Gefühlschaos

Wenn der Sommer endet, darf man sich mit Federweißem trösten

Ich habe lange gebraucht, um die eigentlich simple Redewendung »mit einem lachenden und einem weinenden Auge« zu begreifen. Was soll das heißen? Kann ein Auge lachen? Und haben alle, von mir abgesehen, ein so durchweg komplexes und ambivalentes Gefühlsleben, das sich immerfort in Lachen und Weinen zur gleichen Zeit niederschlägt? Ich lache oft, ich weine viel, meistens aber grübele ich. Allerdings - immer der Reihe nach.

Dann setzte aber doch noch die Erkenntnis ein. Wenn die schöne, also die heiße, Jahreszeit - Sommer, Sonne, Wellenpracht, Badehose, Sowjetmacht - vorbei ist, dann beginnt die Federweißersaison. Der Federweiße ist nicht, wie man annehmen könnte, ein Wein, sondern ein Saft. Das klingt harmlos, aber darin besteht seine Tücke. Er erweckt den Eindruck eines unverfänglichen Erfrischungsgetränks, schnell sind ein, zwei Flaschen geleert, und plötzlich merkt man, wie auch die Zurechnungsfähigkeit mit Einschränkungen versehen ist. Der Traubenmost verändert über die Zeit noch seinen betörenden Geschmack und - das ist das Teuflische - seinen Alkoholgehalt, der zwischen vier und elf Prozent liegt.

Federweißen kennt man auch als neuen Wein, was ebenso ungefährlich klingt. Man spricht auch vom Bitzler, was schon eher eine Idee von der verheerenden Wirkung gibt, oder im Fränkischen vom Bremser, was wirklich nicht gelogen ist. In Österreich aber sagt man Sturm, was ins Schwarze trifft. Sturm im Glas, Sturm im Kopf - so ist das. Man könnte lachen und weinen, tanzen und schreien. Wenn es um alkoholische Kulinarik und kalte Temperaturen geht, kenne auch ich emotionale Extreme. Sogar gleichzeitig. erz

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