprachigen Raum. Das Bündnis gründete sich im Jahr 2006 mit dem Anspruch, antikapitalistische Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen.
Wie lässt sich das Verhältnis des deutschen Staates zur Automobilindustrie charakterisieren, gibt es eine Besonderheit im Vergleich zu anderen Kapitalfraktionen?
Das Ausmaß des deutschen Autowahnsinns sucht auf der Welt seinesgleichen. Die wechselseitige Abhängigkeit von Autoindustrie und deutschem Staat ist so groß, dass das Ganze teilweise groteske Züge annimmt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Deutsche Autobauer manipulieren über Jahre höchst aufwendig ihre Abgaswerte, und statt zur Rechenschaft gezogen zu werden, bekommen die Verantwortlichen einen »Diesel-Gipfel«. Das kommt natürlich nicht von ungefähr: Die Autoindustrie war und ist die deutsche Schlüsselindustrie, der deutsche Staat hat deshalb ein großes Interesse an hohen Profiten für die heimischen Autokonzerne. Deshalb verschafft der Staat der Autoindustrie gute Handelsbedingungen, unterstützt sie mit Milliardensubventionen und stellt die ganze Asphaltinfrastruktur für den Fahrspaß. Über die Jahrzehnte hat sich die deutsche Autoindustrie derart in den Staat integriert, dass er ihre Überwindung kaum verkraften dürfte.Zusätzlich ist das Auto auch noch derart kulturell aufgeladen, dass sich nicht mal so banale Dinge wie ein Tempolimit auf Autobahnen durchsetzen lassen. Das Recht darauf, mit 200 Sachen sich und andere in Lebensgefahr zu bringen, will sich hierzulande niemand einfach nehmen lassen. Was für US-amerikanische Rednecks Schusswaffen sind, sind den Deutschen ihre kleinen Panzer.
In Deutschland gibt es ein Art automobilen Konsens, den der Staat nicht anrühren kann und will. Da ist übrigens ziemlich egal, wer regiert. Diskutiert wird daher zurzeit überhaupt keine Mobilitätswende, sondern nur eine Antriebswende. Obwohl alle Fakten dagegen sprechen, dass batteriebetriebener Individualverkehr ein konstruktiver Beitrag zu Lösung der Klimakrise sein kann, streitet die Politik darüber, wer diese Umstellung am besten verwalten könne. Dabei betonen übrigens auch die Grünen beständig, dass der Standort Deutschland ihr eigentliches Herzensprojekt ist.
Sind die notwendigen Veränderungen für die Einhegung der globalen Erwärmung denn nicht auch machbar, ohne den Kapitalismus abzuschaffen? Sollte man dafür zum Beispiel die Grünen wählen?
Das ist der Utopismus der herrschenden Klasse, von dem sie vermutlich selber nicht so richtig überzeugt ist. Es gibt keinen grünen Kapitalismus. Der ist ein Mythos. Dafür ist das E-Auto ein gutes Beispiel. Die Verkehrsemissionen sind in Deutschland seit 1995 pro Pkw um knapp fünf Prozent gesunken, was ja schon lächerlich wenig ist. Und weil jedes Jahr mehr Autos zugelassen werden, sind die Autoemissionen insgesamt sogar um fünf Prozent gestiegen. Das E-Auto schreibt dieses Problem jetzt fort, denn nachdem so ein Fahrzeug mehrere Jahre unterwegs war, hat es zwar tatsächlich eine positivere Klimabilanz als ein Verbrenner. Damit die Profitrate der Autokonzerne aber einigermaßen konstant bleibt, müssen sie jährlich ihre Absatzzahl erhöhen. Es gibt schon jetzt über eine Milliarde Autos auf der Welt. Wenn es so weitergeht, verdoppelt sich die Zahl innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre noch mal. Das sind Entwicklungen, die jede Emissionseinsparung in Produktion und Gebrauch vollends übertreffen.
Zurzeit steigen die Emissionen ohnehin weiterhin jährlich. Die Welt war noch nie weiter von einer ressourcenschonenden Produktion entfernt als heute. Für einen klimaneutralen Kapitalismus müssten emissionsverringernde Effekte die Wachstumsrate deutlich übertreffen. Dafür gibt es bis heute kein einziges ernst zu nehmendes Beispiel und auch kein Modell, was das in absehbarer Zeit realisieren könnte. Und das ist nur folgerichtig, weil die dauerhafte und allgemeine Unterordnung des Profits unter andere Zwecke mit der kapitalistischen Produktionsweise einfach nicht vereinbar ist.
Geht es bei der Kritik des »automobilen Kapitalismus« allein um die Klimafrage oder auch um andere Aspekte bürgerlicher Herrschaft wie das Patriarchat, Rassismus und globale Reichtumsverteilung?
Tatsächlich manifestiert sich in der Automobilität auch männliche Dominanz. Der Männerkult, der sich um Autos rankt, ob auf der Straße, in Musikvideos oder Zeitschriften, ist ja offensichtlich. Aber Autos sind auch Ausdruck eines materiellen Geschlechterverhältnisses: Automobilität ist auf Männer und ihre Arbeitsverhältnisse ausgelegt, den Weg von zu Hause zum Arbeitsplatz. Da FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen; d. Red.) im Kapitalismus der Großteil der Reproduktionsarbeit zugewiesen wird, haben sie in ihrem Alltag viel komplexere Wege zu bewältigen, die durch Autos eher erschwert als erleichtert werden. Dazu kommt, dass FLINTA* oft schlechter bezahlt werden und sich ein Auto seltener leisten können.
Darüber hinaus stehen Autoindustrie und Automobilität auch für eine rassistisch-neokoloniale Weltordnung. Einerseits, weil die Autoindustrie faktisch mit der Zerstörung des Planeten ordentlich Profit macht. Und das geht nicht unmittelbar auf Kosten derer, die davon profitieren, sondern zu Lasten von Menschen im globalen Süden, die an dem erwirtschafteten Reichtum gar nicht beteiligt werden. Andererseits schreitet die Militarisierung der europäischen Außengrenzen unaufhörlich voran, um sich von jenen abzuschotten, die aus den Regionen fliehen, die derartig ruiniert werden.
Die Autoindustrie ist die Basis für den Erfolg des deutschen Exportmodells. Die Dominanz auf dem Weltmarkt ermöglicht es Deutschland unter anderem, andere Staaten mit Spardiktaten zu überziehen und Weltgegenden zu unterdrücken, die als ehemalige Kolonien niemals eine wettbewerbsfähige Ökonomie aufbauen konnten. Die Transformation zur Elektromobilität schreibt diese neokoloniale Geschichte jetzt fort. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sagt das ganz offen: Weil in Deutschland zu wenig Ökostrom für die ganzen neuen E-Autos produziert werde, müsse man sich jetzt schon Flächen in Afrika und Lateinamerika sichern.
»... und sein Ende« - ist das eine Prophezeiung oder ein frommer Wunsch?
Für uns ist das Ende des Kapitalismus eine Notwendigkeit, und wir wollen nicht darauf warten, dass er in einer vollständig eskalierten Klimakatastrophe untergeht und die Menschheit mit sich reißt. In Bezug auf die Mobilitätsfrage geht es dabei nicht nur darum, die Autoindustrie abzuwickeln, sondern auch Mobilität als solche neu zu verhandeln. So könnte diese Auseinandersetzung auch ein Schritt in Richtung Kommunismus sein. Das Ziel ist Mobilität für alle und nicht nur für wenige auf Kosten anderer.
Diese Neuverhandlung wirft ganz grundsätzliche Fragen auf. Es geht dabei nicht nur um den Umstieg von der Straße auf die Schiene, sondern auch um eine kritische Hinterfragung von Arbeits- und Geschlechterverhältnissen, Rassismen und dem Klassenwiderspruch. Kurz: Es geht um die Frage, wie wir zusammenleben wollen. Als Kommunist*innen geht es uns dabei darum, das Leben in eine kollektive wie individuelle Gestaltbarkeit zu rücken.
Bleibt die Frage: Was tun?
Wir haben nichts davon, wenn wir uns in ein paar Jahrzehnten hinstellen können mit »Haben wir doch gesagt!« Es geht ja - zumal im Hinblick auf den Klimawandel - tatsächlich »ums Ganze«, um die menschliche Lebensgrundlage nämlich. Deshalb ergibt sich aus unserer Kritik auch eine konkrete politische Praxis: Wir beteiligen uns an den Gegenprotesten zur Internationalen Autoausstellung (IAA), die vom 7. bis zum 12. September in München stattfindet. Unser Ziel ist es dort, dem »Greenwashing« der (deutschen) Automobilkonzerne einen ordentlichen Strich durch die Rechnung zu machen. Und das soll nur der Anfang sein. Im nächsten Jahr wollen wir die Logistik des »automobilen Kapitals« stören und für Unterbrechungen in den Produktionsabläufen sorgen.
Wir legen uns da mit einem riesigen Koloss an, aber ähnliche Aktionsformen von uns und anderen haben gezeigt, dass der Kapitalismus am Punkt Logistik besonders verletzlich ist, hier sozusagen eine Achillesferse hat. Das wollen wir natürlich nicht im Alleingang machen, sondern freuen uns drauf, unsere Aktionen zum Beispiel mit der Bewegung für Klimagerechtigkeit zu diskutieren und zu planen. Niemand muss nämlich tatenlos der kapitalistischen Zerstörungswut zuschauen.
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